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Ökonomie: Die erschöpfte Globalisierung

Vielfältig sind die Krisenzeichen unserer Zeit. Der gesellschaftliche Zusammenhalt schwindet, die politischen Strukturen erodieren und die wirtschaftlichen Verhältnisse überzeugen nicht mehr. Von einer Tendenzwende wird angesichts der Neuerungen, Enttäuschungen, Unbestimmtheiten, Führungsverluste, Konflikte durch zunehmende globale Vernetzungen und der scheinbar abnehmenden politischen Gestaltungskraft gesprochen.
Globus

4.3 Was bleibt von der Globalisierung als normativem Projekt?

Unsere Globalisierung gibt seit einiger Zeit Rätsel auf. So war in der Wochenzeitung »Die Zeit« bereits am 13. Februar 2014 unter Bezug auf zwei unterschiedliche Sichtweisen des Pessimismus zu lesen:

[Larry] Summers sagt: Der Weltwirtschaft geht die Wachstumskraft aus, weil die Wohlhabenden zu wenig investieren. [Peter] Tiel sagt: Der Welt gehen die Innovationen aus, weil die Erfnder und Unternehmer nicht wagemutig genug sind, um revolutionäre Neuerungen hervorzubringen. […] Das Fazit beider: Die Welt strebt dem vorläufgen Ende ihrer wirtschaftlichen Entwicklung entgegen (Heuser und Pletter 2014, S. 25).

Ein Indiz für diese Bewertung ist der seit Längerem rückläufige Produktivitätstrend in den Industrieländern (Abb. 4.2, hier in dieser Leseprobe nicht enthalten). Die daraus sich ergebende Sorge um die künftige wirtschaftliche Dynamik ist eng verbunden mit Fragen an die internationale Arbeitsteilung und Fragen nach dem Wirken des technischen Fortschritts. Signalisiert dies alles eine Phase der Neuorientierung, wie sie üblicherweise am Beginn einer umwälzenden technischen Entwicklung – die digitale Revolution – auftreten und mit Stockung in der weltweiten Kooperationserfahrung verbunden ist? Oder stehen diese Indikationen für das Ende der weltwirtschaftlichen Entwicklung, wie sie seit dem Beginn der Industrialisierung vor 200 Jahren erlebt worden war?

Der Pessimismus hat vielfältige Motive: Produktivitätsrätsel, handelspolitischer Streit, Renationalisierungstendenzen, Kapitalmarktungleichgewichte, Investitionsmangel, Überbevölkerungsphänomene, Migrationsdruck, Hegemonialkonflikte, Terror und Krieg. Der Eindruck einer Tendenzwende resultiert dabei aus der Einschätzung, dass die vielen verschiedenen Narrative sich nicht zu einer konsistenten Geschichte verbinden lassen. Das überlagert die eigentlich ermutigenden ökonomischen Entwicklungen, wie die überraschend schnelle Verarbeitung der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009.

Das einzige, was dagegen eindeutig steht und jedenfalls bedingte Zuversicht offeriert, ist die »historische Erfahrung, dass Offenheit gegenüber Abschottung die langfristig vorteilhaftere Strategie ist« (Plumpe 2017, S. 333). Dazu gehört aber zugleich die Einsicht, dass die bedeutenden Epochen weltweiten wirtschaftlichen Austauschs stets ein politischer Hegemon prägte, dem die Öffnung wie Sicherung eines großen Handelsraums selbst vorrangig vorteilhaft war und der deshalb bereit war, als Ordnungsmacht zu fungieren. Das galt für die Antike mit der »Pax Romana«, für das Mittelalter mit der »Pax Hispanica« einerseits und der »Pax Monogolica« andererseits, für das 19. Jahrhundert mit der »Pax Britannica« und für das 20. Jahrhundert mit der »Pax Americana«. Und es gehört die Einsicht dazu, dass in der Vergangenheit trotz aller erreichten ökonomischen und menschlichen Vernetzung prinzipiell nichts unumkehrbar gewesen ist.

Mit einer Ausweitung der globalisierungsbegründeten Vorteilsposition auf immer mehr Volkswirtschaften konnten sich die Regime in den vergangenen 200 Jahren jeweils breiter verankern. Das konnte allerdings das abrupte und drastische Ende der »ersten Globalisierung« nicht verhindern, ebenso wenig die Erschöpfung der »zweiten Globalisierung«. Im 21. Jahrhundert stellt sich die Frage nach dem handlungsfähigen und handlungswilligen Hegemon neu. Die USA unter Präsident Donald Trump haben jedenfalls deutlich gemacht, dass sie diese Rolle nicht mehr so ohne Weiteres spielen wollen. Auch wenn die globale Unsicherheit und Konfliktlage den USA kaum ein völliges Ausscheren aus der seit dem Zweiten Weltkrieg ausgefüllten Rolle erlauben werden, so ist doch unabhängig von der gegenwärtigen Administration erkennbar, dass die Wahrnehmung globaler Verantwortung stärker an einem klar identifizierbaren nationalen Vorteil gebunden sein wird. Chinas Versuch, die durch die US-Administration eröffnete Lücke zu füllen, ist an der Freihandelsrhetorik sowie an der Übernahme militärischer Verantwortung zu erkennen und verweist auf die seit über einem Jahrzehnt deutlich steigenden Militärausgaben. »China is only partially challenging the liberal international order and is gaining influence without firing a shot« (Wan 2016, S. 101). Wie weit das trägt, wird man angesichts der verstärkten ideologischen Rückbesinnung, der internen ökonomischen Ungleichgewichte und der Probleme bei der politischen Steuerung dieses riesigen Landes erst noch sehen.

Ob die künftige Lösung überhaupt bei einer Großmacht liegen kann, ist schon deshalb zweifelhaft, weil damit die normative Diskrepanz einseitig, d. h. zulasten des jeweils anderen, aufzulösen wäre. Vielleicht bietet die Institutionalisierung der (zweiten) Globalisierung bei allen Rückschlägen und Zerwürfnissen doch den einzig gangbaren Weg auch im 21. Jahrhundert: Nur transnationale Strukturen und Systeme könnten demnach der Globalisierung künftig den Rahmen geben, nicht zuletzt, weil »der gegenwärtige Status der Weltwirtschaft […] ja nichts Arbiträres [ist], das sich einfach auch anders machen ließe« (Plumpe 2017, S. 337). Dafür spricht auch, dass die größere Selbstgewissheit Europas beim Blick auf die transatlantischen Werte und Gemeinsamkeiten künftig eher weniger als mehr in den Vereinigten Staaten gespiegelt wird. Einen ersten Eindruck, wie eine solche tektonische Verschiebung politisch aussehen könnte, haben die Europäer bei Präsident Barack Obamas Pivot-to-Asia-Strategie erfahren, die die europäischen Interessen explizit aus dem Fokus der amerikanischen Außenpolitik rückte.

Während Europa bei aller Offenheit und Integration soziostrukturell doch immer noch recht nahe bei seinen Traditionen verortet werden kann, ist dies für die USA immer weniger der Fall. Spiegelbildlich verschiebt sich der Bevölkerungsmittelpunkt kontinuierlich vom Nordosten des Landes zum Südwesten (Abb. 4.3, in dieser Leseprobe nicht enthalten). Die USA bewegen sich quasi physisch von der transatlantischen Gemeinschaft fort in die noch unwegsamen Gründe der transpazifischen Zusammenarbeit. Dahinter stehen deutliche Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft, so stellen Menschen lateinamerikanischer, afroamerikanischer und asiatischer Abstammung bereits knapp 50 % der Bevölkerung im Alter unter 18 Jahren. Das kulturelle Substrat der US-Gesellschaft differenziert sich damit weiter aus, was letztlich über innenpolitische Polarisierung die Rolle der USA in der Welt beeinflusst, aber ebenso die Kooperationsbereitschaft in Richtung des alten Partners Europa. Auch wenn das transpazifische Abkommen (TPP) von Trump gekündigt wurde und neue Verhandlungen mit Europa nicht mal aussichtslos sind, haben die transatlantischen Werte und Gemeinsamkeiten in den USA ihre traditionelle Bedeutung verloren und sind deshalb in besonderer Weise erklärungsbedürftig.

Bei aller Unzulänglichkeit der globalen Ordnung gilt: Noch nie war unter technischen und institutionellen Aspekten die Möglichkeit der Teilnahme und Beteiligung für einzelne Staaten am globalen Austausch leichter als heute. Und trotz aller Globalisierungskritik wird doch selbst aus dieser Richtung für starke transnationale Institutionen geworben, der Austritt daraus oder gar deren Schwächung sind keine akzeptable oder opportune außenpolitische Option.

Dazu gehört allerdings die Erkenntnis, dass der wirtschaftliche Erfolg eines Landes letztlich immer an der Entfaltung der eigenen Kräfte hängt. Insofern ist die Globalisierung kein Automat, der jede volkswirtschaftliche Nische, jede Region und jede Branche erfasst, sondern ein Potenzialgenerator für offene Volkswirtschaften, die zugleich bildungspolitisch anspruchsvolle sowie sozialstaatlich inklusive Gesellschaften sind. Offen ist bis heute die Frage, ob es dazu einer demokratischen Verfassung auf Grundlage der transatlantischen Werte bedarf und ob in diesem Sinne die Modernisierungshoffnung eine reale Basis hat. Zwar lässt sich eingängig theoretisch beschreiben, dass Marktwirtschaft und Demokratie wegen ihrer gemeinsamen Fixierung auf das Individuum und seine Entscheidungssouveränität einer normativen Ko-Evolution unterliegen (von Weizsäcker 2014), wobei insbesondere auf die notwendige Legitimierung der Bürgerpräferenzen als Quelle gesellschaftlicher Werte durch Regeln einer minderheitsresistenten und deliberativen Demokratie verwiesen wird (Habermas 2017, S. 349). Als gesellschaftlicher Wert erweist sich dabei auch die Marktwirtschaft, die deshalb die Demokratie voraussetzt, deren besondere Legitimität für den Eingriff in Präferenzen der Bürger sich aus dem Wettbewerb als dem dafür zugrunde liegendem Verfahren ergibt (von Weizsäcker 2014, S. 27 ff.).

Literatur

Habermas, Jürgen. 2017. Faktizität und Geltung: Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, 6. Auf. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Heuser, Uwe Jean, und Roman Pletter. 2014. Wirtschaftswachstum: Rätsel der Weltwirtschaft, Die Zeit, 08/2014, 25.
Plumpe, Werner. 2017. Die Globalisierung – eine umkehrbare Geschichte? Wirtschaftsdienst 97 (5): 333–338.
Von Weizsäcker, Carl Christian. 2014. Die normative Ko-Evolution von Marktwirtschaft und Demokratie. In Ordo – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 65, 13–43.
Wan, Ming. 2016. The Asian Infrastructure Investment Bank: The Construction of Power and the Struggle for the East Asian International Order. New York: New Palgrave.

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