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Halbleiterdotieren mit Neutronen

Fremdatome machen den Halbleiter erst zum Stoff, aus dem die Chips sind. Statt sie zuzusetzen, kann man sie auch vor Ort erzeugen – durch Neutronenbeschuß.


Wie verteilt man einen Teelöffel Zucker möglichst gleichmäßig in einem Kuchen von der Größe eines Automobils? Eine weit hergeholte Aufgabe? Keineswegs, ein ganz ähnliches Problem stellt sich bei der Dotierung von Halbleitern: Für die Mikro- und Leistungselektronik müssen einem Kilogramm Silicium rund 10 Mikrogramm Phosphor beispielsweise durch Diffusion aus dem Gas der Prozeßatmosphäre zugemischt werden. Um sie möglichst gleichmäßig zu verteilen, wird der Halbleiter aufgeschmolzen und die Schmelze "gerührt". Das Ergebnis könnte besser sein. Gerade beim phosphor-dotierten Silicium, das in der Leistungselektronik verbreitet ist, variiert der elektrische Widerstand dann noch um bis zu 25 Prozent.

Die Alternative heißt Kernumwandlung: Thermische, also langsame Neutronen, in einem Reaktor gleichmäßig verteilt, wandeln Silicium entsprechend homogen in Phosphoratome um (n-Typ Dotierung, siehe Glossar Seite 82, "Dotieren von Halbleitern"). Grundsätzlich eignen sich auch andere atomare Partikel; die verschiedenen Möglichkeiten hatte Karl Lark-Horovitz (geboren 1892 in Wien, gestorben 1958 in West Lafayette, USA) schon 1950 bei der ersten internationalen Konferenz über Halbleiterphysik in Reading, England, dargelegt.

Von Natur aus ist Silicium für die "Neutronen-Dotierung" prädestiniert. Hat ein solcher Atomkern ein Neutron eingefangen, wird er instabil und zerfällt. Dabei verliert er ein Elektron (sogenannte b-Strahlung), behält aber ein Proton. Vereinfacht kann man sagen, daß diese beiden Ladungsträger ein Neutron im Kern aufbauten. Das im Periodensystem auf Silicium folgende Element, welches ein Proton mehr hat, ist Phosphor; dieses wirkt in Silicium demzufolge als Elektronendonator.

Diese Umwandlung funktioniert allerdings nur bei dem Isotop 30Si, es entsteht 31P. Der Kristall besteht allerdings natürlicherweise aus 92,23 Prozent 28Si, 4,67 Prozent 29Si und nur aus 3,10 Prozent 30Si; die ersten beiden Isotope bleiben nach dem Neutronen-Einfang stabil.

Nicht so einfach läuft die Kernumwandlung in vielen anderen Halbleitern ab. In Germanium (Ge) zum Beispiel bilden drei der fünf natürlichen Isotope (70Ge, 74Ge, 76Ge) zu 18,6 Prozent Arsen (As) und zu 81,4 Prozent Gallium (Ga): Durch den Neutronen-Einfang entstandenes 71Ge wandelt sich nach Aufnahme eines Elektrons aus der Atomhülle in 71Ga um; aus 75Ge und 77Ge werden jeweils durch Aussendung eines Elektrons 75As und 77As. Arsen wirkt in Germanium als Donator, Gallium hingegen als Akzeptor; in der Summe entsteht durch die Kernumwandlung eine p-Dotierung. Anders im Verbindungshalbleiter Galliumarsenid (GaAs): Nun wandelt sich Gallium zu Germanium, das Arsen zu Selen; beide wirken als Donatoren.

Prinzipiell ist es also möglich, durch Neutronenbeschuß Halbleiter zu dotieren. Doch ist es auch sinnvoll und praktikabel? Immerhin benötigt man dazu einen Kernreaktor, das Material wird radioaktiv und ist somit erst nach einer gewissen Abklingzeit verfügbar.

Der entscheidende Vorteil ist, daß sich eine wesentlich homogenere Verteilung der Dotierung erreichen läßt – der Zucker süßt den Teig sehr viel gleichmäßiger als nach noch so intensivem Rühren. Wie wichtig das ist, veranschaulichen bereits die Abmessungen eines Leistungsbauelements: Ein typischer Thyristor (siehe Glossar Seite 82) besteht aus einer Halbleiterscheibe mit einem Durchmesser von etlichen Zentimetern. Auf einer so großen Fläche genügt schon ein winziger Fleck mit deutlich abweichender Dotierung, und das Bauelement funktioniert nicht wie gewünscht.

Von Schwankungen der geringen Ausgangsdotierung vor der Neutronenbestrahlung abgesehen, bestimmt der Neutronenfluß die Homogenität der Umwandlungsdotierung. Zwar schwächt er sich im Halbleiter ab, doch ist die Wahrscheinlichkeit für einen Neutronen-Einfang (der sogenannte Einfangquerschnitt) bei Silicium-Atomen relativ gering. In der Mitte eines Stabes von typischerweise bis zu 20 Zentimetern Durchmesser ist der Neutronen-Fluß deshalb nur um weniger als ein Prozent geringer als am Rand.

Der eigentlich limitierende Faktor der Homogenität ist die Abnahme des Neutronen-Flusses mit dem Abstand vom Reaktorkern – die Anzahl der verfügbaren Neutronen ist aus diesem Grunde am entfernteren Rand des Stabes geringer. Insbesondere bei stark exponentieller Abnahme kann die Dotierung sehr ungleichmäßig ausfallen; bei annähernd linearer gelingt es, durch Rotation der Siliciumstäbe die Schwankungen auf weniger als drei Prozent zu reduzieren. Inhomogenitäten entlang der bis zu einem Meter langen Rohlinge lassen sich durch Neutronen-Absorberfolien ausgleichen. Das Ergebnis rechtfertigt den Aufwand im Kernreaktor auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Germanium hat einen höheren Einfangquerschnitt, dementsprechend ist die Bestrahlungszeit etwa hundertmal kürzer, die homogen dotierbare Scheibe eines Germanium-Stabes aber auch entsprechend dünner. In Galliumarsenid geht es noch um einen Faktor zehn schneller – und um den ist das Resultat auch inhomogener. Ein Gutes hat es: Bei den geringeren Materialdicken spielt der örtliche Abfall des Neutronen-Flusses im Reaktor kaum eine Rolle.

Das bestrahlte Material ist der Gesundheit zunächst wenig zuträglich, doch seine Radioaktivität klingt exponentiell ab; für den b-Zerfall von 31Si beispielsweise mit einer Halbwertszeit von 2,62 Stunden. Eine Freigabe gemäß den "Regulations for the Safe Transport of Radioactive Materials" der Internationalen Atomenergie Organisation IAEA in Wien kann jedoch durch langsamere sekundäre Prozesse verzögert werden. So wandeln sich schon ursprünglich vorhandene oder aus 30Si erzeugte 31P-Atome durch Neutronen-Einfang zu 32P, das dann mit einer Halbwertszeit von 14,3 Tagen zu Schwefel (32S) zerfällt (b-Zerfall). Erst ab einer Restaktivität von 7,4 Becquerel pro Gramm darf das Material schließlich freigegeben werden (1 Becquerel bedeutet einen radioaktiven Zerfall pro Sekunde). In einem Silicium-Kristall, der mit 31018 Neutronen pro Quadratzentimeter bestrahlt wurde, um einen spezifischen Widerstand von 10 Ohmzentimeter zu erzeugen, ist das etwa 300 Stunden nach Ende der Behandlung erreicht.

Danach leitet der Halbleiter aber im allgemeinen noch keinen Strom, denn es entstanden auch Gitterdefekte, die den Fluß der Leitungselektronen behindern. Ein Grund dafür sind Schäden an Atombindungen infolge des Rückstoßes, den die bestrahlten Atomkerne beim Aussenden eines Elektrons erfahren (b-Strahlung aus 31Si). Zudem zerstören schnelle Neutronen, die insbesondere bei Bestrahlung im Kern des Reaktors einen nicht zu vernachlässigenden Anteil im Neutronenspektrum ausmachen, Bindungen im Kristallgitter und erzeugen einen sehr geringen Anteil an Aluminium-Fremdatomen, die als Akzeptoren wirken.

Doch eine Erwärmung heilt solche Defekte aus. So wandern Silicium-Atome bei 750 bis 800 Grad Celsius wieder auf ihre angestammten Plätze – der ungestörte Kristall reformiert sich. Einige werden aber durch die Fremdatome ersetzt, die dann als Donatoren beziehungsweise Akzeptoren wirken.

Wie läßt sich nun das Ergebnis im Sinne einer Qualitätskontrolle quantitativ bewerten? Entsprechend den Anforderungen der Halbleiterindustrie darf die Dotierung nur um wenige Prozent variieren. Aus der Intensität der radioaktiven Gamma-Strahlung des 31Si könnte man auf die Anzahl der entstehenden 31P Kerne schließen und damit überprüfen, ob die angestrebte Dotierung errreicht wurde. Üblicherweise wird aber die gesamte Neutronen-Dosis (Fluß mal Bestrahlungsdauer) sehr genau gemessen und daraus die Anzahl der 31P-Atome genau berechnet. Um zu überprüfen, ob alle diese Phosphor-Fremdatome tatsächlich als Donatoren wirken, sind zusätzliche elektrische Messungen notwendig: Messungen des Halleffekts bei anliegendem Magnetfeld liefern die Elektronenkonzentration, die unter den üblichen Einsatzbedingungen auch der Konzentration der Donatoren entspricht. Aus dem Verlauf des elektrischen Widerstandes über den Durchmesser schließt man auf die Homogenität. Vergleiche von Berechnungen und Messungen zeigen, daß die gewünschte Dotierung bei gegebener Neutronenflußdichte durch die Bestrahlungszeit mit großer Genauigkeit erreicht werden kann. Eine eventuell zu niedrige Dotierung läßt sich durch Nachbestrahlung erhöhen.

Auch wenn Silicium zu den Materialien zählt, die sich besonders rein herstellen lassen, können doch etliche Verunreinigungen im Gitter enthalten sein. Zieht man den Einkristall nach dem Czochralski-Verfahren aus einer Siliciumschmelze, löst sich beispielsweise Siliciumoxid aus dem Material des Tiegels; dementsprechend sind im Kubikzentimeter etwa 51017 Sauerstoffatome enthalten (zum Vergleich: 51022 Siliciumatome). Beim tiegelfreien Zonenziehen ist dieser Anteil wesentlich geringer. Spuren von Eisen, Nickel, oder Chrom im Inneren oder an der Oberfläche mit Konzentrationen unter 1013 Atome je Kubikzentimeter sind ebenfalls vorhanden. Die durch Neutronenbeschuß erzeugte Radioaktivität dieser Elemente ist jedoch in den meisten Fällen schon nach Ende der Bestrahlungszeit unter die Freigrenze abgeklungen, läßt sich aber zur quantitativen Bestimmung der Restverunreinigungen nutzen (Neutronen-Aktivierungs-Analyse, NAA): Gemessen wird das Spektrum der ausgesendeten Gammastrahlung; jede Linie darin ist für ein Isotop eines Elements charakteristisch, da die Gamma-Energien Differenzen von energetischen Zuständen des Atomkerns entsprechen.

Am Ende spricht das Resultat für sich: Die Dotierung ist um einiges gleichmäßiger. Bei Silicium, das durch Zonenziehen hergestellt und dabei mit Phosphor dotiert wurde, verringern sich Schwankungen des elektrischen Widerstandes von 25 Prozent über den Radius hinweg auf gerade mal 5 Prozent. Die Kosten sind um 50 Prozent gestiegen, das ist vor allem bei Leistungsbauelementen durch den Gewinn an Homogenität mehr als gerechtfertigt.

Für typische Leistungsbauelemente benötigt man zunächst eine möglichst homogene Grunddotierung durch die Kernumwandlung. Dann werden durch Eindiffundieren aus einer Gasatmosphäre oder Einschießen von Fremdatomen (Ionen-Implantation) aufeinanderfolgende p- und n-dotierte Silicium-Schichten erzeugt. Ein Beispiel für ein solches Bauteil ist der Thyristor, der zum Steuern starker Ströme dient, wie sie in der elektrischen Antriebstechnik und in der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung auftreten. Im Einsatz sind Thyristoren und spezielle Bipolar-Transistoren (IGBT) unter anderem in der Steuerung des ICE in Deutschland und des Schinkansen in Japan (Spektrum der Wissenschaft, März 1998, S. 83).

In einem Thyristor schwankt die wichtige Größe "Sperrspannung" bei insgesamt konventioneller Dotierung lokal sehr stark, zum Beispiel 600 Volt um den Wert von 4000 Volt. Für den Betrieb ist dann der niedrigste Wert von 3400 Volt ausschlaggebend, stärker sollte man den Thyristor nicht belasten. Durch Neutronen-Dotierung läßt sich die Schwankung auf 100 Volt reduzieren und dementsprechend die Schaltung störsicherer machen. Die Markteinführung derart dotierter Halbleiter erfolgte in Deutschland 1973 durch Siemens. Mittlerweile haben sie sich bei Leistungsbauelementen im Strombereich von einigen 100 bis zu einigen 1000 Ampere und im Spannungsbereich über 1000 Volt durchgesetzt. In den seit 1995 in Übertragungssytemen im Einsatz befindlichen Thyristoren konnten durch die Neutronen-Dotierung die Sperrspannungen auf 8000 Volt erhöht werden (Im ersten 1977 installierten System waren es noch 1650 Volt). Eine der neuesten Entwicklungen ist ein 110 Kilometer langes Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssystem, das die Wechselstrom-Netze von Thailand und Malaysia verbinden wird.

Im Rahmen der Halbleiter-Grundlagenforschung wurden auch Germanium, Indiumantimonid, Galliumphosphid, Galliumarsenid, Indiumphosphid, Zinkselenid und Siliciumcarbid mittels Neutronenbestrahlung dotiert. Technische Anwendungen – allerdings in geringerem Maße als in der Leistungselektronik – ergaben sich daraus wieder vor allem bei Silicium und auch bei Germanium. Beispielsweise fördert die gezielte und homogene Dotierung die Empfindlichkeit von Detektoren für Gamma- und Infrarotstrahlung, Mikro- und Radiowellen. Den häufig notwendigen hohen elektrischen Widerstand erreicht man durch n-Dotierung von p-Typ-Ausgangsmaterial – durch Kernumwandlung wird die ursprüngliche Dotierung möglichst exakt kompensiert. Die Zahl freier Ladungsträger wird so deutlich verringert und der Widerstand vergrößert.

Wie verlockend die Möglichkeiten der Kernumwandlung auch erscheinen, die Bestrahlungs-Kapazitäten der dafür geeigneten Reaktoren sind beschränkt, ein Ausbau derzeit kaum wahrscheinlich. Das mag sich ändern, wenn es gelingt, die Kernumwandlung zur Beseitigung radioaktiven Mülls zu nutzen. Theoretisch läßt sich damit etwa eines der gefährlichsten Elemente des Mülls, nämlich das Technetium-Isotop 99Tc durch Neutroneneinfang in 100Tc überführen. Die Halbwertszeit ändert sich dann von 200000 Jahren auf 15,8 Sekunden und das letztlich entstehende Ruthenium-Isotop 100Ru ist nicht radioaktiv. Auch Plutonium läßt sich durch Beschuß mit Neutronen und nachfolgende Kernspaltung in ungefährlichere Elemente umwandeln. Ein faszinierendes Konzept, das der Kernumwandlung neue Anwendungen und der Neutronendotierung mehr Zukunftssicherheit böte.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1999, Seite 80
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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