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Tagebuch: Der Biologe und sein Elch

Elch
Es ist schwer, sich dem Charme von Axel Meyer zu entziehen. Betritt man sein Eckbüro in einem Betonbau der Universität Konstanz, muss man zuerst die Tristesse der Flure abschütteln, in denen grausam der Architekturcharme der 1970er Jahre wabert. Doch dann entdecke ich hinter dem Evolutionsforscher hoch an einer ziemlich unmotivierten Säule im Raum einen gewaltigen Elchkopf.

Meyer, der uns trotz einer Erkältung gut gelaunt begrüßt, scheut sich nicht, ganz unprofessoral mit dem Elch zu spaßen (siehe Foto). Anlass unseres Besuchs im schneetristen Städtchen am Bodensee ist ein Interview, das die freie Journalistin Claudia Eberhard-Metzger und ich für die Spektrum-Reihe "Große Wissenschaftler" abhalten (das Porträt-Interview erscheint in der Mai-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft"). In dieser Serie, die alle zwei Monate nun schon einige Jahre lang läuft, will ich zeigen, welche Forscher derzeit die großen Fragen in der Wissenschaft bewegen – also die Dickbrettbohrer vorstellen. Für das demnächst erscheinende März-Heft interviewten wir beispielsweise den 42-jährigen Paläoklimatologen Gerald Haug von der ETH Zürich.

Sein Handwerk bei den Topstars gelernt

Meyer ist nur wenig älter: In diesem Sommer erreicht er die 50, und vor zwölf Jahren ließ er sich aus den USA zurückholen, als Nachfolger von Hubert Markl, der damals Präsident der Max-Planck-Gesellschaft wurde. In diesem Alter sollte man bereits wesentliche Teile seines Oeuvres vorgelegt haben, auch wenn zweifellos noch weitere Taten zu erwarten sind.

Aber an Spitzenergebnissen mangelt es bei Meyer nicht. Als Schüler von Ernst Mayr von der Harvard University sowie Allan Wilson von der Berkeley University (nicht zu verwechseln mit Ameisenforscher E. O. Wilson) stieg er in den 1980er Jahren in die Evolutionsbiologie in einem Moment ein, als gerade die ersten molekularen Verfahren auf den Markt kamen. Manche meinen, Allan Wilson sei nur wegen seines frühen Todes im Alter von 56 Jahren am Nobelpreis für seine Arbeiten zur menschlichen Evolution vorbeigeschrammt. Bei Wilson, in dessen Labor Meyer direkt neben dem anderen Topstar und Neandertalforscher Svante Pääbo (siehe Fahndung nach dem kleinen Unterschied, SdW 11/2008) an seiner Promotion arbeitete, lernte Meyer sein Handwerk, das er vor allem auf Fische anwendete.

Seen als Labore der Evolution

Genauer: Es sind die Buntbarsche, die der Wahlkonstanzer in den Mittelpunkt seiner Forschungen rückte. "Buntbarsche sind mit 2000 Arten die artenreichste Wirbeltiergattung der Erde", betont Axel Meyer. Und diesen Fischen jagt er auf vielen Teilen der Welt nach: in Ostafrikas Seen – Viktoriasee, Tanganjikasee, Malawisee – ebenso wie in Vulkanseen Lateinamerikas. "Diese Seen sind Labore der Evolution", sagt er. "Buntbarsche sind ökologisch ungeheuer anpassungsfähig – sie sind Weltmeister der Spezialisierung." Es ist beinahe gefährlich, Meyer auf dieses zentrale Thema anzusprechen. Denn dann fließt er geradezu über vor Ideen und Geschichten und weiß seine Zuhörer in den Bann zu schlagen. Man bekommt sogleich Lust, selbst bei dieser Forschung mitzumachen.

Was Meyer wie vor ihm Ernst Mayr und andere auch heute umtreibt, ist das Wesen der Arten: Was ist eine Art? Wie entstehen sie? Wie rasch entwickeln sie sich? Wie ist die Evolution der Biodiversität? Wie entsteht die morphologische Diversität? Wie und wann bilden sich neue Gene? Wohin steuert die Evolution? Bei diesen und anderen Fragen ist viel im Fluss, auch weil die Labortechnik in den letzten Jahren sensationelle Fortschritte erzielt hat. Die modernen Verfahren der Molekularbiologie – mit Genetik, Genomik und Epigenetik – erlauben es ihm und anderen, diese Probleme grundlegend neu anzugehen und neue Antworten zu finden.

Und auf diese warten nicht nur Meyers Fachkollegen. Auch die Öffentlichkeit ist begierig nach diesen Themen und den Erkenntnisfortschritten. Den schließlich geht es um die Frage: Was ist das Leben auf der Erde? Und es ist spannend zu sehen, was Forscher wie Axel Meyer dazu derzeit an Resultaten liefern.

Reinhard Breuer
Chefredakteur

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