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Springers Einwürfe: Ist die Energiewende sauber durchgerechnet?

Um natürliche Energiequellen zu erschließen, müssen wir viel technischen Aufwand treiben. Das schlägt sich in den laufenden Kosten nur teilweise nieder.
Was macht die Erneuerbaren speicherbar?

Kohle, Öl und Gas haben gut zwei Jahrhunderte lang die Industrialisierung der ganzen Welt angetrieben, und noch heute stillen sie den Löwenanteil des globalen Energiebedarfs. Allerdings stößt die Nutzung der fossilen Quellen an Grenzen: Die natürlichen Reserven sind nicht unerschöpflich, ihre Förderung wird immer aufwändiger, und die konventionelle Energiegewinnung reichert die Atmosphäre mit Kohlendioxid an.

Die klimaneutralen Alternativen Wasser, Wind und Sonne sind zwar an sich unerschöpflich, haben es aber gegen die alteingesessenen Energieträger schwer. Nicht überall und nicht immer strömt Wasser, weht Wind, scheint die Sonne; und mit der über Jahrmillionen hinweg in Kohle und Öl leicht zugänglich gespeicherten Energie können die Erneuerbaren oft nur schlecht mithalten.

Ist die Energiewende ein Verlustgeschäft?

Ist die Energiewende also rechnerisch ein Verlustgeschäft, auf das sich die Wirtschaft bloß unter moralisch-politischem Druck einlässt? Dafür scheinen so genannte Nettoenergie-Analysen zu sprechen. Sie ermitteln die energetische Rendite (energy return on investment, EROI). Die Zahl steht für das Verhältnis der in einer geförderten Brennstoffmenge vorhandenen Energie zu dem für ihre Erschließung nötigen Aufwand. Beispielsweise bedeutet ein EROI von 10, dass man zehnmal so viel Energie gewinnt, wie man investiert. Das entspricht dem Wert einer kostspielig hergestellten Hightech-Fotovoltaikanlage – auf den ersten Blick keine gute Bilanz gegenüber der rund zehnfach höheren Rendite einer sprudelnden Erdölquelle.

Doch gegen diese Rechnung legt der Nachhaltigkeitsforscher Marco Raugei von der Oxford Brookes University gut begründeten Protest ein. Sobald man die energetischen Kosten für Raffinierung und Transport des Öls bis zum Endverbraucher mit einrechnet – sie verstecken sich wohl teilweise in den massiven Steueranteilen des Benzinpreises –, fällt der Vergleich ganz anders aus: Die Rendite des Öls schrumpft von 100 auf unter 10 und liegt damit durchaus im Bereich der Fotovoltaik, die ja gleich direkt nutzbaren Strom liefert.

Der Physiker und Wissenschaftsautor Mark Buchanan listet die energetische Rendite weiterer Energieformen auf, jeweils gemittelt über mehrere Jahrzehnte. Der Strom aus Windenergie kommt demnach immerhin auf 18, hingegen bringen Biokraftstoffe kaum 5. Ein spezieller, da politisch heiß umstrittener Fall ist die Kernenergie; hier streuen die Werte für die Energierendite je nach Zählmethode zwischen 1 und 90. In einer Metastudie über all diese Schätzungen kam Physiker Manfred Lenzen von der University of Sydney in Australien schon 2008 auf eine nuklearenergetische Rendite von rund 5, indem er den gesamten Brennstoffzyklus berücksichtigte, inklusive der sicheren Lagerung der radioaktiven Abfälle.

Buchanan vermutet, die Energiegewinnung dürfte künftig nicht einfacher werden, und rechnet damit, dass sich die energetischen Renditen bei 5 oder gar 3 einpendeln. Das bedeutet: Bald würden ein Fünftel oder sogar ein Drittel der produzierten Energie von der Energiewirtschaft selbst verbraucht, anstatt der Gesamtwirtschaft zugutezukommen. Entsprechend könnte sich die Energie insgesamt verknappen und verteuern. Deshalb gehört die Zukunft denjenigen Technologien, die einen besonders sparsamen Verbrauch von flexibel nutzbaren Energieformen wie Strom versprechen.

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  • Quellen

Lenzen, M.: Life cycle energy and greenhouse gas emissions of nuclear energy: A review. Energy Conversion and Management, Volume 49, 2008

Raugei, M.: Net energy analysis must not compare apples and oranges. Nature Energyvolume 4, 2019

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