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Sprachpsychologie: Die verblüffende Macht der Sprache

Dieses Buch beschreibt die Mechanismen der Sprachverarbeitung im Gehirn – dem Dreh- und Angelpunkt für die Wortwirkung. Dort wird entschieden, was Worte beim Empfänger auslösen und welche Reaktionsketten sein Verhalten triggern. Worte wirken im Gehirn wie ein Medikament – nur schneller und zuverlässiger. Das Wissen um diese Mechanismen macht jede Kommunikation wirksamer und einfacher.
Sprache

3. Wie aus Worten Verhalten entsteht

Ob am Anfang das Wort war, wie die Bibel verkündet, oder ob es die Tat gewesen ist, wie es in Goethes Faust heißt, das wissen wir nicht. Fest steht allerdings, dass Worte Taten auslösen, seit es die Sprache gibt – von den Urlauten unserer Vorfahren bis in die Jetztzeit. Darin besteht ihre biologische Funktion.

Was sind die auslösenden Gründe für das Verhalten eines Menschen? Dieses Thema beschäftigt die Menschheit wohl seit Tausenden von Jahren. Im engeren Sinn steht hier die Frage im Mittelpunkt, warum sich jemand in einer bestimmten Situation so verhält, wie er es eben tut, und nicht anders. Warum bleibt beispielsweise ein Diskussionsteilnehmer bei einem verbalen Angriff auf seine Person ruhig und besonnen, während ein anderer emotional antwortet und »in den Saft geht«? Liegen solche Unterschiede zwischen Reaktionsweisen an der Persönlichkeit und den Eigenschaften eines Menschen, an der aktuellen Stimmungslage oder an seiner Intelligenz? Muss ein Mensch zwangsläufig so handeln und reagieren, weil er keine andere Wahl hat? Diese Fragen klärt Kap. 3. So lässt sich besser verstehen, wie Worte ein Verhalten auslösen, es bestimmen oder blockieren können.

3.1 Das Rätsel der Verhaltensunterschiede

In den letzten hundert Jahren entstanden unzählige wissenschaftliche Modelle, die das »Warum« des Verhaltens eines Menschen auf unterschiedliche Weise erklären. Eine verwirrende Begriffsvielfalt verkompliziert die Vergleichbarkeit der Aussagen dieser Modelle, wie folgende Beispiele deutlich machen: Charakter, Persönlichkeit, Temperament, Eigenschaften, das Unterbewusste, Motive, Instinkte, innere Antreiber, Einstellung, Emotionen, Psyche, Geist, Intelligenz, kognitive Verstandesfunktionen, Seele (im religiösen Sinn verstanden), genetische Veranlagung, frühkindliche und verhaltensprägende Umwelt.

Außerhalb der Wissenschaft gibt es sogar die Meinung, das Sternkreiszeichen und die Aszendenten bestimmen, wie sich ein Mensch verhält. In der christlichen Terminologie wiederum spielen der »Heilige Geist« und sein Gegenspieler »Satan« eine wichtige Rolle für die Erklärung des menschlichen Verhaltens.

Abhängig vom jeweiligen Erklärungsmodell wird die Frage, bis zu welchem Grad der Mensch einen freien Willen hat, unterschiedlich beantwortet. Steht zum Beispiel die Macht der Gene, sprich die genetische Veranlagung im Fokus, engt sich der Verhaltensspielraum durch freie Willensentscheidungen ein. Damit wäre biologisch weitgehend vorgegeben, wie sich ein Mensch beispielsweise in einem Streitgespräch verhält: ob er sich schmollend zurückzieht, ob er die »Wasserkraft« der Tränen einsetzt, um das Gegenüber umzustimmen, oder ob er mit seinen Worten Öl ins Feuer gießt und sie zum Brandbeschleuniger werden.

Manche Gehirnforscher und einige Philosophen spekulieren sogar, dass es keinen absolut freien Willen gäbe. Ausgangspunkt für diese Annahme ist unter anderem die folgende Beobachtung: Im Gehirn können bereits elektrische Impulse registriert werden, die eine Handlung einleiten und ihr vorausgehen, bevor die entsprechende Absicht bewusst wird, diese Handlung auch konkret ausführen zu wollen. Wenn Sie beispielsweise eine Tasse Kaffee trinken möchten, wird Ihnen das erst bewusst, nachdem Ihr Gehirn bereits die entsprechenden physiologischen Vorbereitungen für die dafür notwendigen Bewegungsabläufe vorgenommen hat – zur Kaffeemaschine gehen usw. Dies klingt so, als ob Ihr Gehirn entschieden hätte, dass Sie einen Kaffee trinken sollen und Ihnen das anschließend als Gedanken bewusst macht. Andere Wissenschaftler wiederum vertreten die These, das Gehirn könne in der Entwicklung so gepolt worden sein, dass sich ein Mensch gar nicht anders verhalten könne, als er sich tatsächlich verhält. Sein Gehirn ließe ihm praktisch keine andere Wahl. Mir stellt sich hier die Frage: Wozu hat die Evolution dann den Menschen als ein vernunftbegabtes Wesen mit einem Bewusstsein und dem Verstand ausgestattet, der Entscheidungen treffen kann, der Recht von Unrecht und Gut von Böse trennen kann? Durch einen Witz wird die Spekulation, dass selbst psychisch gesunde Menschen keinen absolut freien Willen hätten, jedoch ad absurdum geführt: Ein psychisch unauffälliger Einbrecher steht vor Gericht. Er sagt zum Richter: »Ich bin unschuldig, weil ich mich gegen den Impuls meines Gehirns nicht wehren konnte, diese Tat zu begehen. Es war nicht meine freie Willensentscheidung, in die Villa einzubrechen.« Der Richter antwortet: »Das gestehe ich Ihnen durchaus zu. Ich würde Sie deshalb auch gerne freisprechen. Leider habe auch ich keinen freien Willen. Der Impuls meines Gehirns lautet: Zwei Jahre Gefängnis, unbedingt.«

3.1.1 Wovon das Verhalten eines Menschen abhängt

Die vielen Versuche innerhalb und außerhalb der Wissenschaft, Menschen einer bestimmten Typologie zwingend zuordnen, sind in letzter Konsequenz zum Scheitern verurteilt. Solche Typologien sind zwar sehr populär, doch Tatsache ist, dass sich keine zwei Menschen finden lassen, die gleich denken, fühlen und handeln. Es gibt derzeit also rund 7,2 Mrd. »Typen« auf unserem Planeten. Keiner von ihnen hat einen identischen Gehirninhalt. Daher kann es auch keine Verhaltenszwillinge geben, die sich schematisch einer Typologie zuordnen ließen.

Persönlichkeitstypologien suggerieren, man könne Menschen damit nicht nur besser verstehen und einordnen, sondern sogar vorhersehen, wie sich ein Mensch verhält und typischerweise reagieren würde. All diesen Typologien ist jedoch gemeinsam, dass sie nur gewisse Teilaspekte menschlicher Verhaltensweisen abbilden: ob sich ein Mensch in einem Gespräch eher introvertiert oder extravertiert verhält, ob er gewissenhaft und zuverlässig ist oder zur Oberflächlichkeit neigt. Gänzlich falsch sind solche Typologien nie. Doch es ist bislang keiner überzeugend gelungen, Menschen mit allen individuellen Eigenschaften in ihrer Gesamtheit zu erfassen und abzubilden. Dies ist wenig überraschend, da es in der Wissenschaft keine Einigung darüber gibt, woraus die Persönlichkeit besteht; was sie prägt und formt und welcher Anteil dabei den Genen tatsächlich zuzuschreiben ist.

3.1.1.1 Verhalten und Persönlichkeit

Unter dem Begriff »Persönlichkeit« lässt sich die Summe der Eigenschaften und die Wertehaltung eines Menschen verstehen, die seine Einstellung zu wichtigen Fragen des Lebens bestimmt. Von der Persönlichkeit hängt sein Verhalten maßgeblich ab. Sie entsteht in einem nicht gänzlich geklärten Wechselspiel zwischen der genetischen Ausstattung und den frühen Lebenserfahrungen. Im Alter von sechs bis acht Jahren sind ihre Grundfeste errichtet, auch wenn das Gehirnwachstum noch nicht gänzlich abgeschlossen ist. Auf diesem Fundament baut ihre weitere Entwicklung auf. Im Gehirn selbst gibt es allerdings kein scharf abgegrenztes Areal, das auf der anatomischen Landkarte als Sitz der Persönlichkeit bezeichnet werden könnte. Sie entsteht im Zusammenwirken der einzelnen Gehirnregionen. Neuere Forschungsergebnisse zeigen: Das Gehirn ermöglicht bis ins hohe Alter neue Lernerfahrungen. Daher kann sich ein Mensch Zeit seines Lebens persönlich weiterentwickeln. Seine Grundpersönlichkeit bleibt dabei jedoch sehr stabil.

Wenn Sie bereits an einem Klassentreffen teilgenommen haben, ist Ihnen vermutlich aufgefallen, dass sich die hervorstechenden Persönlichkeitszüge der einstigen Schulkameraden nicht merklich verändert haben. Es kann natürlich sein, dass ein früherer »Heißsporn« in seinem Kommunikationsverhalten nun etwas gemäßigter wirkt und ein schüchterner Mitschüler später verbal überzeugen kann. Beides ist das Resultat einer Entwicklung in Teilbereichen seiner Person in Abhängigkeit von sozialen Lernerfahrungen. Die Grundpersönlichkeit, deren Eigenschaften bereits im frühen Alter sichtbar sind und die im Lauf der Jahre immer deutlicher hervortreten, ändert sich jedoch nicht. Nur schwere psychische Erkrankungen, etwa die Schizophrenie, oder gravierende Lebenskrisen – sieht man von religiösen Bekehrungen ab – können sie in den Grundfesten erschüttern und zu ihrer nachhaltigen Veränderung führen. Je älter ein Mensch wird, desto deutlicher zeigen sich seine in der Kindheit ausgebildeten Grundeigenschaften. So wird beispielsweise ein Mensch, der auf neue Situationen immer offen zuging, dies auch im Alter tun und sich neue Interessensgebiete erschließen. Oder, um ein zweites Beispiel zu nennen: Ein früh vorhandenes und stark ausgeprägtes Sicherheitsstreben kann später zum Altersgeiz mutieren, obwohl dafür keine wirtschaftliche Notwendigkeit besteht.

Prägender Kommunikationsstil der Eltern

Der überwiegend eingesetzte Kommunikationsstil der Eltern und der frühen Bezugspersonen wirkt sich prägend auf den ihrer Kinder aus. Er kann zum Beispiel lösungsorientiert und wertschätzend oder konfliktvermeidend und schuldzuweisend sein. Das Kommunikationsverhalten der Eltern spiegelt sich in ihren Kindern deutlich und unverkennbar wider. Vermittelt ein Mensch mit seiner Sprache vorwiegend Wertschätzung, so lässt sich davon ausgehen, dass ein wertschätzender Umgang in seiner Familie die Regel war. Ein negatives Beispiel hingegen: Spielt ein Gesprächspartner gerne den Ankläger, saß er als Kind selbst häufig auf der »Anklagebank«. Der Kommunikationsstil der Eltern spielt also eine große Rolle, wie ihre Kinder die Sprache später als Erwachsene einsetzen; als Werkzeug und Taktgeber zur Lösung von Problemstellungen und als Medium, das bei anderen Menschen gute Gefühle auslöst – was wie ein Heilmittel wirken kann. Oder Sprache wird immer wieder als Waffe verwendet, die Menschen verletzt, ihr Selbstwertgefühl untergräbt und ihre Person sowie ihr Verhalten mit Worten negativ bewertet.

3.1.1.2 Verhaltenssteuernde Bedürfnisse

Von der Persönlichkeit eines Menschen und seinen Eigenschaften wird bestimmt, welche speziellen Bedürfnisse in ihm entstehen und auf welche Weise sie befriedigt werden. Selbst bei den biologisch vorgegebenen Grundbedürfnissen, wie essen und schlafen, gibt es unterschiedliche Gewohnheiten und Vorlieben.

Die Persönlichkeit ist der Ausgangspunkt für die Interessen eines Menschen und für seine Bedürfnisse und Motive, die ihn – bewusst oder unbewusst – antreiben. Je wichtiger dabei ein Ziel für einen Menschen ist, umso intensiver ist sein Streben, den gewünschten Zielzustand zu erreichen. Hält jemand ein Ziel für nicht erreichbar, obwohl es innerhalb des Möglichen liegt, wirken Worte wie »Das schaffst du nie!« gleichsam als Befehl und Aufforderung an das Gehirn, von diesem Ziel wieder abzulassen. »Negatives Hellsehen« hat die gleiche Wirkung. Das sind Gedanken, die einen Menschen glauben lassen, er könne ein Ziel nicht erreichen, beispielsweise: »Ich fürchte, da habe ich keine Chance.«

Die Bedürfnisse und Wünsche eines Menschen sind stets von Gefühlen begleitet. Anderenfalls wären es nur abstrakte Vorstellungen, die keine Bedeutung für das eigene Verhalten hätten. Gute Gefühle wie Freude und Hoffnung wirken wie ein Brennstoff für das Verhalten und motivieren, an einem Ziel festzuhalten. Entstehen schlechte Gefühle, wie Ängstlichkeit und Mutlosigkeit, so wird die Energiezufuhr für das Verhalten gedrosselt und ein Ziel meist aufgegeben. Viele Bedürfnisse sind vorwiegend emotionaler Natur, zum Beispiel Wertschätzung und Anerkennung zu erhalten oder als der Mensch, der man ist, verstanden und akzeptiert zu werden.

Da es keine zwei gleichen Menschen gibt, sind ihre Bedürfnisse und Motive, die dem Verhalten zugrunde liegen, auch niemals völlig identisch. Selbst eineiige Zwillinge unterscheiden sich hier, indem sie beispielsweise nicht denselben Beruf ausüben und ihre Ehepartner sehr unterschiedlich im Wesen und Aussehen sein können.

Ungeachtet der vielen Erklärungsmodelle über das menschliche Verhalten basiert die Verhaltenssteuerung durch das Gehirn auf einem einfachen Grundmechanismus: Die Persönlichkeit eines Menschen bestimmt, welche persönlichen Bedürfnisse er hat, und das Gehirn entscheidet vor dem Hintergrund des abgespeicherten Wissens und der vorhandenen Erfahrungen, in welche Weise diese Bedürfnisse am besten erfüllt werden könnten. Bei solchen Entscheidungen, die ein Mensch auch weitgehend unbewusst treffen kann, wird der erforderliche Aufwand dem erwarteten Nutzen gegenübergestellt. Fällt der Saldo positiv aus, ist der Nutzen also größer als der Aufwand, löst das Gehirn jenes Verhalten aus, das am erfolgversprechendsten erscheint. Ist der Saldo ungewiss, weil ein Restrisiko besteht, ob ein Verhalten zum Erfolg führt, zeigt sich das als Zögern und als gespaltene Gefühlslage – als Ambivalenz: »Soll ich, soll ich nicht?« Menschen, die generell entscheidungsfreudiger und nicht allzu risikoaversiv sind, werden sich dann trotzdem entscheiden. Vorsichtige und sehr bedächtige Menschen schieben hingegen eine Entscheidung auf, wenn ungewiss bleibt, ob ihr Verhalten Erfolg haben wird.

Wurde das jeweilige Verhalten ausgelöst, so hat dieses stets das Ziel, die vorhandenen Bedürfnisse auf eine individuelle Weise zu befriedigen. Misslingt das, so ist das Gehirn frustriert und der Mensch enttäuscht.

Nachdem das Verhalten eines Menschen stets der Ort ist, an dem bewusst oder unbewusst getroffene Entscheidungen sichtbar werden, lässt sich schlussfolgern: Das Verhalten kann niemals lügen. Ganz im Unterschied zu den Worten, die beschönigen können oder die ganz einfach nicht der Wahrheit entsprechen.

Wenn man die zahlreichen und oft sehr unterschiedlichen Bedürfnisse, Vorlieben und Interessen, die einen Menschen antreiben, kennt, lassen sich seine Handlungsweisen besser verstehen. Dieses Wissen ist sehr wertvoll für jede Form der Kommunikation, da sich nun gezielt auf die jeweiligen Bedürfnisse des Gesprächspartners – oder von Zuhörern – eingehen lässt. Die Kommunikation nimmt so leichter den gewünschten Verlauf. Sie scheitert hingegen, wenn Bedürfnisse nicht erkannt, fehlinterpretiert oder gar missachtet werden. Diesen Punkt halte ich für wesentlich wichtiger, als darüber zu rätseln, welche Persönlichkeit ein Gesprächspartner sein könnte und wie daher die Kommunikation auf ihn abzustimmen ist. Ich rate auf meinen Seminaren den Teilnehmern sogar davon ab, Menschen in ein Kästchen zu stecken, auf dem das Etikett des jeweiligen Persönlichkeitsmodells klebt, beispielsweise »dominanter Typ«, »sachlicher Typ«, »emotionaler Typ« usw. Durch solche Kommunikationskrücken entsteht leicht die Gefahr, einem Menschen gegenüber nicht offen genug zu bleiben. Vielmehr verleiten sie dazu, mehr den »Typen« zu sehen, statt einen individuellen Menschen mit konkreten Bedürfnissen und Erwartungen im Gespräch.

Persönlichkeit bestimmt »Schicksal«

Da die Vorlieben, Neigungen und Interessen eines Menschen von seiner Persönlichkeit abhängig sind, bestimmt sie weitgehend seinen Lebensweg – sein »Schicksal«: Durch sie entscheidet sich, welche Ziele er verfolgt und was er unterlässt, was er anziehend findet oder abstoßend, welche Wertvorstellungen er teilt und welche nicht usw.

Zufall und Schicksal werden häufig miteinander gleichgesetzt. Oder es wird angenommen, der Zufall würde vom vorgezeichneten Schicksal einen Menschen bestimmt, das sich nur als Zufall maskiert. Im zwischenmenschlichen Bereich lässt sich beides jedoch klar unterscheiden, wie ich an einem Beispiel zeigen möchte. Wenn Sie zufällig einen Menschen kennenlernen, der in Ihrem Leben eine große Bedeutung bekommt, etwa weil Sie sich ihn verlieben, so war der Zeitpunkt und der Ort, an dem das geschah, ein Zufall – etwas, das nicht geplant gewesen ist. Die Tatsache, dass Sie sich ihn verlieben und dieser Zufallsbegegnung nicht »widerstehen« wollen und können, wird durch Ihre Persönlichkeit und die bestehenden Bedürfnisse bestimmt. Darin besteht der Schicksalsanteil dieser Begegnung, und dieser entscheidet zu einem wesentlichen Teil darüber, wie das weitere Leben verläuft. Gleiches gilt etwa auch in beruflicher Hinsicht, wenn beispielsweise ein Mensch, den man zufällig kenngelernt hat, zum Mentor und Förderer wird.

3.2 Kommunikationsbedürfnisse richtig erkennen

Jede Kommunikation verfolgt eine Absicht, und diese beruht auf einem oder mehreren Bedürfnissen. Eine völlig absichtslose Kommunikation gibt es nicht. Je besser auf die Bedürfnisse eingegangen wird, die ihr zugrunde liegen, umso zufriedenstellender wird sie für beide Seiten verlaufen. Sollen Worte ein bestimmtes Verhalten auslösen, ohne damit jemanden manipulieren zu wollen, ist es sogar unumgänglich, bedürfnis- und damit gehirngerecht zu kommunizieren. Die folgenden zwei Beispiele aus dem Alltag verdeutlichen, was geschieht, wenn Bedürfnisse missachtet werden.

Die missverstandene Tochter

Die sechzehnjährige Tochter erzählt ihrer Mutter, sie hätte einen festen Freund, der um vier Jahre älter ist als sie. Ihr Bedürfnis besteht darin, die Mutter – von Frau zu Frau – ins Vertrauen zu ziehen. Nachdem die Tochter die ersten Sätze ausgesprochen hat, äußert die Mutter ihre Besorgnis, wie problematisch es wäre, in diesem Alter bereits ein Kind zu bekommen. Die Tochter beschwichtigt: »Das ist mir bewusst. Ich bin schließlich kein kleines Kind mehr.« Das Gespräch wird zunehmend emotionaler und ein Wort ergibt das andere. Bis die Tochter schließlich aufsteht und sagt: »Ich wollte dir eigentlich nur erzählen, wie gut ich mich mit Tom verstehe und hatte vor, ihn euch demnächst vorstellen. Ein klasse Typ. Ich dachte, du würdest dich darüber freuen, ihn kennenzulernen. Doch stattdessen weist du mich nur darauf hin, was alles passieren könnte.« Anschließend verlässt sie die elterliche Wohnung und fährt zu ihrem Freund. Die Mutter schickt ihr eine SMS hinterher: »Ich verstehe dich durchaus. Aber leider verstehst du mich nicht.« Die Tochter antwortet: »Verstehen sieht anders aus.«

In diesem Beispiel lösten die Worte der Mutter bei ihrer Tochter ein Verhalten aus, das sie sicherlich nicht gewollt hat. Wäre sie auf das Bedürfnis der Tochter eingegangen, hätte sich diese verstanden gefühlt und die Mutter ins Vertrauen gezogen; sie vielleicht sogar um einen Rat ersucht. Das Gespräch wäre jedenfalls besser verlaufen und die Tochter würde sich anders verhalten haben. Mit wenigen Worten wäre es der Mutter möglich gewesen, zu Beginn des Gespräches ein einladendes Signal zu senden, dass sie bereit ist, auf das Bedürfnis der Tochter gerne einzugehen. Beispielsweise so: »Wie habt ihr euch kennengelernt? Ich bin gespannt, was du mir von diesem Tom erzählen wirst. Frisch verliebt zu sein, ist ein wunderbares Gefühl. Vielleicht möchtest du anschließend hören, wie ich deinen Vater kennengelernt habe.«

Was eine Ehefrau im Gespräch erwartet hätte

Die Ehefrau erzählt beim Abendessen ihrem Mann, sie habe mit dem neuen Marketingleiter, ihrem Chef, Ärger. Er sei sehr bestimmend und sie wolle sich von ihm nicht bevormunden lassen. Im Großen und Ganzen weiß die Ehefrau, wie sie damit umgehen wird. Ihr ausschließliches Bedürfnis in diesem Gespräch ist, sich den Ärger von der Seele zu reden. Nach wenigen Minuten unterbricht der Ehemann ungeduldig die Schilderungen seiner Frau und schlägt ihr vor, wie sie sich am besten verhalten könnte. »Das wäre durchaus eine Möglichkeit«, antwortet sie. »Doch ich komme damit auf meine Art und Weise zurecht.« Ohne darauf einzugehen antwortet ihr Mann: »Trotzdem würde ich an deiner Stelle klarstellen, mit diesem Verhalten nicht einverstanden zu sein.« »Lass mich nur machen«, wehrt seine Frau ab, worauf er antwortet: »Wozu erzählst du mir das eigentlich, wenn du auf meine Vorschläge nicht eingehst?« Seine Frau steht nach diesen Worten auf und sagt: »Ich räume jetzt auf. Du kannst dir in der Zwischenzeit ja die Nachrichten ansehen.« »Bist du mir etwa böse?«, fragt ihr Mann. »Nein«, antwortet seine Frau, »wenn du mir einfach nur zuhören würdest, wäre das allerdings schön für mich.«

In diesem Beispiel hätte der Mann mit den richtigen Worten das Gespräch und damit das Verhalten seiner Frau in eine andere Richtung drehen können. Beispielsweise so: »Ich höre dir gerne zu und verstehe deinen Ärger. Erzähl’ mal. Wenn du möchtest, können wir anschließend gerne darüber sprechen, wie du aus meiner Sicht mit deiner Situation am besten umgehen könntest – nur falls du das willst.« Die Antwort darauf hätte klargestellt, worin das Hauptbedürfnis in diesem Gespräch seitens der Frau bestand. Andererseits hätte sie zu Gesprächsbeginn aber auch klar ihr Bedürfnis ausdrücken können: »Bitte höre mir einfach nur zu.«

3.2.1 Das Bewusstsein über die Erwartungshaltung schärfen

Ein geschärftes Bewusstsein über die Erwartungshaltung des Gesprächspartners an die Kommunikation verbessert das Ergebnis jeder Kommunikation. Dies gilt auch für eine berufliche Besprechung, für eine Rede oder Präsentation. Hinter jeder Erwartungshaltung stehen immer konkrete Bedürfnisse. Werden diese nicht klar geäußert, besteht die Gefahr einer Fehlinterpretation durch den Empfänger. Mit einfachen Fragen seinerseits lassen sie sich jedoch klären, beispielsweise »Worum geht es dir?«, »Was erwarten Sie von diesem Gespräch?« oder »Wie kann ich zur Klärung Ihrer Frage beitragen?«

In einem Verkaufsgespräch, um ein anderes Beispiel zu nennen, ist es nützlich, die Erwartungshaltung des Kunden beim ersten Kontakt zu kennen: Möchte er sich nur über das Unternehmen und die Produkte einen Überblick verschaffen? Will er sich auch über die Preise informieren oder nur die technischen Details erfahren? Falls ja, würde der Interessent es höchstwahrscheinlich ablehnen, wenn er in ein Verkaufsgespräch verwickelt würde. Für die weitere Kommunikation mit ihm wäre das negativ. Vermutlich würde er sich rasch wieder verabschieden, um – aus seiner Sicht – nicht weiter sprachlich bedrängt zu werden. Die Worte des Verkäufers beeinflussen also das Verhalten des Kunden.

3.2.2 Die acht Wirkfaktoren in der Kommunikation

Ein identischer oder vom Inhalt her sehr ähnlicher Sprachinhalt kann auf das Verhalten von Menschen gänzlich anders wirken und völlig unterschiedliche Reaktionen auslösen. Dieses Phänomen wollen wir in der Folge näher beleuchten. So können negative Reaktionen eines Gesprächspartners oder von Zuhörern leichter vermieden und Ihre Sprachwirksamkeit erhöht werden.

Die Wirkung der verwendeten Worte auf das menschliche Gehirn hängt davon ab, wann, wo und wie etwas gesagt wird, wer es sagt und zu wem. In diesem Kontext können acht Einflussfaktoren unterschieden werden, die meist in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen. Auf die bekannten Axiome in der Kommunikationswissenschaft, die vor allem mit dem österreichisch-amerikanischen Wissenschaftler Paul Watzlawick verbunden werden, gehe ich dabei nicht ein. Denn in diesem Buch stehen die Wortwirkungen auf das Gehirn im Mittelpunkt und nicht kommunikationstheoretische Überlegungen. Gleichwohl sind diese Axiome sehr wertvoll für das grundlegende Verständnis der Kommunikationsabläufe, wie etwa das Axiom »Man kann nicht nicht kommunizieren.«

  1. Das Beziehungsverhältnis. In welcher Beziehung steht der Empfänger zum Sender? Ist sie gut oder schlecht und wie wichtig ist sie für ihn? Besteht eine gute und wichtige Beziehung zu einem Menschen, so hat beispielsweise die Äußerung »Ich würde diese Entscheidung überdenken« eine andere Wirkung als bei einer schlechten oder unwichtigen Beziehung. Im ersten Fall wird eine Entscheidung höchstwahrscheinlich überdacht. Dies kann zu einem anderen Verhalten führen. Im zweiten Fall zuckt der Angesprochene vielleicht nur mit den Schultern und denkt: »Ich bleibe trotzdem bei meiner Entscheidung.« Die Verbesserung einer Beziehung zum Empfänger hat automatisch eine höhere Sprachwirksamkeit zur Folge – er hört stärker auf die an ihn gerichteten Worte.
  2. Die gesellschaftliche Stellung und der berufliche Status des Senders. Den Worten eines Menschen, der gesellschaftlich anerkannt ist und der als kompetent gilt, wird leichter vertraut als im umgekehrten Fall. Ein Beispiel: »Mehr Bewegung würde Ihnen gut tun« sagt der Arzt, obwohl der Befund seines Patienten beim Routinecheck einer Vorsorgeuntersuchung unauffällig ist und die gemessenen Werte in Ordnung sind. Daraufhin geht der Untersuchte mit einem Bekannten aus der Nachbarschaft regelmäßig walken. Der Bekannte wundert sich über den Gesinnungswandel, da er seinen Nachbarn schon mehrmals mit den gleichen Worten dazu eingeladen hatte. Menschen, denen ein Expertenstatus zugeschrieben wird, können sich wie jeder andere auch natürlich irren. Ihre Aussagen kritisch zu hinterfragen, etwa bei einer ärztlichen Diagnose, kann daher im Zweifelsfall zu einer besseren Entscheidung führen als der blinde Glaube an eine Expertenaussage.
  3. . Die Grundstimmung beim Empfänger zum Zeitpunkt der Kommunikation und seine Tagesverfassung. Die Frau sagt in einem einladenden Ton zu ihrem Ehemann, der schlecht gelaunt ist: »Lass uns shoppen gehen. Sicherlich finden wir eine sportliche Hose mit einem passenden Jacket für dich«. Aufgrund seiner miesen Stimmung antwortet der Mann: »Dir gefällt scheinbar nicht, was ich anziehe.« Bei einer guten Stimmung hätte die Antwort vielleicht gelautet: »Prima Idee. Und du bekommst ein schönes Kleid von mir.« Wenn Ihr Gesprächspartner schlechter Laune ist, brauchen Sie Ihre Worte nicht unbedingt auf die Goldwaage zu legen. Sie sorgfältiger als üblich zu wählen wird allerdings sehr vorteilhaft für die Kommunikation mit ihm sein.
  4. Die Erwartungshaltung des Empfängers an die Kommunikation. Dieser Punkt wurde zu Beginn von Kap. 3.2.1 bereits beschrieben. Wenn Sie die Erwartungshaltung des Kommunikationspartners falsch einschätzen, misslingt oder verschlechtert sich die Kommunikation.
  5. Die Situation, in der etwas gesagt wird. Die gleichen Worte in zwei unterschiedlichen Situationen können eine völlig andere Wirkung haben, wie das folgende Beispiel zeigt. Situation 1: Zwei Arbeitskollegen unterhalten sich in der Kantine über das Abteilungsklima. »Die Situation hat sich etwas verbessert«, sagt der eine. Worauf der andere antwortet: » Letzte Woche hattest du aber eine ganz andere Auffassung«. »Man kann seine Meinung ja bekanntlich ändern«, meint sein Kollege und lächelt vielsagend. Situation 2: Bei einer Besprechung fragt der Chef, wie die Mitarbeiter das Abteilungsklima beurteilen. »Die Situation hat sich etwas verbessert« antwortet der Mitarbeiter, so wie in der Situation 1. Als sein Kollege nun dasselbe sagt wie in der Kantine – »Letzte Woche hattest du aber eine ganz andere Auffassung« – reagiert der Angesprochene darauf mit einem bösen Blick. Nach der Besprechung fragt er seinen Kollegen in einem aggressiven Tonfall: »Wolltest du mich vor unserem Chef bloßstellen, oder warum hast du das gesagt? Es war höchst überflüssig.«
    Findet die Kommunikation nicht nur unter vier Augen statt, ist die Wirkung des Gesagten auf den Angesprochenen und die Mitanwesenden immer eine besondere Überlegung wert. Negative Reaktionen können so leichter vermieden werden. Wird beispielsweise eine Mitarbeiterleistung im Beisein von Kollegen vom Vorgesetzten hervorgehoben, kann dies bei ihnen die Frage auslösen: »Sind unsere Leistungen weniger wert als seine?« Motivationsfördernd wäre das nicht.
  6. Mimik und Gestik. Ebenso wie die feinen Stimmnuancen, die beim Sprechen entstehen, drücken sie aus, wie ein Gesprächsinhalt gemeint ist – ironisch, humorvoll, ermahnend usw. Dies bestimmt auch die Reaktion und das Verhalten beim Empfänger. So werden beispielsweise ein belehrender Ton oder ein erhobener Zeigefinger zu einer Abwehrreaktion führen.
    Auf die nonverbalen Botschaften reagieren die Spiegelneuronen im Gehirn des Empfängers sehr sensibel. Diese Signale steuert das vegetative, autonome Nervensystem und sie unterliegen nicht der willentlichen Kontrolle. Daher qualifiziert sie das Gehirn des Empfängers als »ehrlich«. So wird zum Beispiel ein abschätziger Blick des Empfängers einer Antwort beim Sender Ärger auslösen. Dieser wird sein weiteres Verhalten gegenüber dem Gesprächspartner bestimmen.
    Da auch der Tonfall die Einstellung des Senders zum Empfänger zeigt und einiges über seine Gefühlslage verrät, reagiert der Empfänger entsprechend darauf. Beispielsweise zupft ein unterdrückter Ärger an den Stimmbändern und verändert den Klang der Stimme, die gepresst klingt. Die Reaktion des Gegenübers könnte beispielsweise sein: »Etwas ist nicht in Ordnung mit dir, das spüre ich doch. Nun sag’ schon, was dich stört!«
    Driften Mimik oder Gestik vom sprachlichen Inhalt ab, ist das Gehirn irritiert und qualifiziert den Inhalt als nicht glaubwürdig. Ein typisches Beispiel ist das »amerikanische« Lächeln eines Menschen: Die Mundwinkel gehen mechanisch nach oben, um damit Freundlichkeit zu signalisieren, aber die Augen lächeln nicht mit. Bei einem echten Lächeln sind die Augen jedoch stets beteiligt. Bei jedem Auseinanderdriften von Sprachinhalt und den nonverbalen Begleitsignalen warnt das Gehirn des Empfängers: »Achtung, verhalte dich lieber vorsichtig. Bezweifle, was du von diesem Menschen hörst.« Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn Ihnen jemand ausdrücklich zustimmt und seine Mundwinkel verziehen sich gleichzeitig nach unten. Wie Sie solche deutlich erkennbaren Widersprüche richtig interpretieren und warum sie oftmals übersehen werden, erfahren Sie in Teil 3 dieses Buches.
  7. Die Einstellung des Gesprächspartners zu einem Thema, über das gesprochen wird sowie seine grundsätzliche Wertehaltung. Ihr liegen stets emotionale Bewertungskriterien zugrunde: Was hält er für gut und daher richtig, was für schlecht und daher falsch? Befindet sich das, was zu ihm gesagt wird, mit seiner Überzeugung im Einklang, ist sofortige Zustimmung zu erwarten. Falls nicht, ist mit einer ablehnenden Haltung zu rechnen, die entweder direkt bekundet oder aus gesprächstaktischen Überlegungen zunächst verschwiegen wird.
    Ein einfaches Beispiel: Der Satz »Jetzt gibt es neue Sojaprodukte, die den Fleischkonsum auch in geschmacklicher Hinsicht überflüssig machen«, löst bei einem Vegetarier vielleicht die Frage aus: »Welche meinst du?«. Werden dieselben Worte als Aufforderung an einen eingeschworenen Fleischesser gerichtet, seine Essvorlieben zu überdenken, so könnte die ironische Antwort lauten: »Danke für die News von der Körnerfraktion. Aber ein zartes und energiespendendes Steak ist mir lieber als deine Sojalaibchen.« Wie ein solches Gespräch weiter verlaufen wird, lässt sich erahnen.
    Die Einstellung eines Menschen zu den Dingen, die ihm wichtig sind, und seine Grundüberzeugungen ändern sich nicht ohne Weiteres. Auch wenn es immer wieder Menschen gibt, die mit dem verbalen Vorschlaghammer andere überzeugen wollen, sie mit Vernunftappellen umstimmen oder gar zu bekehren versuchen.
    Ist die Einstellung des Gesprächspartners zu dem Thema bekannt, über das mit ihm gesprochen wird, lassen sich unbedachte Worte und dahinter lauernde Fettnäpfchen vermeiden. Dies bedeutet keinesfalls, jemandem nach dem Mund zu reden. Vielmehr werden so unnötige Widerstände in der Kommunikation vermieden. Kennt man die Überzeugung des Gegenübers nicht, können neutral gestellte Fragen Aufschluss über sie geben: »Wie ist Ihre Grundsatzmeinung zu diesem Punkt?«, »Wie denken Sie über diese Situation?«, »Was ist Ihre Einstellung zu dieser Sache?« usw. Solche Fragen helfen nicht nur, Fettnäpfchen zu vermeiden, sondern sie öffnen den Gesprächspartner und erhöhen seine Bereitschaft, eine anders lautende Meinung leichter zu akzeptieren – statt sie reflexartig abzuwehren.
  8. Die Assoziationen, die beim Empfänger durch das Gesprochene ausgelöst werden. Dieser Vorgang läuft automatisch und unbewusst bei jeder Kommunikation ab. Dabei spielen die Bahnungseffekte im Gehirn – das Priming – eine besondere Rolle, wie wir bereits in Kap. 2.2.10 gesehen haben: Jeder Sprachinhalt bahnt den Weg zu den abgespeicherten Erinnerungen, die mit dem Inhalt in Verbindung stehen oder gebracht werden. Bereits ein einziges Wort kann zu einer Assoziationskette führen und unvorhergesehene Reaktionen auslösen. Das geschieht immer dann, wenn dieses Wort für einen Menschen emotional aufgeladen ist und daher eine ganz spezielle Bedeutung für ihn hat. Das Beispiel im folgenden Kapitel zeigt, wie machtvoll Emotionen sind, die durch die Kommunikation entstehen, und wie sehr sie das Verhalten eines Menschen bestimmen können.

3.3 Worte bestimmen das Verhalten langfristig

Wie mächtig Worte sein können, indem sie sogar langfristig das Verhalten eines Menschen bestimmen, zeigt sich auf vielfältige Weise. Im positiven Fall etwa dadurch, dass sich jemand noch nach vielen Jahren an ein Gespräch erinnert; daran, was zu ihm gesagt wurde und was die Worte bei ihm auslösten. »Ich habe anschließend die richtige Entscheidung getroffen, da ich bestärkt wurde, mich selbstständig zu machen«, heißt es vielleicht nach klärenden und ermutigenden Worten. Oder: »Seit dem Gespräch mit dir vor über drei Jahren gehe ich viel offener mit einer neuen Situation um.« Worte können das Verhalten aber auch negativ beeinflussen und über einen langen Zeitraum hinweg darauf einwirken – dank des emotionalen Elefantengedächtnisses. Das folgende Beispiel, in dem acht Worte wie eine Waffe wirkten, verdeutlicht dies.

»Dein Oberarm hätte auch ein Fuß werden können!«

Bei einem Flugzeugabsturz vor 15 Jahren in Braunschweig, auf dem Weg zu einer Präsentation in Wolfsburg, zog ich mir einen Wirbelbruch zu. Dabei schrammte ich nur knapp an einer Querschnittslähmung vorbei. Seitdem lasse ich regelmäßig meine Rückenmuskulatur in einer physiotherapeutischen Gemeinschaftspraxis massieren. Die Inhaberin der Praxis ist Mitte vierzig und hat ein selbstsicheres Auftreten. Während ich auf die Behandlung meines Rückens wartete, unterhielten wir uns. Ich erzählte ihr kurz, dass ich an einem Buch über die Wirkung der Sprache arbeite. »Interessant«, meinte sie, »da könnte ich Ihnen ein Beispiel von mir erzählen. Einige falsche Worte können genügen und man wundert sich, was durch sie ausgelöst wird. Wenn Sie wollen, können Sie es im Buch verwenden.« »Schießen Sie los«, antwortete ich, »Sie machen mich neugierig.« Dann erzählte sie:

»Vor zehn Jahren hatte ich einen Freund, in den ich sehr verliebt war. Wir feierten an einem warmen Sommertag meinen Geburtstag. Freunde waren eingeladen

und es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Es gab weder einen Streit noch hatte irgendjemand zu viel getrunken. Ich trug damals eine Bluse mit sehr kurzen Ärmeln. Plötzlich sah mich mein Freund an und meinte mit einem Blick auf meinen Oberarm, der auch damals zwar kräftig, aber nicht dick war: ‚Daraus hätte eigentlich auch ein Fuß werden können.‘ Diese Worte kamen aus heiterem Himmel und sie haben mich wie ein Pfeil durchbohrt. Daraufhin habe ich ihn verlassen, was er nicht verstand. Wenn ich daran denke, fühle ich mich noch heute verletzt und werde wütend. Jedenfalls trage ich seitdem keine kurzärmelige Oberbekleidung mehr. Nimmt jemand das Wort ‚Oberarm‘ in den Mund, muss ich unwillkürlich daran zurückdenken.«

Nachdem sie das erzählt hatte, brachte sie mir ein Glas Orangensaft. Während sie es vor mir abstellte, zitterten ihre Hände leicht und die Wangen waren etwas gerötet. Klare Anzeichen einer Stressreaktion, die sie mir im Gespräch auch bestätigte. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese sympathische Frau glücklich verheiratet ist und mit beiden Beinen im Leben steht.

Als ich dieses Beispiel bei einem Kommunikationsseminar schilderte, sagte in der Pause eine Teilnehmerin zu mir, eine Diplomingenieurin Anfang dreißig: »Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Meine Beine wurden in der Pubertät von Mitschülern als Storchenbeine bezeichnet. Zehn Jahre lang trug ich daraufhin entweder lange Röcke oder Hosen. Erst als ich mir immer wieder bewusst machte, dass es sich nur um dummes Gerede von Jugendlichen handelte, hatte diese emotionale Verletzung keine Wirkung mehr auf mich. Mein Mann hat mir dabei sehr geholfen. Als ich nach längerem Zögern erstmals wieder einen kurzen Rock gekauft hatte, sagte er zu mir: ‚Für mich hast du die schönsten Beine der Welt.‘«

Emotionale Wunden schließen

Diese beiden Beispiele zeigen einmal mehr, wie sich bereits wenige Worte schädlich auf einen Menschen auswirken können. Vielleicht ließe sich hier einwenden, die Physiotherapeutin sei besonders sensibel und sie reagierte überempfindlich, da sie ihrem Freund den Laufpass gab. Dem ist entgegenzuhalten, dass nahezu jeder Mensch durch herabsetzende Kommentare zu seinem Äußeren verletzbar ist. Vor allem dann, wenn zum »Kommentator« eine persönliche Beziehung besteht und seine negative Meinung daher nicht als Schall und Rauch empfunden wird. Das Gehirn schüttet in diesem Fall Stresshormone aus, die zwangsläufig zu einem Abwehrverhalten führen – Flucht oder Kampf.

Wie wichtig Menschen ihr Äußeres ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass es einen Spiegel gibt. Auch die boomende Schönheitsindustrie und der wachsende Zulauf, den die kosmetische Chirurgie zu verzeichnen hat, sprechen hier eine deutliche Sprache. Ebenso, dass ein aufrichtiges und spontanes Kompliment blitzartig ein Lächeln in das Gesicht eines Menschen zaubern kann. Bei jeder Form einer vermittelten Wertschätzung, wofür das Kompliment nur ein einfaches Alltagsbeispiel ist, produziert das Zwischenhirn automatisch Wohlfühlhormone. Durch sie wird ein fruchtbarer Boden für die weitere Kommunikation aufbereitet.

Unbedacht ausgesprochene Worte, die einen Menschen verletzen, können leider nicht vollständig ungeschehen gemacht werden. Die entschuldigenden Worte »Das war doch nicht so gemeint« mögen für die emotionale Verletzung vielleicht ein kleines Trostpflaster sein, allerdings nicht mehr. Denn der Verletzte wird sich fragen: »Warum hast du es dann so gesagt?«

Eine emotionale Wunde, die durch Worte entsteht, lässt sich nur mit einem offenen Eingeständnis ohne rechtfertigende Relativierung heilen – was Menschen oftmals sehr schwer fällt. Dieser Heilungsversuch könnte beispielsweise so klingen: »Ich bin ein ziemlicher Dummkopf, wenn ich so etwas zu dir sage und dich damit verletze. Leider kann ich das nicht mehr rückgängig machen. Würdest du mir bitte verzeihen?« Wird eine solche Entschuldigung angenommen, überschreibt sie die Spurrillen im emotionalen Gedächtnis, die durch beleidigende und demütigende Worte dort hinterlassen wurden. Gänzlich gelöscht werden sie jedoch nicht.

Literatur

1. Asendorpf JB, Neyer FJ (2012) Psychologie der Persönlichkeit. Springer, Berlin

2. Hüther G (2013) Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Limitierte Sonderausausgabe, die zwei weitere Grundlagenwerke dieses Autors enthält (Die Macht der inneren Bilder. Biologie der Angst). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

3. Roth G (2011) Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Klett-Cotta, Stuttgart

4. Watzlawick P (2011) Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. Huber, Bern

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