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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,


"Ein romantischer Schleier liegt über den Anfängen der menschlichen Urgeschichte, über dem Bild schweifender Jäger und Sammler in der Weite afrikanischer Savannen vor Millionen Jahren", schrieb Brian M. Fagan in seinem Buch "Journey from Eden", das auf deutsch 1991 unter dem Titel "Aufbruch aus dem Paradies" bei C. H. Beck herauskam (Spektrum der Wissenschaft, April 1992, Seite 138). Und weiter: "Die Wirklichkeit ist prosaischer. Wir wissen nun, daß die Urmenschen in ihrem Verhalten viel äffischer gewesen sind, als man früher annahm."

Juckt uns das? Gewiß, viele Zeitgenossen fanden es höchst shocking, als Charles Darwin 1871 unsere Abkunft aus dem Tierreich konstatierte; aber mittlerweile dürften sich wohl die meisten Angehörigen der Gattung Homo an den Gedanken gewöhnt haben, zumal die ZweibeinerStatur mit dem erhobenen hirnreichen Haupt, Sprache, Bewußtsein, Selbstreflexion, Vorausschau und transzendierendes Denken, der Gebrauch von Werkzeug und Feuer und die Kulturleistungen zumindest der letzten Jahrzehntausende einen gehörigen Abstand zu der tierischen Verwandtschaft bezeugen.

Nun hat allerdings Darwins Formulierung des Evolutionsprinzips, die Selektion begünstige "the fittest", ein Mißverständnis aufkommen lassen, daß nämlich die überlebenden Organismen die schlechthin optimalen seien und die höchstentwickelten alle früheren Stufen weit unter sich hätten. In Wahrheit schleppt jede Art hauptsächlich Erbteile ihrer Vorgänger mit sich herum. Unsere Bilateralsymmetrie etwa ist ein in Urzeiten entstandenes Muster des Körperbaus, das wir außer mit allen Wirbel mit den Manteltieren und den Schädellosen teilen – wir sind vom Stamme der Chordata.

Wie steht es also um die menschliche Natur? Beobachtungen an den erst in diesem Jahrhundert entdeckten Bonobos könnten einen zu dem Verdacht bringen, Anthropologe Fagan habe mit dem Komparativ "äffischer" weniger die Krone der Schöpfung angekratzt, als vielmehr den uns nächsten Primaten bös Unrecht getan. Denn charakteristisch für diese Zwergschimpansen, so berichtet Ethologe Frans B. M. de Waal (Seite 76), "sind die zentrale soziale Stellung der Weibchen, die Gleichwertigkeit der Geschlechter und die stark ausgeprägte Sexualität, mit der vielfach Aggressionen abgefangen werden".

"Make love, not war" – erinnern Sie sich?Mehr Frauen sollten diese Zeitschrift lesen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1995, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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