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Die Reaktion von Großunternehmen auf den veränderten Rüstungsmarkt


Außer durch die allgemeine Rezession und Kürzungen der Rüstungs-Etats am Ende des Kalten Krieges wird die Waffenbranche in Deutschland durch das Auslaufen großer Bundeswehrprogramme getroffen: Die Serien für das Hauptprogramm des Heeres sowie das wichtigste Programm der Luftwaffe – Panzer des Musters Leopard II und Jagdbomber vom Typ Tornado – gingen zu Ende.

Die größten deutschen Rüstungsunternehmen standen und stehen dem Thema Konversion trotzdem noch skeptisch gegenüber. Der Ansatz zum grundlegenden Wandel gilt ihnen als zu wissenschaftsbestimmt, gewerkschaftlich vorgeprägt und hochgradig ideologisiert. Selbst der Begriff Konversion löst affektive Abwehrmechanismen aus; statt dessen sprechen die Manager lieber zurückhaltend und verschleiernd von Produktsubstitution.

Deren Realisierung kann für den Arbeitnehmer aber nun gerade Entlassung bedeuten: Entscheidet sich eine Unternehmensleitung für die Herstellung ziviler Güter, gibt sie dafür unter Umständen einen Standort der Rüstungsproduktion gänzlich auf; denn betriebswirtschaftlich gesehen lassen sich bestehende Fertigungslinien nur selten kostenoptimal auf zivile Produkte umstellen. Im Extremfall kann es sich – schon wegen der Zuschüsse der öffentlichen Hand für Neuinvestitionen und mit Blick auf eine moderne Werksgestaltung – lohnen, sozusagen auf der grünen Wiese neben dem Stammwerk neue Hallen hochzuziehen. Arbeitnehmer werden dann mit dem Hinweis entlassen, daß sie bei entsprechender Qualifikation im neuen Werk eventuell wieder Beschäftigung fänden.


Erste Konversionskonzepte

Der Panzerbauer Krauss-Maffei hat sich unter dem Motto "Ökologie durch Ökonomie" besonders intensiv in Konversionsprojekten engagiert. Lokomotiven, traditionell das zivile Standbein des Unternehmens, boten jedoch keine Ausweichmöglichkeiten – der Ersatzbedarf der Bundesbahn liegt bei acht Aggregaten pro Jahr. So wurde deshalb der Bereich Kunststoffbearbeitung gezielt zum Umwelttechnik-Unternehmensteil ausgebaut.

Mittlerweile bietet Krauss-Maffei die Wiederverwertung verschmutzter und lackierter Thermoplaste an, das Recy-cling von Duroplasten, die Aufbereitung von Bleischlämmen, Altölen, Lackschlamm aus der Automobilindustrie und Kühlschmiermitteln der spanabhebenden Fertigung; außerdem gehören Herstellungsverfahren ohne Einsatz von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs) sowie selbst die Aufbereitung von Hefe von Brauereien zum Programm. Der kommerzielle Erfolg dieser Strategie bleibt allerdings abzuwarten.

Größere Unternehmen verzeichnen einstweilen recht gemischte Konversionserfahrungen. Nach Verlusten in Höhe von mehreren hundert Millionen Mark entschied sich die Deutsche Aerospace (Dasa), die eine Monopolstellung im deutschen Militärflugzeugbau innehat, aus ihrem Engagement in der Medizintechnik wieder auszusteigen.

Dabei hatte alles gut angefangen. Das zum Konzern gehörende Unternehmen Dornier in Friedrichshafen hatte den Stoßwellen-Lithotripter zur Zertrümmerung insbesondere von Nieren- und Gallensteinen entwickelt, der zumeist einen chirurgischen Eingriff unnötig macht (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1991, Seite 44). Die schonende Behandlung wäre theoretisch auch preiswerter als eine Operation. Doch die Kostenmechanismen in der Bundesrepublik wirken neuen Techniken häufig entgegen: Das finanziell überlastete Gesundheitswesen findet es nach wie vor einfacher, teure konventionelle Eingriffe samt Folgekosten zu finanzieren, als massiv in hinreichend viele neuartige Anlagen zu investieren. Der Medizinsektor der Bundesrepublik scheint wegen gesellschaftlicher Barrieren konvertierungswilligen Rüstungsunternehmen kein Refugium zu bieten.

Gleiches gilt für den Sektor Verkehr. Aus der Waffenindustrie kamen verschiedentlich durchaus überzeugende Vorschläge, die nunmehr einhundert Jahre alten Massenverkehrsmittel Straßenbahn und Omnibus durch ökologisch attraktivere Systeme wie Magnetschwebebahnen abzulösen. Doch die überschuldeten Kommunen finden es kurzfristig billiger, die eingeführten Systeme beizubehalten und weiter auszubauen, anstatt den Sprung in alternative technische Konzepte zu wagen.

Damit verweist die Frage nach Konversionsmöglichkeiten auch auf unser politisches System, das offenkundig wenig geeignet ist, ungewöhnlichen Anforderungen mit ungewöhnlichen Maßnahmen zu begegnen; statt handlungswillige Akteure zu unterstützen, fördert es das Beharren auf Konventionen.

So fallen die nunmehr angestrebten Umwandlungsprojekte bescheidener aus als zunächst beabsichtigt. Die Dasa etwa investiert 350 Millionen Mark in eine Tochtergründung für den Bereich Mikroelektronik, die Telefunken microelectronic (Temic). Man setzt auf künftig 4000 neue Arbeitsplätze und einen Jahresumsatz von zwei Milliarden Mark.

Sehr innovativ ist dieser Schritt allerdings nicht. Ausländische Konkurrenten, etwa der französische Produzent von Jagdflugzeugen Dassault, hatten solche Ausgründungen schon vor Jahrzehnten vorgenommen, um der steigenden Bedeutung der Elektronik in der Rüstung nachzukommen.

Für die Dasa-Mutter Daimler-Benz könnte sich die Neugründung jedoch, mit Blick auf den Bereich Mercedes-Benz und die sich im Automobilbau abzeichnende noch wachsende Bedeutung elektronischer Komponenten, am Ende gleichwohl lohnen. Immerhin sind Einzelaspekte des Engagements durchaus innovativ: Außer Firmenteilen aus den Luftfahrtaktivitäten wurde der vormals mit militärischen Radaranlagen beschäftigte Bereich der AEG in die neue Mikroelektronik-Firma eingebracht. So wird nicht lediglich ein Geschäftszweig konvertiert, sondern auch versucht, ein hauptsächlich zivil orientiertes Unternehmen aufzubauen und zu optimieren.

Ein zweites Merkmal dieser Gründung gibt der Konversion gute Startchancen: Daimler-Benz hat sich verpflichtet, 20 Prozent der Erzeugnisse ihrer neuen Tochter – hauptsächlich Kraftfahrzeug-Ausrüstung – selbst zu kaufen. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind Halbleiter und Mikrosysteme, aber auch die sogenannte Sondertechnik – in Deutschland die verhüllende Bezeichnung für Rüstungstechnik. Doch soll deren Anteil am Umsatz zehn Prozent nie überschreiten.

Bemerkenswert ist schließlich, daß die AEG ihre Anteile an der französischen Militärelektronikfirma Matra MHS in Nantes mit einbringt. Dies signalisiert eine europäische Orientierung der Industrie und legt eine grenzüberschreitende Dimension der Konversionsstrategie an.


Beharrungstendenzen

Es mag in der gegenwärtigen Situation tatsächlich schwierig sein, neue kühne Ideen oder gar Großprojekte der Konversion durchzusetzen. Hinzu kommt aber das Bestreben der deutschen Rüstungsindustrie, sich auf dem enger werdenden angestammten Markt zu behaupten und dabei die eigene Position sogar zu verbessern.

Versucht wird das zum einen durch verschärfte Kapazitätskürzungen, im Industriejargon Down-Sizing genannt. Beispielsweise meldete die Deutsche Aerospace 1990 erstmals dramatische Auftragseinbußen von 43 Prozent. Zunächst wurde der damit unumgängliche Arbeitsplatzabbau im Rahmen natürlicher Fluktuationen bewältigt, das heißt, 1991 und 1992 wurden jeweils 4000 freiwerdende Stellen nicht neu besetzt. Im Jahr darauf verblieb ein Bestand von rund 25000 Arbeitnehmern, rund 46 Prozent der Belegschaft, im Rüstungsbereich; da aber kündigte die Unternehmensleitung drastische Personaleinsparungen an, die weit über die Fluktuationsrate hinausgingen.

Im gesamten deutschen Flugzeugbau sollten zunächst 16000 von rund 80000 Stellen – also 20 Prozent – gestrichen werden. Als im November 1993 verlautete, es sei wohl bald mit Überschreiten der 30-Prozent-Marke bei den Entlassungen zu rechnen, und sechs Betriebsstätten, verstreut über das ganze Bundesgebiet, müßten geschlossen werden, hatte das anhaltende Protestaktionen zur Folge: Bleiben Maßnahmen des Strukturwandels aus, die Hoffnung erwecken könnten, wird das soziale Klima rauher.

Die Unternehmen koppeln inzwischen unverblümt Auftragslage im angestammten Tätigkeitsfeld und Verlust von Arbeitsplätzen. Würde der Eurofighter – das umstrittene künftige Standard-Jagdflugzeug (Bild 2) – nicht gebaut, kündigte die Dasa weitere Stellenkürzungen an: In den Werken Augsburg und Manching, den vormals berühmten Messerschmitt-Fabriken, würden dann die Belegschaften halbiert. Um straffes Kostenmanagement zu demonstrieren, verzichtete das Unternehmen auf die Teilnahme an der diesjährigen Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin.

In der deutschen Industrie scheint Konsens darüber zu herrschen, daß die heimische Rüstungsbranche weiter stark beschnitten werden muß. Intern heißt es, daß von insgesamt 180000 Arbeitsplätzen in diesem Sektor binnen weniger Jahre 85000 verlorengehen dürften. So sei das Ziel, mit einer verkleinerten Belegschaft die Produktivität zu steigern, schon um auf dem integrierten europäischen Markt eine bessere Ausgangsposition zu haben.

Eine zweite Strategie der Konversionsverweigerung ist die fortwährende Konzentration nationaler Kapazitäten und finanzieller Mittel. Sicherlich wurde die Dasa aus anderen Gründen unter dem Dach des Daimler-Benz-Konzerns gegründet, doch ist eine Strukturbereinigung des deutschen Luftfahrtsektors jetzt viel direkter möglich.

Vergleichbare Prozesse sind in der Panzerfertigung, der zweiten Säule der deutschen Rüstungswirtschaft, zu verzeichnen. So veräußerte die Firma Krupp, einst die erste deutsche Rüstungsadresse, mit der Krupp-MAK Kiel ihre letzten Interessen im Panzergeschäft an die Firma Rheinmetall, ihre alte Rivalin. Diese nimmt nunmehr außer der Spitzenstellung im Bau schwerer Kanonen auch für Tanks die führende Position beim Bau von Schützenpanzern ein, einer traditionellen Besonderheit im deutschen Rüstungswesen.

Außerdem sind Konzentrationen über die engere Rüstungsbranche hinaus zu erwarten. Die größten deutschen Industrieunternehmen scheinen sich mit Rüstungsfirmen verbinden zu wollen – Daimler-Benz und Dasa sind kein Einzelfall. Wer im Rüstungsgeschäft bleiben und neue Waffen entwickeln will, benötigt viel Kapital; für Großunternehmen wiederum ist es günstig, sich mit speziellem Know-how über Entwicklungen der Hochtechnologie für den härteren Wettbewerb auf dem integrierten europäischen Markt wie auf dem engeren internationalen Rüstungsmarkt wappnen zu können. So hat Siemens seine Interessen in der militärischen Elektronik unauffällig abgerundet und ist heute die wichtigste Bezugsquelle in diesem Sektor.

Dem Strukturwandel in Richtung ziviler Innovationen könnte dieser Trend künftig sogar förderlich sein. Denn wenn nunmehr die größten deutschen Unternehmen auch die größten rüstungstechnischen Produzenten sind, der militärische Anteil aber nur einen geringen Prozentsatz an den Umsätzen ausmacht, sollte dies Konversionsprojekte eigentlich erleichtern (Bild 1 ).

Ein drittes retardierendes Moment ergibt sich, wieder im Zusammenhang mit der anstehenden Europäisierung, aus der Bildung internationaler Verbünde. Die Panzerbauer und Hersteller von Kampfflugzeugen, in der europäischen Geschichte lange Erzrivalen und Horte nationalistischer Politik, arbeiten nunmehr dauerhaft zusammen, um bestehen zu können.

Internationale Kollaboration ist zwar in der westeuropäischen Rüstung nichts Neues – die wichtigsten NATO-Waffensysteme sind so entstanden; innovativ sind aber die Kooperationsformen. Bislang bevorzugten die Firmen Arbeitsgemeinschaften der rechtlich lockersten Art, um später um so härter zu konkurrieren: Sie gründeten ein durch das Projekt definiertes Unternehmen und lösten es nach Abschluß sofort wieder auf; meist initiierten die Verteidigungsminister der NATO-Staaten derartige Zusammenschlüsse. Neuerdings aber beteiligen sich einstige Wettbewerber aufgrund eigener Entscheidungen an langfristigen Vorhaben, die durchaus die Grundlage für Konzentrationsbewegungen auf internationaler Ebene abgeben könnten.

So ist Daimler-Benz mit seinem französischen Rivalen Panhard eine Vertragsgemeinschaft zur Entwicklung eines leichten Kampfpanzers eingegangen. Mit dem Daimler-Konkurrenten Rheinmetall hat der französische Konzern Peugeot, dem sowohl Panhard als auch dessen alter Rivale Levassor gehören, einen Vertrag zur Entwicklung eines leichten Schützenpanzers geschlossen, dessen Name Programm ist: European Light Armoured Vehicle (EuroLAV). Die Gründung von Eurocopter, der Vereinigung aller französischen Hubschrauber-Interessen in einer einzigen Firma, signalisiert eine ähnliche Entwicklung im Luftfahrtsektor.

Dieses dritte Konzept enthält Elemente der anderen beiden: Kapazitätskürzung und Konzentration. Die Folgen für den Arbeitsmarkt und die betroffenen Kommunen könnten dramatisch sein. So fürchtet der Stadtrat von München eine De-Industrialisierung infolge des Rüstungsabbaus im Hubschrauber- und Panzerbau.

Mit der Warnung vor Massenentlassungen und Standortschließung soll die öffentliche Hand auch für umstrittene zivile Projekte gewonnen werden. So forderte die Dasa schon 1991, die Bundesregierung solle die Ausgaben für die Raumfahrt jährlich um zwölf Prozent bis zur Jahrhundertwende steigern und sich danach erneut gezielt in der bemannten Raumfahrt engagieren. Entsprechende Absichtserklärungen der Europäischen Raumfahrt-Agentur könnten darauf hindeuten, daß diese Wünsche gehört worden sind.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1994, Seite 101
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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