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Energetische Demontage


Noch immer haftet Sprengstoffen der Mythos des unkalkulierbaren Risikos an. Special Effects in Actionfilmen scheinen das nahezulegen, beweisen aber das Gegenteil, sind sie doch minutiös geplant, um Leib und Leben der Schauspieler zu schützen und die Produktionskosten kalkulierbar zu halten.

Sprengstoffe bilden – von der Öffentlichkeit weniger beachtet – längst ein wichtiges Hilfsmittel in speziellen technischen Bereichen. Damit vermag man Material ohne großen maschinellen Aufwand mit hoher Energie zu zerkleinern oder umzuformen; Beispiele sind insbesondere Abbrucharbeiten (Bild) und das Sprengschweißen, -schneiden, -plattieren, -kompaktieren und das Tiefziehen von Metallen. Zur Zeit wird darüber nachgedacht, wie man dieses Werkzeug häufiger zur Demontage von Industrieanlagen und sogar von einzelnen Geräten nutzen kann; man spricht dann von energetischer Demontage.


Stand der Demontage-Technik

Größere Anlagen zerteilt man herkömmlich zunächst manuell, beispielsweise mit Brennschneidern oder Trennscheren, in transportable Einheiten. Die werden dann geshreddert oder – sofern es sich um intakte Bauteile handelt – wiederverwendet. Kleinere Geräte kommen oft direkt in die Shredderanlagen. Wichtig ist es, nach verschiedenen Materialien zu trennen, was nach dem Zerkleinern sehr aufwendig ist.

Wenn die zu demontierenden Anlagen – etwa Autobahnbrücken oder Gebäude – höher als 30 bis 40 Meter sind, wird die Sprengtechnik bevorzugt. Dazu bohrt man zunächst Hohlräume für die Sprengladungen. Man könnte sie auch äußerlich befestigen, doch sind verdämmte, das heißt im Sprengobjekt eingeschlossene Ladungen 15- bis 20mal wirksamer.

Um Stahlbetonanlagen sicher und erschütterungsarm zu demontieren, muß man oft ein enges Raster von Bohrlöchern im Abstand von 30 bis 50 Zentimetern einrichten; für eine Autobahnbrücke oder ein Hochhaus sind häufig mehrere tausend mit manuell geführten Bohrhämmern angelegte Hohlräume erforderlich. Gebäude schwächt man deshalb zuvor etwa durch das Entfernen aller nichttragenden Zwischenwände und Säulen und reduziert so den erforderlichen Sprengaufwand (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1995, Seite 14).

Für reine Stahlstrukturen sind außen angelegte, leistenförmige Schneidladungen gut geeignet. Aufgrund ihrer Geometrie konzentriert sich deren Wirkung weitgehend in eine Richtung. Zudem enthält jede auf der dem Stahl zugewandten Seite einen metallausgekleideten, dachförmigen Hohlraum. Bei der Detonation wird die Auskleidung schnell zu einem messerförmigen Schneidstrahl verformt, der das Sprengobjekt mit hoher Geschwindigkeit durchtrennt. Weil diese Vorrichtungen manuell angebracht werden müssen, sind sie nur an leicht zugänglichen Stellen einsetzbar.


Neue Entwicklungen

Bislang schien es wenig lohnend, auch kleinere technische Geräte und Bauten energetisch zu demontieren, zumal Trenn- und Demontagesysteme auch mißbraucht werden können.

Doch nun haben wir an unserem Institut im Rahmen einer Machbarkeitsstudie ein Verfahren entwickelt, das den Aufwand minimiert und sicher ist. Es beruht auf der einfachen Idee, schon bei Konstruktion und Montage an später zu trennenden Stellen ein Hohlleitungssystem vorzusehen, das sich – freilich erst nach dem Gebrauch des Geräts – mit Sprengstoff füllen läßt. Besonders vorteilhaft ist es, wenn sich dieses System auch für die eigentliche Funktion des technischen Gerätes nutzen läßt, etwa um die mechanische Festigkeit durch Hohlräume zu verbessern und dabei Gewicht einzusparen. Man kann aber auch Hohlleitungen verwenden, die ohnehin für den Gebrauchszweck vorhanden sind, wie Brems-, Hydraulik- oder Pneumatikleitungen.

Das Leitungssystem muß so angelegt sein, daß Explosivstoff an die beabsichtigten Trennkanten und -punkte herangeführt wird. Es ließe sich auch abschnittsweise mit Winkel-, Parabol- und Kegelprofilen versehen, um eine konzentrierte, gerichtete Schneidwirkung zu erzeugen. Nachdem zunächst die Dichtigkeit geprüft wurde, füllt man die vom Konstrukteur vorgesehene Menge Explosivstoff in gasförmiger, flüssiger, pastöser oder fester Form ein und zündet.

Dieses Verfahren dürfte gegenüber konventionellen Demontagetechniken wesentlich schneller sein, wird nur minimalen Energie- und Personalaufwand erfordern und kann wohl leicht automatisiert werden, was zusätzliche Sicherheit und noch größere Zeitersparnis bringt. Der Explosivstoff wäre während der Nutzung nicht im Gerät, könnte also auch nicht unbeabsichtigt gezündet oder zweckentfremdet werden; die Trennungskanten und -punkte ließen sich vorher festlegen und erleichterten somit das spätere Separieren auch an nicht mehr zugänglichen Positionen. Die Demontage erfolgte zudem innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde – gefährliche, labile Zwischenzustände, wie sie beim üblichen Abriß größerer Anlagen auftreten, werden vermieden.

Im Rahmen unserer Studie haben wir verschiedene Kunststoff-Schlauchtypen unterschiedlicher Durchmesser mit diversen Flüssigsprengstoffen gefüllt. Als Versuchsobjekte dienten Metall- und Faserverbundgehäuse wie ausgediente Telephonsäulen und Elektroschaltkästen unterschiedlicher Wandstärke; darauf wurde ein solches Schlauchsystem mit Durchmessern unter sechs Millimetern aufgeklebt.

Stets ließ sich mit den Flüssigsprengstoffen das Objekt relativ einfach und schnell trennen. Die Explosivstoffsysteme müssen allerdings noch hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit (es entstehen Schwaden analog Verbrennungsabgasen), Handhabbarkeit, Zweckgebundenheit und Wirksamkeit verbessert werden. Sodann gilt es, die Voraussetzungen wirtschaftlichen und erfolgreichen Demontierens durch Versuche festzulegen. Da das Hohlleitungssystem am besten schon bei der Herstellung eingebracht wird, zeigen derzeit vor allem Montagebetriebe, insbesondere japanische Firmen, Interesse.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1996, Seite 95
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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