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Hochschulwissenschaftler - Ansprüche und Leistungen

Eine Befragung der Lehrenden und Forschenden an westdeutschen Hochschulen – eingebunden in ein internationales Großprojekt – zeigt viele bisher unbekannte und zum Teil erstaunliche Einzelheiten dieses Berufsbildes auf.

Deutsche Universitätsprofessoren widmen, über ein ganzes Jahr gemittelt, ungefähr 40 Prozent ihrer Arbeitszeit der Forschung. Dieser Befund widerlegt die oft aufgestellte Behauptung, sie könnten dieser Aufgabe wegen der Studentenmassen nicht genügend nachkommen.

Selbst während der Vorlesungszeit stieg der für die Forschung aufgewandte Zeitanteil während der letzten Jahre an: von 23 Prozent im Wintersemester 1976/77 auf immerhin 29 Prozent im Sommersemester 1992. Allerdings dominiert dann die Lehre eindeutig mit 43 Prozent; dieser Anteil ist höher als in vergleichbaren Industrieländern. Auf wissenschaftliche Dienstleistungen entfallen acht, auf Verwaltungstätigkeit 16 und sonstige Aufgaben fünf Prozent. In der vorlesungsfreien Zeit hingegen werden 53 Prozent der Arbeitszeit für die Forschung und 20 Prozent – knapp halb soviel wie während des Semesters – für mit der Lehre zusammenhängende Aufgaben aufgewandt.

Nach ihren allgemeinen persönlichen Interessen befragt, wollen die meisten Universitätsprofessoren Forschung und Lehre in ihrer Arbeit verbinden; 59 Prozent neigen dabei jedoch mehr zur Forschung, 30 Prozent mehr zur Lehre. Eher die Ausnahme sind eindeutige Präferenzen: Sieben Prozent würden sich gerne primär der Forschung widmen, nur fünf Prozent der Lehre (Bild 1).

Trotz der daraus erkennbaren Bevorzugung der Forschungstätigkeit konzentrieren sich die deutschen Universitätsprofessoren damit noch stärker auf die Lehre als ihre Kollegen in Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, Japan, Israel, Australien und Hongkong. Nur Professoren an den Universitäten in den USA sowie in Mexiko, Brasilien, Chile und Südkorea bevorzugen noch mehr die Lehre. Das ist eines der vielen überraschenden Ergebnisse einer großangelegten international vergleichenden Studie zum Wissenschaftlerberuf in den genannten 13 Ländern. Die Untersuchung war 1990 von der amerikanischen Carnegie Foundation for the Advancement of Science angeregt worden.

In Deutschland ist daran das Wissenschaftliche Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung (WZ I) der Gesamthochschule Kassel beteiligt. Es hat 1992 mehr als 10000 hauptberuflich wissenschaftlich Tätige an 18 stichprobenartig ausgewählten deutschen Hochschulen mit rund 60 Fachbereichen befragt. Von dem als "ausreichend" eingeschätzten Rücklauf waren 2801 Fragebogen auswertbar. Die Antwortenden wurden dabei in drei Gruppen eingeteilt: Universitätsprofessoren, Mittelbau an Universitäten sowie Fachhochschulprofessoren, die für den internationalen Vergleich unter die Rubrik "Dozenten anderer Hochschulen" eingereiht wurden.

Im Februar 1995 gab das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, das den deutschen Teil der Studie finanziert, zwei Publikationen heraus, beide von dem Geschäftsführenden Direktor des WZ I, Ulrich Teichler, und seinem Mitarbeiter Jürgen Enders verfaßt: "Berufsbild der Lehrenden und Forschenden an Hochschulen. Ergebnisse einer Befragung des wissenschaftlichen Personals an westdeutschen Hochschulen" und "Der Hochschullehrerberuf im internationalen Vergleich. Ergebnisse einer Befragung über die wissenschaftliche Profession in 13 Ländern". Die – nur Westdeutschland betreffende – nationale Publikation geht stärker auf Details wie etwa die Verteilung auf die einzelnen Disziplinen ein, während der internationale Teil das westdeutsche Hochschulsystem mit seinen Besonderheiten deutlich zu machen sucht.


Professoren lehren, Nachwuchs forscht

Beide Studien sind ungefähr gleich eingeteilt. Die Fragen und Antworten betreffen Berufsweg und -tätigkeit, Arbeitsaufwand und Zeitbudget, Arbeitsbedingungen und berufliche Zufriedenheit, Aspekte von Lehre, Studium und Forschung, wissenschaftliche Produktivität, institutionelle Aspekte von Verwaltung und Entscheidungsstrukturen sowie das Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft. An den aufbereiteten Daten sind außer dem Zeitbudget mit den persönlichen Einstellungen zu Forschung und Lehre besonders interessant die Situation des universitären Mittelbaus, die Unterschiede zwischen den Disziplinen und die Frage der institutionellen Bindung innerhalb der Hochschule sowie die Stellung der Wissenschaftler und der Hochschule in der Gesellschaft.

Während die deutschen Universitätsprofessoren über Erwarten intensiv die Lehre pflegen, ist das Verhältnis von Lehre und Forschung bei den Angehörigen des universitären Mittelbaus genau umgekehrt: Sogar während der Vorlesungszeit verwenden sie nur 26 Prozent ihrer Arbeit auf die Lehre, aber 49 Prozent auf die Forschung; in der vorlesungsfreien Zeit sind es zwölf gegenüber 61 Prozent. Deutschland ist damit das einzige der untersuchten Länder, in denen die Angehörigen des Mittelbaus weniger Stunden unterrichten als die Professoren. Nur in Japan und Israel wurden ähnliche Verhältnisse registriert. Die Fachhochschulprofessoren hingegen verbringen den größten Teil ihrer Arbeitszeit mit Lehraufgaben: 69 Prozent während der Vorlesungs-, 44 Prozent während der vorlesungsfreien Zeit. Sie stehen damit in der Gruppe der "Dozenten anderer Hochschulen" international an der Spitze.

Des weiteren belegen die Ergebnisse der Studie, wie unsicher die berufliche Situation des universitären Mittelbaus an westdeutschen Universitäten ist: Mit 21 Prozent ist der Anteil der unbefristet Beschäftigten dieser Kategorie geringer als in jedem anderen untersuchten Land (Bild 2). Die Professoren an Universitäten und Fachhochschulen hingegen sind relativ gut abgesichert.

Alle drei Gruppen beurteilen die personelle und materielle Ausstattung ihrer Hochschule für die eigene Arbeit schlechter, als es dem Mittelwert der Angaben aus allen 13 Ländern entspricht; lediglich japanische und britische Universitätsangehörige empfinden sie noch negativer. Wegen der Übereinstimmung zwischen Professoren und Mittelbau an den deutschen Universitäten in dieser Frage vermuten Enders und Teichler, "daß die Mittelbauangehörigen in der Regel einen guten Zugang zu den vorhandenen Ressourcen haben". Während die Professoren die Verfügbarkeit der Forschungsmittel zu 58 und die Angehörigen des Mittelbaus zu 54 Prozent positiv bewerten, liegen die deutschen Fachhochschulprofessoren mit 31 Prozent ganz am Ende der internationalen Skala.


Fachspezifische Unterschiede

Außer soziologischen Unterschieden in der Herkunft – Mediziner und Juristen stammen im Mittel häufiger als andere aus einem Akademiker-Elternhaus – verdeutlicht die Studie die materiellen Unterschiede zwischen den einzelnen Fachbereichen und Fakultäten an deutschen Hochschulen. Die Universitätsprofessoren schätzen zum Beispiel die Ausstattung mit Seminar- und Vorlesungsräumen insbesondere in den Kunst- und Wirtschaftswissenschaften als ungünstig ein. Die Kunstwissenschaftler sind zudem mit der Ausstattung für Forschung und für die elektronische Datenverarbeitung unzufrieden, wohingegen sich Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler mit EDV vergleichsweise gut versorgt fühlen. Erziehungs-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler wiederum schätzen den Bibliotheksbestand am schlechtesten, die Mediziner und Ingenieurwissenschaftler ihn dagegen besser ein. Ähnlich urteilen die Angehörigen des universitären Mittelbaus. Fachhochschulprofessoren hingegen fühlen sich in dieser Hinsicht unterversorgt.

Zu den Spitzenverdienern mit zum Teil wesentlich mehr als 160000 Mark Brutto-Jahreseinkommen zählen Universitätsprofessoren der Medizin (32 Prozent), der Rechts- (30 Prozent) und der Wirtschaftswissenschaften (21 Prozent). Die meisten Professoren an Universitäten und Fachhochschulen befinden sich allerdings auf einem Einkommensniveau von 80000 bis 120000 Mark.

Unterschiede gibt es auch in der Forschungsförderung. Öffentliche Einrichtungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft nehmen 73 Prozent der Universitätsprofessoren in Anspruch, darunter besonders viele Wirtschafts- und Naturwissenschaftler. Auch der Mittelbau profitiert davon (51 Prozent). Von privaten Unternehmen und Stiftungen erhalten 58 Prozent der Medizinprofessoren und 59 Prozent des Mittelbaus dieses Fachs an den Universitäten sowie 71 Prozent der naturwissenschaftlichen Fachhochschulprofessoren Fördermittel.


Gefahr für Profilierung der Universitäten

Im internationalen Vergleich heben sich die Deutschen dadurch ab, daß sie sich fast ausschließlich an ihre eigene Disziplin, nicht aber an den Fachbereich oder gar die Hochschule binden. Das kann fatale Folgen für alle Reformbemühungen, etwa zur Profilierung der Hochschulen, zur Evaluierung der Leistungen oder zu ihrer größeren Autonomie haben – sie stoßen "in Deutschland zunächst einmal auf Barrieren einer gewachsenen kosmopolitischen beziehungsweise disziplinären Grundorientierung".

Das bestätigen auch negative Erfahrungen der Volkswagen-Stiftung. Sie hatte im November 1994 beschlossen, Konzepte von Universitäten zu fördern, "die auf eine Stärkung der Leistungsfähigkeit durch Vermehrung der Eigenverantwortung zielen". Eigentlich hätte dieses Programm nach den positiven Signalen, welche die Hochschulrektorenkonferenz 1994 gab (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1994, Seite 118), auf breites Interesse und Zustimmung stoßen müssen; doch die Anträge, welche die Ausschreibung der Stiftung bis zum 31. Juli 1995 erwartet, fließen äußerst spärlich.

Die Evaluierung der Forschung und noch mehr der Lehre wird in Deutschland wie auch in Japan systematisch kaum, in Großbritannien, den Niederlanden und den USA hingegen nahezu flächendeckend betrieben. Die Untersuchung erklärt das mit den "gemischten Gefühlen" der Hochschullehrer, "weil mit ihr auch ... zum Ausdruck kommt, daß das gesellschaftliche Grundvertrauen in die hohen Leistungen ihres Berufs in Frage gestellt wird". Ihr Selbstwertgefühl scheint geschädigt: Nur 15 Prozent aller Befragten ordnen Wissenschaftler zu den einflußreichsten Meinungsführern in der Gesellschaft ein, 65 Prozent vertreten ausdrücklich die gegenteilige Ansicht. Als bedrohlich empfinden sie vor allem die zunehmende Bürokratie an den Hochschulen.

Dennoch: Universitätsprofessoren in Deutschland fühlen sich zu 84 Prozent frei von jeder Kontrolle der Inhalte ihrer Lehrmeinungen und zu 92 Prozent frei in der Wahl ihres Forschungsgegenstandes. Bei Fachhochschulprofessoren ist dagegen die Freiheit der Forschungsarbeit institutionell eingeschränkt, und die Angehörigen des universitären Mittelbaus sind als zuarbeitende Wissenschaftler in Forschung und Lehre an Weisungen gebunden. Kann man also wirklich – so wie Enders und Teichler – bestreiten, es gebe eine wachsende bürokratische "Entmündigung" der Wissenschaftlertätigkeit an der Hochschule?


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1995, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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