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Infos und Infone. Die mathematische Struktur der Information


Information scheint in ihrer digitalen Form die Leitwährung unserer Zeit zu sein. Den wichtigsten zugehörigen Prozeß, den Informationsfluß, stellt man sich dabei ganz so wie den des Geldes in Form von Einheiten vor.

In einem Unternehmen erfaßt das Rechnungswesen den Fluß der Geldwerte und hilft dadurch, die darin ablaufenden Prozesse zu steuern. Ebenso könnte eine entsprechende Theorie der Information den Informationsfluß in einer Organisation erfassen, wissenschaftliche Vorhersagen machen und damit Möglichkeiten der Steuerung, der Automatisierung und anderes eröffnen.

Nun hat der klassische Informationsbegriff des Mathematikers Claude Shannon (geboren 1916) wegen seines extrem eingeschränkten Modells von Sender und Empfänger in dieser Hinsicht fast nichts zu bieten, ebensowenig wie die ältere Prädikatenlogik mit ihrem auf die formale Struktur von Sätzen begrenzten Weltbild, in dem wiederum für den Prozeß des Sendens und Empfangens kein Platz ist. So macht es sich das vorliegende Buch zur Aufgabe, ein "mathematisches Modell des Informationsflusses" (Seite 17) zu entwickeln. Dies erfordere eine neue, "auf Information gegründete Logik, ... eine Wissenschaft des Argumentierens, Beweisens, Denkens oder Schließens" (Seite 25).

Keith Devlin ist ein aus England stammender Mathematiker und Logiker; er hat diese anspruchsvolle Theorie im Umfeld der "Situation Semantics" von Jon Barwise und John Perry entwickelt, die am Center for the Study of Language and Information (CSLI) in Stanford (Kalifornien) arbeiten. In Reaktion auf die Unzulänglichkeiten der Prädikatenlogik führt die Situationssemantik als wesentlich neues Element die "Situation" ein; das ist zum Beispiel der Kontext einer sprachlichen Äußerung. Damit ist die Bedeutung eines Satzes nicht mehr nur – wie in der Prädikatenlogik – von seiner formalen Struktur abhängig, sondern auch von der Situation, in der er geäußert wird.

Der Grundbegriff von Devlins Theorie ist das Infon, eine Struktur, die aus Objekten und einer sich darauf beziehenden Relation besteht, die entweder erfüllt ist oder nicht. Zum Beispiel besteht das Infon, das den Sachverhalt "Mary läuft gerade" ausdrückt, aus der Relation "laufen", die sich auf ein Objekt – das Individuum Mary – und eine zeitliche Lokalisierung - die aktuelle Gegenwart – bezieht. Wenn dieses Infon "der Art entspricht, in der die Dinge tatsächlich in der Welt sind" (Seite 38), wenn Mary also gerade läuft, dann handelt es sich um ein Faktum.

Infone beschreiben die Informationsverarbeitung durch einen "Akteur", der dazu die ihm gegebene Welt mit Hilfe eines "Individuationsschemas" in Objekte zerlegt. Dieses Schema beschreibt den Akteur aus der Sicht eines Beobachters und muß nicht mit dem identisch sein, das der Akteur tatsächlich verwendet. Dieser muß auch nicht unbedingt ein Mensch und die Informationsverarbeitung nicht an Sprache gebunden sein; schon ein Thermostat ist für Devlin ein Akteur, denn er entnimmt seiner Umgebung die Temperatur-Information und schaltet daraufhin ein Gerät ein.

Da Information immer an eine bestimmte materielle Form gebunden, aber mit dieser nicht identisch ist, definiert Devlin den Informationsgehalt einer Darstellung als das Gemeinsame aller Darstellungen, die dasselbe Stück Information bezeichnen, mathematisch gesprochen eine Äquivalenzklasse. Das ist ganz ähnlich der Definition der natürlichen Zahlen als Äquivalenzklassen gleichmächtiger Mengen. Den empirisch gefundenen Begriff postuliert Devlin als Grundbaustein der Theorie, mit der er sich dann bewähren muß.

Damit geht der Aufbau der Theorie einen aus der Sicht mathematischer Logik zu erwartenden Gang. Zunächst führt Devlin durch Abstraktion Parameter verschiedener Typen ein, zum Beispiel Parameter für zeitliche und räumliche Lokalisierungen. Damit lassen sich dann Klassen von Sachverhalten beschreiben, etwa der, daß Mary läuft, wobei Ort und Zeit dieses Vorgangs offenbleiben. Das Buch wendet sich dann inhaltlichen Fragen zu und definiert die Bedeutung eines Satzes als Verkettung zwischen der Situation, in welcher der Satz geäußert wurde, und der Situation, die er beschreibt. Der für den Informationsfluß grundlegende Begriff ist die "Bindung". Das kann ein Naturgesetz, eine Konvention, eine linguistische oder analytische Regel oder ein empirischer Zusammenhang sein. Mit ihrer Hilfe vermag man von einem bestimmten Situationstyp ("Rauch") auf einen anderen ("Feuer") zu schließen. In diesem Vorgang sieht Devlin einen Informationsfluß. Damit ein Akteur den richtigen Schluß zieht, muß er auf diese Bindung in der richtigen Weise "abgestimmt" sein. Nur: Wie man sich "richtig abstimmt", ist zwar die wesentliche Frage, aber nicht Gegenstand von Devlins Theorie.

In den weiteren Kapiteln zeigt Devlin außer einem weiteren formalen Ausbau, wie man mit diesem Instrumentarium Wahrnehmung, Handlung und kognitive Zustände – Intentionalität, Glaube oder Wissen – beschreiben kann. Am Schluß des Buches demonstriert er sogar, daß das Paradoxon des Lügners ("Dieser Satz ist falsch") gar keines ist, weil in der feinmaschigen Struktur seiner Theorie von Satz, Äußerungssituation, Satzbedeutung und Akzeptanzrelation kein Widerspruch entsteht. Der Leser nimmt es verwundert zur Kenntnis.

Eines wesentlichen Mangels seines Buches ist sich Devlin allerdings nur zu bewußt: Es erschöpft sich in der Entwicklung eines formalen Rahmens, einer mathematisch-logischen Prototheorie, die zwar – wie er zeigt – Phänomene der Information beschreibt, deren Nutzen aber völlig offen bleibt. Devlin vertröstet seine Leser immer wieder auf einen Nachfolgeband, der im Entstehen begriffen sei und "richtige Mathematik" mit Sätzen und Beweisen enthalten soll, und hofft immerhin, daß es mit seiner Theorie prinzipiell "viel leichter ist, Schlüsse zu ziehen" (Seite 88). Daß er der versprochenen "Wissenschaft des Argumentierens, Beweisens, Denkens oder Schließens" nähergekommen sei, wird nicht deutlich, schon gar nicht der im Klappentext ins Auge gefaßte "Anfang einer erneuten Revolution in der Informationsverarbeitung". Dazu müssen viele Probleme gelöst werden: Was ist ein Individuationsschema, was die richtige Abstimmung auf Bindungen? Daneben erscheinen die von Devlin behandelten Probleme als zweitrangig.

Dabei hat seine Theorie einige durchaus interessante Elemente, zum Beispiel die Kontextabhängigkeit durch die Einführung von Situationen oder den Begriff des "Akteurs" und seine Struktur als Ausgangspunkt für einen Informationsfluß.

Daß nach 360 Seiten nur viele Beschreibungen herauskommen und keine Wissenschaft im Sinne des Verstehens von Phänomenen und ihrer Vorhersage, liegt aber vielleicht an den falschen Voraussetzungen. Wie andere Informationstheorien krankt auch die von Devlin daran, daß sie von objektiv gegebenen Fakten ausgeht und nicht von den Prozessen, in denen solche Fakten entstehen. Sie ignoriert schon die wesentliche Tatsache, daß der menschliche Empfänger einer Information durch eben diesen Vorgang verändert wird: Zweimal dasselbe zu hören hat keineswegs beidesmal dieselben Folgen. Indem man die Frage, wie man an objektiv gegebene Fakten kommt, ausklammert, läuft man Gefahr, den von der Theorie beschreibbaren Ausschnitt der Wirklichkeit mit der ganzen Wirklichkeit zu verwechseln. Die Lektüre des Buches hinterläßt den Eindruck, daß dieser Ausschnitt sehr klein ist.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1995, Seite 123
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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