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Leitbild Hermann von Helmholtz - neue Wege für die Großforschung

Mit einem Senat und einem neuen Namen wollen die16 Großforschungseinrichtungen in Deutschland eine "konsensorientierte Strategieplanung“ erreichen und sich gleichzeitig als gesellschaftlich nützlich profilieren. Die Beschlüsse der gemeinsamen Mitgliederversammlung vom 19. Mai sollen auf der Jahrestagung am 13. November realisiert werden.

Die Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen (AGF) besteht seit 25 Jahren. Sie will jetzt mit neuen Strukturen und Strategien mehr zu Lösungen von Problemen der modernen Industriegesellschaft beitragen.

Ihre bisherige Verfassung ist dafür nicht geeignet: Die AGF wählt zwar aus den Reihen der Mitglieder jeweils für zwei Jahre ihren Vorsitzenden (Verlängerung um weitere zwei Jahre ist möglich), bildet für bestimmte Fragen Ausschüsse und unterhält eine kleine Geschäftsstelle im Wissenschaftszentrum Bonn für den Erfahrungs- und Informationsaustausch, die Koordinierung der laufenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sowie bestimmte Sonderaufgaben und die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen nach außen. Aber die einzelnen Einrichtungen sind davon relativ wenig berührt.

Die jetzt beschlossene Reform soll intern und öffentlich verdeutlichen, was die Zentren zur Zukunftsgestaltung leisten, und diese Funktion verstärken. Der Senat bekam unter anderem die Aufgabe, die Auseinandersetzung über die Rolle der Einrichtungen zwischen Grundlagen- und industrieller Forschung zu beenden (Spektrum der Wissenschaft, September 1994, Seite 121). Das Gremium hat höchstens 25 Mitglieder: Auf seiten der Wissenschaft sind es die Präsidenten von Deutscher Forschungsgemeinschaft, Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft sowie der Hochschulrektorenkonferenz, außerdem sieben bis neun weitere Wissenschaftler, während der Bundesforschungsminister und der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, zwei Vertreter von Landesregierungen und sechs bis acht Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Staat, Wirtschaft und Gesellschaft repräsentieren. Der Vorsitzende – in den nächsten zwei Jahren voraussichtlich der bisherige AGF-Vorsitzende, Joachim Treusch – leitet die Sitzungen ohne Stimmrecht.

Der Senat soll grundsätzliche Fragen der Forschungsstrategie beraten, neue Ziele definieren und Empfehlungen zu langfristigen Vorhaben der einzelnen Zentren sowie zur Anwendung von Ergebnissen geben, Leitprojekte und über die Gemeinschaft hinauswirkende Forschungsverbünde einrichten, die Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftseinrichtungen und mit der Wirtschaft fördern und die Qualitätssicherung der Zentren überprüfen – kurzum, die Kluft zwischen der Forschung und der Umsetzung ihrer Resultate überbrücken. Allerdings dürften in den Zentren Grundlagen- und Vorsorgeforschung insbesondere für Umwelt und Medizin nicht gegenüber einer in letzter Zeit von der Wirtschaft verlangten stärkeren Industrieorientierung vernachlässigt werden, betonten sowohl Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers als auch Treusch bei der Vorstellung des Konzepts am 29. Juni vor der Wissenschafts-Pressekonferenz in Bonn.

Mit ihrem künftigen Namen "Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF)" hat sich die AGF den ersten deutschen Vertreter von Großforschung als Patron gewählt. Der aus Potsdam stammende Physiologe und Physiker Helmholtz (1821 bis 1894) war der Gründungspräsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1994, Seite 100).

Die Satzung der HGF weist auf diese Tradition hin: In ihrer Präambel wird festgestellt, sie verfolge "langfristige Forschungsziele des Staates in wissenschaftlicher Autonomie" und zeichne sich "in ihren Forschungsprogrammen durch ein hohes Maß an Gemeinpflichtigkeit aus". Diese Formulierung weist schärfer auf die Einbindung in die staatlich definierten und finanzierten Forschungsprogramme hin, an die sich die HGF zu halten hat, als die bisherige Beschreibung, die AGF nehme Forschungsaufgaben von öffentlichem Interesse wahr.

Freilich will sich die HGF nicht einer Steuerung des Bundes im einzelnen unterwerfen, sondern ihre Pläne selbst bestimmen. Dabei hilft ihr auch die rechtliche und finanzielle Beteiligung der Länder, in denen die einzelnen Einrichtungen ihren Sitz haben. Zudem bleibt die rechtliche Selbständigkeit der Mitglieder und ihrer Organe – des Vorstandes, der Gesellschafterversammlung, des wissenschaftlich-technischen Rates sowie der Aufsichtsgremien mit verschiedenen Namen, meistens unter dem Vorsitz eines Beamten des Bundesforschungsministeriums (BMBF) – gegenüber dem neuen Senat der Gemeinschaft erhalten.

Die begonnenen Kooperationsvorhaben sollen verstärkt werden. Schon bisher legt die AGF in den jährlichen Programmbudgets ihre Teilnahme an den Förderbereichen der Bundesregierung und ihre Dienstleistungen im nationalen und internationalen Rahmen, vor allem durch Bereitstellen von Großgeräten für Forscher auch von Universitäten und anderen Einrichtungen, dar. Sie verfügt 1995 über einen Etat von rund 3,6 Milliarden Mark und beschäftigt nahezu 24000 Mitarbeiter, davon mehr als 14000 in Forschung und Entwicklung.

Forschungsverbünde einzelner Zentren untereinander und mit Hochschulen bestehen jetzt schon für Biomedizin, Nutzung der Sonnenenergie und Umweltprobleme; weitere sollen folgen. Außerdem werden Leitthemen und Leitprojekte mit der Industrie vorbereitet, als erste solche zur weiteren Entwicklung von Brennstoffzellen (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1995, Seite 88) und zu SQUIDs; diese superconducting quantum interference devices sind höchst empfindliche Magnetfelddetektoren mit großem Anwendungspotential (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1994, Seite 58). Treusch versicherte aber, es werde keine überwiegend industrieorientierten Helmholtz-Zentren geben.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1995, Seite 105
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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