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Projektionen der Arbeitswelt von morgen


Wir in Mitteleuropa befinden uns, wie viele andere Regionen der Welt, mitten im Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Bereits mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in der Bundesrepublik sind in sogenannten Informationsberufen tätig. Information, also Daten, Texte, Sprache und Bilder, sowie Kommunikation, zum Beispiel Beratungsgespräche oder Verhandlungen, werden immer häufiger zum Inhalt der Arbeit. Plausiblen Prognosen zufolge werden schon zur Jahrtausendwende in den Informationsberufen mehr Menschen tätig sein als in der Automobilindustrie.

Dieser gegenwärtige Strukturwandel unterscheidet sich wesentlich vom letzten großen Umbruch in der Arbeitswelt, der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Damals gestaltete sich der Übergang von der Beschäftigung in Landwirtschaft, Handwerk und Manufakturen zu der in Fabriken vergleichsweise einfach, denn die Anforderungen blieben weitgehend unverändert. Auch in der industriellen Produktion wurden hauptsächlich Handarbeiter benötigt; einige spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten konnten sie in kurzer Zeit erlernen. Der heutige Strukturwandel hin zu Dienstleistungen jedoch verlangt neue Qualifikationen – vorhandene Kenntnisse können nur mehr bedingt eingesetzt werden. Dies ist eine wichtige Ursache für die Arbeitslosigkeit derjenigen, die aus dem Produktionssektor freigesetzt wurden.

In der Informationsgesellschaft gelten andere Bedingungen als zu Zeiten der industriellen Massenfertigung. Verändert haben sich Angebot und Nachfrage, und zwar sowohl bei Waren im klassischen Sinne als auch bei Dienstleistungen (der Begriff Produkt umfaßt beides). Da moderne Produkte immer häufiger die Kombination verschiedener Technologien voraussetzen, verlieren die bisherigen, technisch weniger entwickelten an Bedeutung. Wandlungen unterliegt auch die Wirtschaftsstruktur; traditionelle Branchen verschmelzen in verschiedenen Kombinationen zu neuen Wirtschaftsfeldern. Des weiteren verlangen die Kunden inzwischen statt standardisierter Massenprodukte vermehrt individuellere in bester Qualität und mit umfassender Service-Unterstützung.

Längst hat die Entwicklung die einzelnen Volkswirtschaften wie auch den Weltmarkt erfaßt. Langjährige nationale Monopole, etwa im Energie- oder Telekommunikationsbereich, lösen sich auf und werden dem freien Wettbewerb überlassen. Sowohl Hersteller als auch Kunden fühlen sich weniger denn je an die Grenzen von Ländern und Kulturen gebunden; Produkte werden weltweit dort hergestellt und eingekauft, wo die Preise günstig sind. Unternehmen in Südamerika, Südostasien und Osteuropa treten als neue Mitbewerber von jenen in Westeuropa, in Nordamerika und Japan auf, und zwar auf deren heimischen Absatzgebieten ebenso wie auf dem globalen Markt.

Schließlich sind die Produktionsprozesse selbst durch den Einsatz von computergestützten Methoden und Anlagen hochgradig anpassungsfähig geworden. Allerdings gibt es hierbei noch Probleme: So erfordert die Kleinserienfertigung in ihrer gegenwärtigen Ausprägung einen hohen und teuren Organisationsaufwand sowie polare Qualifikationsstrukturen, also einerseits gut ausgebildete Mitarbeiter und andererseits Hilfskräfte für einfache, kaum abwechslungsreiche Tätigkeiten.

Arbeit der Zukunft

Bestimmend für die Arbeit der Zukunft sind primär die zunehmend turbulenteren Märkte im Inland und in der Welt insgesamt. Sie erfordern ein hohes Maß an dynamischer Entwicklungsfähigkeit. In der Informationsgesellschaft werden die entscheidenden Kriterien für erfolgreiche Unternehmen also situationsspezifisches Handeln, Fähigkeit zur schnellen Reaktion auf Kundenwünsche, unablässige Bereitschaft zum Wandel in allen Bereichen des Unternehmens und eine ausgeprägte Optimierung von Außenbeziehungen sein.

Die Mitarbeiter in die Unternehmensprozesse einzubeziehen, ist ein weiterer Erfolgsfaktor – wenn es gelingt, ihre Motivation und Kreativität zu wecken, zu erhalten und zu fördern. Auch wird es wichtig sein, Wissen schnell und zuverlässig zu schaffen, zu sammeln, umzusetzen. Information ist neben Rohstoffen, Arbeit und Kapital zum vierten Produktionsfaktor geworden. Die Herstellung industrieller Güter und Waren aber wird immer mehr in die Dritte Welt oder in neuindustrialisierte Länder verlagert.

In der Informationsgesellschaft sind die Unternehmen gefordert, innovative Produkte, innovative Prozesse und innovative Strukturen zu entwickeln, um auf lange Sicht ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit die weitere Existenz zu sichern. Wie eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) ergab, besteht allerdings in der Bundesrepublik in der marktorientierten Produktinnovation sehr großer Nachholbedarf. So sahen 80 Prozent der befragten großen und mittelgroßen Unternehmen es als wichtiges Ziel an, die Ansprüche der Kunden an Qualität, Zeit und Preis gänzlich zu erfüllen; aber nur sechs Prozent sind sich auch sicher, dieses Niveau schon erreicht zu haben. Dies bedeutet, daß viele Unternehmen den Kunden als Zielgruppe noch nicht zum zentralen Bestandteil der Unternehmensaktivitäten gemacht haben.

Die Gestaltung innovativer Prozesse im Unternehmen zielt auf alle Komponenten der Wertschöpfungskette, nämlich Planung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb. Diese sogenannten Geschäftsprozesse sind traditionell arbeitsteilig nach Einzeltätigkeiten ausgerichtet. Nach der IAO-Studie wurden in 72 Prozent der befragten Unternehmen Ansätze zu ihrer Neugestaltung, insbesondere eine funktionsübergreifende Ausrichtung auf die Unternehmenstätigkeit als Ganzes mit unterstützenden informations- und kommunikationstechnischen Anwendungen, als wichtig oder sehr wichtig angesehen. Aktuelle Leitbilder sind dabei übersichtliche Abläufe, eigenverantwortliche Selbstorganisation und ergebnisorientiertes Handeln.

Will ein Unternehmen innovative Strukturen realisieren, muß es sich an den Belangen der Belegschaft orientieren. Dafür gibt es drei aktuelle Ansätze: Selbstmanagement, was bedeutet, daß informierte Mitarbeiter die Unternehmensziele aktiv umsetzen, Coaching, das Motivieren und Unterstützen der Mitarbeiter als primäre Aufgabe der Führungskräfte, sowie systematische Förderung der Lernbereitschaft und der Lernfähigkeit, also die Entwicklung des Betriebes zum sogenannten Lernunternehmen. Alle drei Konzepte sahen 90 Prozent der bei der IAO-Studie befragten Unternehmen als wichtig oder sehr wichtig an. Aber mit der Umsetzung sind sie weit vom Ziel: Lediglich 25 Prozent hatten Selbstmanagement als Grundlage der Mitarbeiterorientierung eingeführt, nur ungefähr 50 Prozent Coaching und Lernunternehmen. Seit Jahren ist viel von strategischen Modellen wie Business Reengineering, Lean Management, Total Quality Management oder (nach japanischem Muster) Kaizen die Rede – dabei geht es letztlich schlichtweg darum, die als unerläßlich erkannte Anpassung an veränderte Gegebenheiten auch vorzunehmen.

Insgesamt gesehen verlangt die Arbeit der Zukunft nach einer neuen Qualität der Zusammenarbeit, in der das Neuartige und Unerwartete als Normalfall begriffen wird. Dies bedeutet, alle Angehörigen eines Unternehmens haben permanent zu lernen. Darunter ist freilich nicht einfach das Einfüttern von Informationen zu verstehen, sondern das Ändern von Verhaltensweisen aufgrund von Informationen. Die Organisationsstrukturen selbst müssen sich demgemäß verändern, sollen die Mitarbeiter inspiriert und ihre Kreativität beflügelt werden. Das kann man zum Beispiel mit teamorientierten, dezentralen Verantwortungsbereichen anstoßen, unterstützen und beschleunigen.


Zukunft der Arbeit

Erfahrungsgemäß lösen sowohl Phasen der wirtschaftlichen Rezession als auch des Booms stärkeren Strukturwandel aus. Darauf müssen sich auch die Beschäftigten einstellen – und darauf, daß die herkömmlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seit geraumer Zeit nur noch bedingt greifen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag rechnet in diesem Jahr mit einem Abbau von weiteren 500000 Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik.

Dem sollen nun die sogenannten Bündnisse für Arbeit mit mehr Flexibilität entgegenwirken. Im Herbst letzten Jahres hat die IG Metall erstmals unter diesem Schlagwort den Arbeitgebern eine stärkere Ausrichtung der Lohnentwicklung an der Beschäftigungssituation vorgeschlagen. Mittlerweile sucht man in verschiedenen Branchen beziehungsweise auf regionaler Ebene, mit abgestimmten Regelungen zur Teilzeitbeschäftigung, zur Handhabung von Überstunden und zur Befristung von Beschäftigungsverhältnissen in Verbindung mit moderaten Gehaltsforderungen die Zukunft der Arbeit sicherzustellen.

Für die nächsten Jahre ist den Prognosen zufolge eine Zunahme an Arbeitsplätzen nur noch im Dienstleistungssektor zu erwarten. Außer den klassischen Bereichen wie Gesundheitswesen oder Banken und Versicherungen scheinen insbesondere die neuen Informationsdienstleistungen – etwa in den Sparten Medien und Unterhaltung, in der Software-Entwicklung für Multimedia-Anwendungen oder im Service für Computernetzwerke – erhebliches Beschäftigungspotential zu bieten. Die Zukunft der Arbeit wird demnach entscheidend davon abhängen, wie Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit im Informations- und Kommunikationssektor verbessern. Ansonsten sind nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin bis zum Jahre 2005 in Westdeutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien bis zu drei Millionen Arbeitsplätze gefährdet. Immerhin hat sich in der Bundesrepublik die Branche der Informations- und Kommunikationstechnik auch im letzten Jahr wesentlich günstiger entwickelt als die anderen Wirtschaftszweige; offenbar ist die Umorientierung auf die aktuellen Basisinnovationen bereits eingeleitet.

Allerdings bewirkt der unausweichliche Wandel nicht nur quantitative Verlagerungen von Beschäftigungsmöglichkeiten, sondern insbesondere qualitative Veränderungen. Schon jetzt ist erkennbar, daß die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bislang recht starre Arbeitsstrukturen räumlich, zeitlich und inhaltlich entkoppelt.

Die sogenannte Groupware zum Beispiel, eine spezielle Art von Software, hebt den bisherigen Widerspruch von Zentralisierung und Dezentralisierung praktisch auf: Diese Systeme unterstützen, steuern und koordinieren die Kooperation fester oder je nach Bedarf gebildeter Teams. Die Mitglieder solcher Gruppen können sowohl am gleichen Ort zur selben Zeit als auch am gleichen Ort zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit oder an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten tätig sein. Mit leistungsfähigen Datennetzen und neuen Telekommunikationsdiensten werden manche herkömmlichen Büro-Routinen obsolet. Die Vorteile sind offensichtlich: Die Kommunikation wird transparenter, Informationsverluste werden minimiert, und auf unvorhergesehene Ereignisse können Führungskräfte und Mitarbeiter rasch und angemessen reagieren.

Virtuelle Organisationskonzepte

Aus der Weiterentwicklung dieses Ansatzes ergeben sich neue, umfassende Formen der Zusammenarbeit, die virtuell genannt werden (obgleich man die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs – scheinbar, der Möglichkeit nach vorhanden – etwas strapaziert). Virtuelle Organisationskonzepte sind nicht mehr durch feste Strukturen und abgrenzbare Leistungen definiert, sondern bleiben durchlässig und wandelbar. Für die Arbeit der Zukunft sind sie in verschiedenen Ausprägungen denkbar:

- Virtuelle Arbeitsplätze sind ausgelagerte Telearbeitsplätze; sowohl angestellte als auch freie Mitarbeiter oder Kunden können sie in Anspruch nehmen. Sie sind über Informations- und Kommunikationsverbindungen in das innerbetriebliche Geschehen eingegliedert, ermöglichen also den Zugriff zumindest auf Teile des Dokumentenbestands und unter Umständen auf die Datenverarbeitungskapazität des Unternehmens von außerhalb des Firmengebäudes. Selbst fest Angestellte brauchen dort keinen Stammplatz, und schon gar nicht müssen sie eine bestimmte Zahl von Stunden pro Arbeitstag in der Firma präsent sein. So lassen sich kreative Tätigkeiten mit hoher zeitlicher und inhaltlicher Autonomie effizienter erledigen. Außerdem werden Fahrt- und Raumkosten wie auch Zeit gespart; die Flexibilität für die Arbeitnehmer steigt. In der Bundesrepublik existierten 1994 bereits etwa 150000 Telearbeitsplätze. Mittelfristig werden bis zu vier Millionen Telearbeiter erwartet.

- Virtuelle Teams sind Arbeitsgruppen, die jeweils für die Dauer eines Projekts unter Nutzung leistungsfähiger Informations- und Kommunikationstechnik kooperieren. Dafür können sich die sachkundigen Mitarbeiter eines einzigen Unternehmens zusammentun; es lassen sich aber leicht Externe einbeziehen. Das Team zum Beispiel, das ein neues Automobilmodell entwickelt, könnte aus Angestellten des Herstellers und seiner Zulieferbetriebe sowie freien Designern bestehen. Bei einem Software-Projekt der Firma Siemens-Nixdorf mit virtuellen Ingenieurteams in Berlin, München und Wien haben sich die Investitions- und Kommunikationskosten durch höhere Arbeitsproduktivität, engere Kommunikation und reduzierte Reisekosten bereits nach einem halben Jahr amortisiert.

- Virtuelle Einheiten arbeiten noch selbständiger als virtuelle Teams. Sie sind selber für das Ergebnis verantwortlich, und sie treten eigenständig am Markt auf.

- Virtuelle Unternehmen schließlich sind Netzwerke ansonsten unabhängiger Firmen, die sich kurzfristig und zeitlich begrenzt für einen bestimmten Zweck zusammenschließen; ist er erreicht, werden sie wieder aufgelöst. Die Kooperationspartner kombinieren ihre Kernkompetenzen, ermöglichen einander den Zugang zu ihren jeweiligen gegenseitigen Märkten und teilen sowohl Kosten wie Gewinne. Virtuelle Unternehmen verzichten auf die Aufbauorganisation und Hierarchie traditioneller Unternehmen. Besonders wichtig ist wiederum die Informations- und Kommunikationstechnik, die das Netzwerk verknüpft. Beispielsweise hat der Sportartikel-Hersteller Puma prototypisch ein virtuelles Unternehmen aufgebaut: Für Strategieplanung, Koordination und Marketing ist nach wie vor der Firmensitz in Herzogenaurach zuständig, aber Partner in aller Welt erledigen die anderen Unternehmensaufgaben – die Produktion in China, Korea, Taiwan und Indonesien, die Logistik in Hongkong sowie den Vertrieb von Australien, Afrika, Europa, Nord- und Südamerika aus.

Für die Arbeit der Zukunft bedeutet die konsequente Verwirklichung virtueller Konzepte, daß Unternehmen keine isolierten Fertigungsstätten mehr sein werden, sondern sich zu einem Knoten in einem Netzwerk interner und externer Leistungszentren wandeln. Das Verbundsystem besteht aus Beziehungen zwischen internen Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden, weiteren Dienstleistern und Wettbewerbern; sie führen ihre Kompetenzen zusammen, um gemeinsam gemäß den Marktanforderungen ein Produkt herzustellen. Damit verlieren jedoch traditionelle Inhalte wie Eigentum, Produktpalette oder Firmengebäude als Identitätsfaktoren an Bedeutung; Ort und Zeit als fixe Eingrenzungen des Unternehmens werden unwichtig.

Ein Ziel virtueller Unternehmen kann darin bestehen, in bestimmten Regionen stärker vertreten zu sein, als eine einzelne Firma allein es könnte. Auch ohne eigene Niederlassungen an bestimmten Orten sind die Partner dort präsent. Unternehmen, die als sogenannte Glocals nach der Maxime think global, act local global denken und lokal handeln, können dadurch ihre international vertriebenen Produkte auf verschiedene Kundenkreise mit ihren typischen Besonderheiten einstellen. Dazu gehören ein auf die jeweiligen Gegebenheiten zugeschnittenes Produktmanagement und unter Umständen örtliche Fertigungsstätten mit regionalen Zulieferern.


Mehr Flexibilität

Die virtuellen Konzepte lockern die konventionellen, starren Erscheinungsformen der Arbeit – Tätigkeit am gleichen Ort, zur selben Zeit, am selben Produkt – auf. Derzeit richten immer mehr Unternehmen nur noch einen gewissen Anteil fester Arbeitsplätze im Firmengebäude ein. In der Tokioter Zentrale der Firma IBM etwa sind es nur noch 4000 für 5000 Beschäftigte; sie haben jeden Tag die Wahl, zu Hause zu arbeiten oder – falls erforderlich – ins Büro zu kommen, und geben morgens Bescheid. Melden sie sich an, wird ein Container mit den persönlichen Materialien zu einem freien Schreibtisch gerollt. Wer zu Hause oder unterwegs tätig ist, bleibt über eine Datenleitung mit den Kollegen in der Firma verbunden.

Ein wesentlicher Anspruch an die Arbeit der Zukunft ist mithin große Flexibilität. Darauf haben sich die gegenwärtig und künftig Erwerbstätigen, die Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft einzustellen. Wichtiger als bisher noch wird die Förderung der Weiterbildung; einmal erworbenes Wissen muß stetig aktualisiert und erweitert werden. Unternehmensintern wird man den Mitarbeitern größere Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit einräumen, aber auch abverlangen – sie werden gewissermaßen zu souveränen Mitunternehmern. Und flexibler werden schließlich die Inhalte der Arbeit. Statt lebenslang für immer wiederkehrende gleiche Tätigkeiten oder gar nur eine Spezialaufgabe werden die Menschen in Zukunft verstärkt für eine Folge verschiedener Projekte eingesetzt werden, deren jedes eine andere Kombination von Wissen, Fähigkeit und Erfahrung erfordert.

Dank der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten wird es dabei unwichtig sein, wann und wo jemand tätig wird, wann alleine und wann im Team. Er arbeitet dort, wo es am sinnvollsten und bequemsten ist. Im Idealfall ermöglicht eine derartige Projektarbeit Pausen im Erwerbsleben, eröffnet Freiräume für die individuelle Lebensgestaltung oder die berufliche Weiterbildung.

Die räumliche, zeitliche und inhaltliche Flexibilität der Arbeit läßt vielfältige Projektionen in die Zukunft zu. Aller Voraussicht nach werden sich Strukturen etablieren, die den Abschied von festen, geregelten Berufsschablonen bedeuten. Man wird verschiedene Tätigkeiten ausüben können, und Vollzeit- und Teilzeitarbeit, Arbeit und arbeitsfreie Zeit, Privatleben und Weiterbildung, abhängig oder selbständig ausgeübte Beschäftigungen werden freier zu handhaben sein. Die bisher damit verbundenen materiellen und sozialen Benachteiligungen werden abnehmen.

Nun herrscht in der Bundesrepublik freilich derzeit eine Arbeitnehmermentalität vor. Nur rund acht Prozent der Erwerbstätigen sind selbständig, während es beim Wiederaufbau Anfang der fünfziger Jahre nahezu doppelt so viele waren. Doch kommt Unternehmensneugründungen eine Schlüsselrolle für die weitere wirtschaftliche Entwicklung zu: Sie können den Wettbewerb stimulieren, das Innovationspotential steigern und eben auch neue Arbeitsplätze schaffen.

Selbständiges Unternehmertum zu fördern ist nicht nur eine Aufgabe für Politik und Wirtschaft, sondern auch für die Hochschulen. Im Gegensatz zu der amerikanischen geht die deutsche akademische Ausbildung noch viel zu selten auf das Thema Existenzgründung ein.

Allerdings fordern virtuelle Konzepte und erhöhte Flexibilität allen Beteiligten viel ab; der Wandel wirft auch neue Probleme auf. Sichere Verfahren und Techniken für den Datenschutz bei Übertragung, Verarbeitung und Speicherung von Informationen müssen Persönlichkeits- und Urheberrechte sowie Dienst- und Firmengeheimnisse wahren helfen. Die soziale Akzeptanz der neuen Arbeitsformen ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg neuer Strukturen. Die berufliche Integration und Chancengleichheit von niedrig Qualifizierten, die also nicht oder noch nicht über die erforderlichen informations- und kommunikationstechnischen Fachkenntnisse verfügen, muß gewährleistet sein, ebenso eine hinreichende Abgrenzung von Arbeits- und Privatleben. Verwerfungen der internationalen Arbeitsteilung, etwa das sogenannte Sozial-Dumping durch Verlagerung von Produktionen in Niedriglohnländer, müssen korrigiert oder kompensiert werden.

Der Strukturwandel verlangt, allein oder im Team in ungewohnten Beziehungsmustern zu denken und zu handeln. Um die Herausforderungen des Informationszeitalters bewältigen zu können, muß jeder einzelne Phantasie, Kreativität und Leistungsbereitschaft aufbringen. Die dafür vorhandenen Potentiale zu mobilisieren und zu organisieren, ist die nun anstehende Aufgabe.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1996, Seite 40
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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