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Querwalzen - Entwicklung eines alten Umform-Prinzips


Rotationssymmetrische Werkstücke wie beispielsweise abgesetzte Wellen lassen sich sehr präzise aus einem Stahlrohling formen, indem man sie unter hohem Druck zwischen flachen oder zylindrischen Werkzeugen rollt. Das Verfahrensprinzip wurde erstmals 1888 in der britischen Fachzeitschrift "Iron Age" so beschrieben: "Rundstäbe werden zwischen zwei parallelen, senkrecht in entgegengesetzter Richtung auf und nieder gehenden Platten bewegt, um ihnen an beliebigen Stellen verschiedene Durchmesser zu geben."

Der niedrige technische Entwicklungsstand verhinderte damals eine praktische Umsetzung in großem Maßstab. Erst 1964 begannen einschlägige Untersuchungen am Forschungszentrum für Umformtechnik im sächsischen Zwickau, und 1967 konnte die erste industrietaugliche Querwalzmaschine präsentiert werden. Unter dem Namen "Reckroll" setzte sich die Technologie binnen weniger Jahre durch und wird mittlerweile in etwa 20 Ländern mit mehr als 60 Maschinen genutzt zur Herstellung von

- Zwischenformen, die man anschließend mittels Gesenkschmieden fertigstellt (als Gesenk bezeichnet man zwei hohle Gegenformen, in die das Werkstück durch Pressen oder Hämmern getrieben wird);

- Endformen wie Getriebe- oder Antriebswellen, die nur noch spanabhebend zu bearbeiten sind, sowie

- Teilen, die keine weiteren Bearbeitungsschritte erfordern.

Allerdings stellt der Markt mittlerweile hohe Anforderungen. Weil das Verfahren meist in automatische Fertigungsabläufe integriert ist, ist beispielsweise eine hohe Reproduzierbarkeit der Walzteile unbedingt erforderlich. Ein mittelständischer Maschinenbaubetrieb aus Nordrhein-Westfalen kooperierte deshalb mit dem Chemnitzer Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik, an dem auch maßgeblich an der ersten Entwicklung beteiligte Wissenschaftler des früheren Forschungszentrums tätig sind.

Es wurden dabei zwei unterschiedliche Prinzipien verfolgt, das Rundbackenverfahren nach dem Zweiwalzenprinzip und das Flachbackenverfahren (Bild 1). Durch das gegenläufige Eindringen der keilförmigen Werkzeuge in das rotierende Werkstück bilden sich die abgestuften Konturen der rotationssymmetrischen Teile. Das Flachbackenprinzip, das auf die Grundidee zurückgreift, ist technisch einfacher, damit leichter zu realisieren und zu beherrschen. Die Werkzeuge sind einfach zu berechnen und zu fertigen. Die Rohlinge werden nur in Rotation versetzt und das Material entlang seiner Achse verdrängt; am Ende wird das in Form gebrachte Teil ausgestoßen. Allerdings sind die Taktzeiten bei diesem Verfahren länger, weil die Grundwerkzeuge immer wieder, ohne Arbeit zu verrichten, in die Ausgangsposition gelangen müssen. Außerdem erfordert ihre Bewegung in der Senkrechten einen größeren Maschinenaufbau.

Das Rundbackenverfahren, bei dem das Werkstück automatisch zwischen zwei Walzen mit Durchmessern bis zu einem Meter geführt und später wieder entnommen wird, arbeitet kontinuierlich und erreicht deshalb höhere Stückzahlen; zudem lassen sich Stangen, nicht nur relativ kurze Abschnitte, als Rohlingsmaterial verwenden. Doch müssen die auf die Walzen montierten Werkzeuge so konstruiert werden, als würde man sie darauf abwickeln; diese komplexe Geometrie ist nur mit hohem Aufwand zu realisieren.

Die Abmessungen des Rohlings liegen bei diesem Verfahren zwischen 10 und 100 Millimetern im Durchmesser und zwischen 315 und 800 Millimetern in den maximalen Walzteillängen je nach Maschinentyp. Durch Walzen vermag man die Dicken um 16 bis 58 Prozent zu reduzieren; besondere Werkzeugkonstruktionen erlauben bis zu 75 Prozent.

Maschinen zu beiden Verfahren sind mittlerweile auf dem Markt. Gegenüber dem Schmieden im Gesenk ist das Querwalzen umweltfreundlicher, weil es ohne Schmier- und Kühlmittel auskommt. Lärm, Erschütterungen, Schwingungen und Wärmestrahlung treten kaum auf.

Um Walzteile und Werkzeuge auszulegen und zu konstruieren, wurde ein Programm für Personal Computer entwickelt. Europäische Firmen und ein südkoreanisches Unternehmen wenden das weiterentwickelte Verfahren bereits an. Schwerpunkte künftiger Arbeiten sind das Querwalzen anderer Werkstoffe bei unterschiedlichen Umformtemperaturen, die Einbindung des Verfahrens in die umformende Fertigung von Leichtbauteilen und eine weitere Verbesserung der Prozeßstabilität.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1995, Seite 112
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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