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Sanfte Chirurgie. Ein Ratgeber für mündige Patienten zum Thema Minimal Invasive Medizin


"Sanfte Chirurgie", "minimal invasive Chirurgie/Therapie/Medizin", "endoskopische Chirurgie", "Schlüssellochchirurgie" – das sind medienwirksame Begriffe, die seit drei Jahren eine weitere Revolution der Medizin zum Wohle des Patienten verkünden (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Juni 1992, Seiten 108 bis 126). Der englische Ausdruck minor access surgery trifft die Sache am besten: Es geht darum, einen möglichst kleinen, wenig zerstörerischen Zugang zu kranken Organen zu schaffen.

Waren früher große Hautschnitte und die Durchtrennung großer Muskelgruppen für die Hand des Chirurgen und seine Instrumente erforderlich, so überträgt heute eine Videooptik von 10 Millimetern Durchmesser, die durch eine entsprechend kleine Öffnung eingeführt wird, Bilder aus dem Körperinneren auf einen Monitor – inzwischen sogar in guter Qualität ein Paar von Stereobildern, das einen räumlichen Eindruck erzeugt. Für die eigentliche Operation dienen spezielle endoskopische Instrumente, die man durch zwei oder drei weitere kleine Schnitte zum Zielorgan führt.

Diese im Prinzip schon mehr als 80 Jahre alte Technik hat ihre Renaissance und einen rasanten Fortschritt vor allem durch die moderne Videotechnik erfahren, die einem kompletten Operationsteam Einblick in den ungeöffneten Körper verschafft. Hinzu kommt die Weiterentwicklung der mechanischen Instrumente bis hin zu den faszinierenden Anwendungen der Robotertechnik in der Medizin. Die medizinische Laser-Technik hat durch die parallel verlaufende Entwicklung der sanften Chirurgie einen neuen Innovationsschub erhalten; ihre Bedeutung ist aber noch begrenzt.

Patient und Arzt sind gegenwärtig mit einem überwältigenden Angebot an medizinisch-technischen Neuerungen konfrontiert, und vor allem der erstere bedarf als Betroffener des Rates. Kann man dem "mündigen Patienten", so der Untertitel, diesen Rat in Form eines 350 Seiten langen Buches mit einem guten Glossar geben? Der Soziologe Klaus Meier hat das versucht, indem er – man-gels eigener Sachkunde – Einzelbeiträge von 20 Experten zusammengestellt hat.

Das Ergebnis: Mündigkeit allein reicht bei diesem Werk nicht aus. Man müßte schon ein naturwissenschaftliches Studium absolviert haben, um sich in der – gemessen an der klinischen Relevanz – stark überbewerteten Laser-Medizin zurechtzufinden. Die Themen reichen vom einfachen Laser-Skalpell bis hin zu der seit Jahrzehnten versuchten und immer noch nicht breit etablierten photodynamischen Diagnostik und Therapie (PDD und PDT). Wer soll in den über das Buch verstreuten wissenschaftlichen Beiträgen von sieben Autoren aus sechs Laser-Zentren einen Rat finden? Die Einzelbeiträge sind thematisch nicht koordiniert, die Graphiken von schlechter Qualität; zudem wiederholt sich vieles, bedingt durch die große Zahl von Beiträgen zum gleichen Thema. Statt dessen wäre ein Kommentar über die klinische Bedeutung verschiedener praktizierter und teilweise wirkungsloser Laser-Behandlungen (etwa mit dem sogenannten Softlaser) hilfreich gewesen.

Nur die Beiträge der Kliniker Klaus Manncke von der Universitätsklinik Tübingen für die Allgemeinchirurgie, Jürgen Waldschmidt vom Klinikum Steglitz in Berlin für die Kinderchirurgie, Tadeus Nawka von der Berliner Charité für die HNO-Chirurgie sowie Herbert Mecke vom Auguste-Viktoria-Krankenhaus Berlin-Friedenau für die Gynäkologie veranschaulichen mit einfachen, klaren Zeichnungen und Skizzen, was man heute unter sanfter Chirurgie zu verstehen hat. Der Leser erfährt, daß nun an den meisten Kliniken rund 90 Prozent der Gallenblasenoperationen endoskopisch und mit hohem Sicherheitsstandard durchgeführt werden. Für andere Eingriffe wie Dickdarmresektionen wird diese Technik ebenfalls angewandt, ist aber noch verbesserungsbedürftig. Allgemein ist nach strengen Kriterien auszuwählen, für welche Arten von Operationen sich die neue Technik eignet. In der Tumorchirurgie muß sie die gleichen strengen Radikalitätskriterien erfüllen wie die konventionelle, das heißt gewährleisten, daß die bösartige Geschwulst samt den regionalen Lymphknoten vollständig entfernt wird.

Soll man überhaupt Krebs minimal invasiv operieren? Gerade diese Frage gilt als entscheidend für die künftige Weiterverbreitung der endoskopischen Chirurgie. Dieses Problem wird nur in Form von Interviews mit namhaften Fachleuten skizziert.

Auch in der Gynäkologie gibt es klare Regeln dafür, welche Eingriffe als Standardoperationen und welche zur Zeit noch als experimentell einzustufen sind. Am Beispiel der HNO-Chirurgie stellt Tadeus Nawka dar, daß man bei einer Krebsoperation in der sanften Technik häufig eine geringere Radikalität in Kauf nehmen muß.

In einem weiteren klinischen Kapitel beschreiben Dietrich Grönemeyer und Rainer Seibel, die beide am Mülheimer Radiologie-Institut sowie an der Universität Witten-Herdecke tätig sind, ebenfalls in gut verständlicher Form die Bedeutung bildgebender Verfahren wie Ultraschall- und Röntgenaufnahmen und der verschiedenen Tomographietechniken für eine schonende Therapie. Für die minimal invasive Chirurgie, die durch derartige Techniken gestützt wird, hat sich der (irreführende) Name "interventionelle Radiologie" eingebürgert.

Die medizinischen Disziplinen, die sanfte Chirurgie betreiben, sind keineswegs vollständig vertreten. Es fehlen Beiträge von Spezialisten aus Unfallchirurgie, Orthopädie, Neuro-, Thorax-, Gefäß- und plastischer Chirurgie. Von ihnen hätte der ratsuchende Patient sicherlich noch viel über sanfte Chirurgie erfahren können. Statt dessen wird der wertvolle Raum mit allzu speziellen und ausführlich dargestellten, klinisch wenig relevanten Forschungsergebnissen der medizinischen Laser-Technik gefüllt: Jeder namhafte Experte Deutschlands auf diesem Gebiet kommt mit einem eigenen Beitrag zu Wort.

Es ist dem Herausgeber nicht gelungen, die Forscher und Praktiker verschiedener Richtungen der minimal invasiven Chirurgie zu einem aufklärenden Werk über Gegenwart und Zukunft dieser faszinierenden und viele Patienten entlastenden (teilweise aber auch noch gefährlichen) Therapie zusammenzuführen. Gerade die von ihm selbst geforderte "intensive Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen" wird der Leser vermissen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1995, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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