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Vor fünfzig und vor hundert Jahren


1945

Es steht heute im Kampf mit der Technik – im Kampf nicht gegen, sondern um die Technik – wie damals, als der totalitäre Terror die europäische Zivilisation auszulöschen drohte: jedes Nachgeben, jeder Zweifel, jeder Defaitismus und jede egoistische Spekulation kann zum Verhängnis werden. Bloße Technokratie ist eine Form des Nihilismus, die den Menschen ebenso negiert und schließlich zerstört wie der militaristische Totalitarismus. Die Atombombe ist ein unmittelbar verständliches Symbol; denn sie enthüllt die innere Bedrohung der Humanität zugleich als eine äußere der Menschheit – und in jeder Hinsicht die äußerste, in der wir uns befinden. Der Punkt außerhalb unserer Welt, von dem aus Archimedes sie aus den Angeln heben wollte, ist gefunden. Die Technik hat ihren metaphysischen Hintergrund enthüllt. Er ist ein Verdikt gegen die Erde, die Wohnstätte des Menschen. (Schweizer Annalen, II. Jg., Nr. 5/6, 1945)

Zur Waffenruhe in Europa. Trauer über Europa, das sich selbst zerstören zu müssen scheint. Trauer über diesen Erdteil, der dem Osten und dem Westen das Christentum, die Zivilisation und die Kultur gebracht hat und der nun den Westen und den Osten herbeirufen muss, weil er der Geister und Ungeister nicht allein Herr wird, die aus der Tiefe aufbrachen. Und Scham. Scham darüber, dass es so weit hat kommen können. Scham, weil wir dessen inne geworden sind, dass unsere Kultur nur brüchiges Eis ist über den Elementen der Tiefe. Scham, weil wir erkennen, dass dem wissenschaftlichen und insbesondere dem technischen Fortschritt wie ein tragischer Schatten sich die Versuchung an die Ferse heftet, ihn gegen die Menschheit zu gebrauchen. Wer von uns hätte während dieses Krieges und angesichts seiner Abscheulichkeiten immer sagen dürfen: "Das wäre bei uns nicht möglich! Daran sind wir andern ganz und gar unschuldig!" Nicht nur das Morden ist Sünde – auch das Zulassenmüssen und Schweigenmüssen ist Anlass zur Scham. (Ausschnitt aus der Ansprache von Prof. K.G. Schmidt an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich am 9. Mai 1945 in: Schweizer Bauzeitung, Band 125, Nr. 20, Seite 239, 19. Mai 1945)

1895

Die Synthese des Caffeïns ist nach einer Mittheilung den Herren Emil Fischer und Lorenz Ach gelungen. Die Aehnlichkeit der Harnsäure mit dem Xanthin und Caffeïn hat schon vielfach Versuche zur Ueberführung der Säure in die Basen angeregt, die jedoch bisher ohne Erfolg geblieben waren. Die jetzt endlich geglückte Synthese konnte nur auf einem grossen Umwege erzielt werden. Den Ausgangspunkt bildete der Dimethylharnstoff. (Naturwissenschaftliche Rundschau, X. Jg., Nr. 18, Seite 235)

Project einer Eisenbahn auf die Jungfrau. Der Elevator soll die Endstation der eigentlichen Bahn, die Station Jungfrau (4100 Mtr.), mit dem Jungfraugipfel selbst (4166 Mtr.) verbinden. Er führt also 66 Mtr. senkrecht in die Höhe und mündet unmittelbar auf der den Gipfel krönenden Plattform. Bei den angestellten Vorstudien hatte es sich als unthunlich herausgestellt, den Tunnel der Bahn am Gipfel ausmünden zu lassen: es wäre dort kein geeigneter Platz für Errichtung der nothwendigen Baulichkeiten gewesen. Dann mußte man aber auch darauf bedacht sein, den eigentlichen Bahnkörper so viel als möglich vor den Einflüssen der Witterung, namentlich vor Schnee und Eis und vor der in dieser Höhe furchtbaren Winterkälte zu schützen. So kam Dr. Guyer-Zeller dazu, den Endpunkt der Jungfraubahn in das Innere des Berges selbst zu verlegen. Hier bietet eine Erweiterung des Tunnels den Raum zur Anlage von Rangirgleisen und dergl. Der Betrieb des Elevators wird durch Elektricität erfolgen und selbstverständlich alle Garantien in Bezug auf Sicherheit bieten. Neben dem Elevator führt aber auch eine bequeme Wendeltreppe zum Gipfel empor. (Illustrirte Zeitung, Band 104, Nr. 2707, Seite 573)

Pithecanthropus erectus. Herr W. Krause berichtete über die bezügliche Schrift des Herrn Eugen Dubois, in welcher die drei Fundstücke: 1 Zahn, 1 Schädeldach und 1 Oberschenkelknochen, abgebildet und beschrieben sind; auf Grund dieser Funde wurde vom Verfasser eine neue Familie der Pithecanthropoiden und ein neues Genus aufgestellt, dessen aufrechter Gang, wie die grosse Capacität des Schädels dieses Thier zu der langgesuchten Uebergangsform zwischen Menschen und Affen stempeln sollte. Der Zahn ist 1891 in einer Tiefe von 12 bis 15 m unter dem Niveau der Flussbettränder ausgegraben worden; 1 m von diesem entfernt, fand man einige Wochen später in demselben Niveau das Schädeldach und im Jahre 1892, etwa 15 m stromaufwärts, das linke Oberschenkelbein. (Naturwissenschaftliche Rundschau, X. Jg., Nr. 20, Seiten 259-260)

Ballonfahrt in 9000m Höhe. Die höchste bislang im Luftballon erzielte Höhe, nämlich 9150m, ist im December 1894 durch A. Berson, Assistent am königl. meteorologischen Institut in Berlin, mittels des Ballons "Phönix" erreicht worden. Diese Auffahrt führte über die höchsten Wolkenformen, die bisher für ein Gemenge von Eisnadeln gehaltenen Cirren oder Federwolken, hinaus, bei einer Temperatur von -48°. Diese bedeutende Höhe, in welcher die äusserst verdünnte Luft Ohnmachten herbeiführt, konnte nur durch Anwendung von künstlicher Athmung mittels eines 1000l Sauerstoff enthaltenden Apparates ermöglicht werden. (Dinglers Polytechnisches Journal, Jg. 76, Bd. 296, Heft 7, Seite 168).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1995, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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