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News: Bohrlöcher erzählen Erdgeschichte

Unsere Erde hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Unter anderem hat sie in ihren Tiefen Informationen über Temperaturveränderungen der letzten Jahrhunderte gespeichert, die sich durch Bohrungen in den Untergrund abrufen lassen. Aus Messungen an über 600 Stellen auf der ganzen Welt folgern Wissenschaftler, dass die schon 500 Jahre andauernde Erwärmung der Erde vermutlich im 20sten Jahrhundert erheblich zugenommen hat. Außerdem war die Erderwärmung zumindest in der nördlichen Hemisphäre anscheinend sehr viel höher als bisher mit anderen Techniken ermittelt wurde.
Seit dem Jahr 1500 hat die Temperatur der Erdoberfläche um etwa 1 Grad Celsius zugenommen, wobei die Hälfte des Anstiegs allein im 20sten Jahrhundert erfolgte, sagt der Geologe Henry N. Pollack von der University of Michigan. In der nördlichen Hemisphäre betrug die Veränderung 1,1 Grad Celsius über die letzten 500 Jahre, davon 0,6 Grad Celsius im 20sten Jahrhundert (Nature vom 17. Februar 2000).

Die Wissenschaftler unter der Leitung von Pollack analysierten Temperaturmessungen in Bohrlöchern, die von langsam herabgelassenen hochsensitiven Thermometern gemacht wurden. Aus den Daten lässt sich erkennen, wie die Temperatur sich in der Vergangenheit veränderte. Das ist deshalb möglich, weil Dank der Wärmeleitung Temperaturschwankungen an der Oberfläche sich auch im darunter liegenden Gestein manifestieren, erklärt Shaopeng Huang. Kurzzeitige – tagesbedingte oder saisonale – Variationen dringen nur einige Meter tief in die Erde ein und sind schnell wieder "vergessen", aber Temperaturänderungen, die sich über Hunderte von Jahren erstreckten, sind in tieferen Gesteinsschichten gespeichert.

Die Temperatursignale bewegen sich sehr langsam im Gestein und durchdringen nur etwa 500 Meter in 1000 Jahren. "Daher sind die obersten 500 Meter so eine Art Archiv – eine historische Aufzeichnung aller Temperaturveränderungen der letzten 1000 Jahre", sagt Pollack. "Wie bei allen geschichtlichen Archiven gibt es natürlich auch fehlende Seiten und verwischte Tinte. Aber im Prinzip ist es möglich, irgendwo auf einem Kontinent ein Loch zu bohren und anhand des Temperaturprofils zu rekonstruieren, was sich an dieser Stelle ereignete."

Ein einzelnes Bohrloch kann aber nicht die Geschichte der Welt erzählen. Daher mittelten die Wissenschaftler die Daten von einigen Hundert Bohrungsstellen auf der ganzen Welt. Ihre derzeitige Arbeit baut auf einer früheren Analyse von Temperaturprofilen aus 358 Bohrlöchern in Nordamerika, Zentraleuropa, Australien und dem Süden Afrikas auf. Die Erweiterung der Bohrstellenanzahl und somit der geographischen Abdeckung, erhöhte die Verlässlichkeit der Ergebnisse und ermöglichte es den Forschern, sowohl regionale als auch globale Trends zu beobachten. In der neuen Studie verglichen sie ihre Daten auch mit den Ergebnissen von anderen Techniken, wie der Analyse von Baumringen, Eisbohrkernen, Gewässersedimenten oder dem Korallenwachstum.

"Alle Methoden – so auch unsere – stellen das 20ste Jahrhundert als äußerst ungewöhnlich dar. Das vergangene Jahrhundert ist das wärmste der letzten fünf und das mit den drastischsten Veränderungen", sagt Pollack. "Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass die Erderwärmung in den letzten 500 Jahren sehr viel größer war als bisher angenommen."

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