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News: Das größte Bakterium der Welt sorgt vor

Eine neu entdeckte Bakterienart ist so groß, daß man sie sogar mit dem bloßen Auge erkennen kann, so häufig, daß sie in Meeressedimenten vor der Küste Namibias die beherrschende Art von Mikroorganismen darstellt, und ökologisch besonders wichtig, da sie die Stoffkreisläufe von Schwefel und Stickstoff miteinander verknüpft. Trotzdem wurde sie bislang von den Wissenschaftlern übersehen. Das poetisch als 'Schwefelperle Namibias' (Thiomargarita namibiensis) bezeichneten Riesenbakterium hat sich gut an sein schwieriges Leben im Schlamm angepaßt: Es lebt von reduzierten Schwefelverbindungen aus dem Sediment und Nitrat aus dem Meerwasser und kann auch mal bis zu drei Monate hungern, wenn die Strömungen kein frisches Wasser nachliefern.
"Als ich ihnen davon berichtete, nahmen mich meine Kollegen zuerst nicht ernst, denn die Bakterien waren so riesig", erinnert sich Heide Schulz vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen. Die Wissenschaftlerin war selbst überrascht, als sie an Bord des russischen Forschungsschiffes Petr Kottsov die Sedimentproben aus der Walvis-Bucht vor Namibia genauer untersuchte. Bis zu einem dreiviertel Millimeter große, kugelrunde Zellen eines bis dahin unbekannten Mikroorganismus fand sie darin. Die meisten Zellen hatten Durchmesser zwischen 0,1 und 0,3 Millimetern – genug, um mit bloßem Auge sichtbar zu sein, und zwanzig- bis dreißigmal größer als das bisher größte bekannte Bakterium.

Eigentlich hatten die Biologen unter der Leitung von Bo Barker Jørgensen zwei andere Organismen studieren wollen. Sie hatten die Schwefelbakterien Beggiatoa und Thioploca und ihre Rolle im Ökosystem Meer bereits vor der pazifischen Küste Südamerikas erforscht. Dort herrschen ähnliche hydrographische Bedingungen wie vor Namibia: Von Norden nach Süden verlaufen parallel zum Kontinentalschelf starke Meeresströmungen. Die Rotation der Erde nach Osten verschiebt diese Strömungen nach Westen, so daß mit dem aufsteigenden Tiefenwasser große Mengen Nährstoffe an die Meeresoberfläche gespült werden. Dadurch gehören beide Regionen zu den an Phytoplankton und Fischen reichsten Gebieten.

Ein bedeutender Anteil der Mikroalgen sinkt nach dem Tod auf den Boden des Ozeans und wird dort von Bakterien abgebaut. Im Sediment nutzen anaerobe – also ohne Luft lebende – Bakterien die sauerstoffreiche Schwefelverbindung Sulfat, um organisches Material zu oxidieren. Die Energie der chemischen Reaktionskette nutzen sie für ihre eigenen Lebensvorgänge, aber ein Teil davon steckt noch in den entstehenden Sulfiden.

Um an diese Energie heranzukommen, ist ein weiteres Oxidationsmittel notwendig. Da die Sauerstoffkonzentration am Meeresboden zu niedrig ist, haben einige Bakterien die Fähigkeit entwickelt, das Nitrat aus dem Ozeanwasser zu verwenden. Sie verbinden so den Schwefel- mit dem Stickstoffkreislauf im Meer.

Zu den wenigen Bakterien, die sich in der schmalen ökologischen Nische zwischen Sulfiden im Sediment und Nitrat im Meereswasser eingenistet haben, gehört zum Beispiel Thioploca. Um Zugang zu beiden wichtigen chemischen Verbindungen zu haben, hängen sich mehrere Thioploca-Zellen fest aneinander und umgeben sich mit einer Schleimhülle, in der sie auf- und abwärts gleiten.

Die neu entdeckten Riesenbakterien, haben dagegen eine ganz andere Strategie entwickelt. Sie leben in einer außergewöhnlich losen, flaumigen Art von planktonreichem Sediment und finden sich zu eher lockeren Fäden von durchschnittlich zwölf Zellen zusammen. Unmittelbar hinter der Zellwand speichern die Mikroorganismen elementaren Schwefel, und in ihrem Innern haben sie einen Vorrat an Nitrat, der – eingeschlossen in eine Vakuole – bis zu 98 Prozent des Gesamtvolumens ausmachen kann. Darin ist die Nitratkonzentration bis zu 10 000mal höher als im Meerwasser. Die blaugrün schimmernde Vakuole und die weiß erscheinenden Schwefelkügelchen veranlaßten die Bremer Wissenschaftler, das Bakterium Thiomargarita namibiensis zu nennen – die "Schwefelperle Namibias".

Die Einschlüsse von Schwefel und Nitrat helfen Thiomargarita, bis zu dreimonatige Perioden zu überstehen, in denen das Bakterium keinen Nachschub bekommt. Denn anders als Thioploca ist das Riesenbakterium nicht in der Lage, sich aktiv zu bewegen. Nach Ansicht der Forscher wäre die "Schleimhüllenmethode" in dem lockeren Sediment wahrscheinlich nicht effektiv. Also ist Thiomargarita auf die Strömungen angewiesen. Und da die auch einmal hohe Konzentrationen von Sauerstoff oder Sulfiden bescheren können, hat das Bakterium eine bemerkenswerte Toleranz gegen diese Stoffe entwickelt. Ihre Anpassung ist so gelungen, daß die Biomasse bis zu 47 Gramm pro Quadratmeter beträgt. Sie spielen darum vermutlich eine wichtige Rolle im ökologischen Gleichgewicht vor der namibischen Küste.

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