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News: Der kleine Unterschied macht's

Jede Abwehrzelle in unserem Immunsystem muß wissen, wer Freund und wer Feind ist. Darum lernt sie erst die körpereigenen Proteine kennen, bevor sie im Körper losgelassen wird. Bei Autoimmunkrankheiten allerdings greift das Immunsystem den eigenen Körper an, und oft genug weiß man nicht, warum. Wissenschaftler haben nun vielleicht eine Erklärung für dieses Fehlverhalten bei der Multiplen Sklerose entdeckt: Das 'Lehrprotein' ist ein Stückchen zu kurz - als ob in einem Lehrbuch das letzte Kapitel fehlt.
Weltweit sind etwa eine Million Menschen von Multipler Sklerose (MS) betroffen. Bei dieser Autoimmunkrankheit zerstört das Immunsystem die für die Signalweitergabe wichtige Myleinscheide, welche die Nervenbahnen schützend ummantelt. Die Folgen sind mangelnde Kontrolle der Muskeln und Gefühllosigkeit, in schweren Fällen kann Multiple Sklerose sogar zu Lähmungen und Tod führen.

Unser Immunsystem lernt normalerweise, zwischen eigenen und fremden Proteinen zu unterscheiden. T-Zellen zum Beispiel werden im Thymus mit den körpereigenen Proteinen überschwemmt, und die T-Zellen, die eigene Proteine angreifen, werden vernichtet. Ludger Klein und Bruno Kyewski vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg fragten sich, ob nicht Fehler in diesem "Ausbildungsprogramm" zu Autoimmunkrankheiten führen könnten. Falls zum Beispiel zu wenig von einem körpereigenen Protein im Thymus zur Verfügung steht, könnte es sein, daß T-Zellen, die es angreifen würden, unentdeckt bleiben.

Um ihre Annahme zu testen, untersuchten die Forscher die Aktivität des für das Proteolipidprotein (PLP) codierenden Gens. Dieses Protein ist einer der Hauptbestandteile des Myelins und zugleich einer der häufigsten Angriffspunkte von fehlgeleiteten T-Zellen bei Multipler Sklerose. Die Wissenschaftler verglichen zwei Mäusestämme miteinander, von denen einer anfällig und der andere resistent gegen eine der Multiplen Sklerose ähnlichen Krankheit ist.

In beiden Tiergruppen war die Menge an PLP im Thymus etwa gleich groß, allerdings waren die Moleküle im Thymus etwas kürzer als die vom Zentralen Nervensystem hergestellten Proteine. Als die Wissenschaftler die Teile des Proteins genauer unter die Lupe nahmen, an die sich die T-Zellen beim Angriff anhängen, erlebten sie eine Überraschung: Bei den resistenten Mäusen lagen alle vier Andockstellen auf der im Thymus auftretenden kürzeren Version des PLP. Bei den anfälligen Mäusen jedoch befand sich eine Stelle auf dem kurzen Stück, das dem im Thymus präsentierten Protein fehlt (Nature Medicine vom Januar 2000).

Auch beim Menschen liegt im Thymus nur die kürzere Variante vor. Um diese Ergebnisse nun für eine Behandlung ausnutzen zu können, "müßte man die Toleranz [für die Proteinstückchen] wiederherstellen, die nicht im Thymus exprimiert werden" – und das bereits in einem sehr frühen Stadium der Krankheit, meint Lawrence Steinman von der Stanford University. Falls sich dieser Ansatz in Tierversuchen und beim Menschen bewährt, könnte es eines Tages möglich sein, MS-Erkrankten praktisch als "Förderunterricht für das Immunsystem" künstliche Proteinfragmente zu injizieren, fügt er hinzu.

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