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News: Die Hände - keine Hilfe für die Zunge

Ob sehend oder blind, jeder gestikuliert beim Sprechen. Dabei ist es egal, ob das Gegenüber ebenfalls blind ist oder ob die Unterhaltung über das Telefon geführt wird. Mit Informationsvermittlung scheinen unsere Handbewegungen also nicht unbedingt etwas zu tun zu haben. Womit aber dann? Neuere Forschungen legten den Schluß nahe, die Gesten könnten uns bei den dem Reden vorausgehenden Denkprozessen helfen. Eine Studie zeigt aber, daß Gesten zumindest nicht dabei helfen, Worte zu finden, die uns auf der Zunge liegen.
Empirische Analysen der Gestikulation beim Sprechen haben gezeigt, daß die Hand- und Armbewegungen oft verbale Konzepte vorwegnehmen und illustrieren, kurz bevor diese ausgesprochen sind. Deshalb lautete die Theorie, das Gestikulieren helfe uns, Worte und Ideen ins Gedächtnis zu rufen.

Eine Studie von Geoffrey Beattie und Jane Coughlan von der University of Manchester stellt für diese These eine ernsthafte Herausforderung dar (British Journal of Psychology, 10. Februar 1999). Die Forscher berichten, daß Versuchspersonen, die hinreichend gestikulieren dürfen, sich keineswegs besser an schwer zu behaltende Worte erinnern als Personen, die mit verschränkten Armen dasitzen.

Beattie und Coughlan konfrontierten 60 Psychologiestudenten (20 männliche und 40 weibliche) mit Wortdefinitionen, von denen man wußte, daß sie einen "Es liegt mir auf der Zunge"- Effekt hervorrufen. Sie bezogen sich dabei auf eher einfache, aber selten gebrauchte Worte. Die Studenten hatten 30 Sekunden Zeit, sich das Wort einfallen zu lassen, danach bekamen sie den Anfangsbuchstaben und weitere 15 Sekunden. Die Hälfte der Gruppe durfte gestikulieren, die andere Hälfte hielt die Arme verschränkt.

Um herauszufinden, ob die Versuchspersonen das fragliche Wort überhaupt kannten, wurden einer Jury aus fünf Personen stumme Videos vorgelegt, auf denen diese die auf ihren Stühlen hin- und herrutschenden, mit den Füßen scharrenden Probanden bei ihren Kämpfen mit dem widerspenstigen Gedächtnis beobachten konnten. Die Jury mußte dann aus einer Liste von fünf Worten, darunter einigen mit sehr ähnlicher Bedeutung, das auswählen, was zu finden sich die Versuchsperson gerade abmühte. Das gelang bei etwa 88 Prozent aller Worte, unabhängig davon, ob der Person das Wort letztendlich noch einfiel oder nicht.

Erstaunlicherweise kamen aber die Versuchsteilnehmer, die gestikulieren durften, auf weniger Worte als diejenigen mit verschränkten Armen. Sie hatten fast fünf Prozent mehr "Es liegt mir auf der Zunge"-Zustände zu erleiden und erinnerten sich an 66,8 Prozent der Worte, gegenüber 72,4 Prozent bei ihren "unbeweglichen" Kollegen. Trotz der Tatsache, daß die Jury die Gesten richtig deuten konnte, war nur ein kleiner Prozentsatz der Bewegungen tatsächlich auf die Bedeutung des Wortes bezogen. Der Rest bestand aus Kopfkratzen oder anderen allgemeinen Bewegungen. Auch hatte der Umfang des Gestikulierens statistisch gesehen keinen Einfluß auf das Testergebnis.

So kann man die Frage, warum wir unsere Hände beim Sprechen benutzen, vorerst wieder nur mit einem Kopfkratzen beantworten.

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