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KI in Hollywood: Ersetzt künstliche Intelligenz bald Schauspieler?

In Hollywood streiken die Darsteller – unter anderem, weil sie befürchten, künftig von KI ersetzt zu werden. Vollkommen realitätsfern ist diese Annahme nicht.
Das Gesicht einer Frau gegenüber einem digitalen Double
Schauspieler haben Bedenken, die Filmindustrie könnte sie in Zukunft durch künstliche Intelligenz ersetzen.

Im Inneren der Kugel besteht die Welt bloß aus weißem Licht und Blitzen. Außerhalb ihres metallischen, skelettartigen Rahmens herrscht vollkommene Dunkelheit. Stellen Sie sich vor, Sie wären in dieser Vorrichtung auf einem Stuhl festgeschnallt. Eine Stimme gibt Ihnen verschiedene Gesichtsausdrücke vor: wie Sie Ihren Mund und Ihre Augenbrauen positionieren, auf welche Szenarien Sie wie reagieren, welche Sätze Sie sagen und welche Emotionen Sie verkörpern sollen. In unregelmäßigen Abständen beruhigt die Stimme Sie auch, sagt, Sie sollen sich keine Sorgen machen, und warnt Sie, dass bald weitere Blitze kommen werden.

»Ich glaube nicht, dass ich richtig Angst hatte, aber es war definitiv überwältigend«, sagt ein Schauspieler, der nicht genannt werden möchte. Er beschreibt seine Erfahrung in der »Kugel«, wie er die Fotogrammetrie-Kabine nennt, in der sein Konterfei während der Produktion eines großen Videospiels im Jahr 2022 aufgenommen wurde. »Es fühlt sich an wie in einem Kernspintomografen«, erklärt er. »Es war wirklich sehr sciencefictionmäßig.« Die Erfahrung des Schauspielers war Teil eines Prozesses, der es Medienproduktionsfirmen ermöglicht, Darsteller aus verschiedenen Blickwinkeln zu fotografieren und daraus bewegliche, verformbare digitale Avatare zu erstellen. Diese können anschließend animiert werden, um praktisch jede Bewegung in einer realistischen Videosequenz auszuführen.

Dank der Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz wird es nun immer einfacher, solche digitalen Doppelgänger zu erstellen – auch ohne eine intensive Sitzung in der Kugel. Einige Schauspieler fürchten eine Zukunft, in der Firmen sie unter Druck setzen, ihr Konterfei abzugeben, damit ihnen ihr virtuelles Double anschließend die Arbeit wegnimmt. Das ist einer der Gründe, die die Mitglieder der Gewerkschaft SAG-AFTRA (Screen Actors Guild-American Federation of Television and Radio Artists) zu einem Streik veranlasst haben. »Schauspielerinnen und Schauspieler brauchen den Schutz ihrer Bilder und Darbietungen, um zu verhindern, dass Technologien der künstlichen Intelligenz sie ersetzen«, steht in einer Erklärung der Gewerkschaft, die einige Tage nach der Ankündigung des Streiks Mitte Juli veröffentlicht wurde.

Auch wenn die Situation perspektivisch beunruhigend ist, sind die digitalen Doubles in heutigen Medienproduktionen noch auf menschliche Darsteller angewiesen – und auf Experten und Expertinnen, die die Kunst überzeugender Spezialeffekte beherrschen. Doch das könnte sich in den kommenden Jahren ändern.

Wie ein digitaler Zwilling entsteht

In den vergangenen 25 Jahren ist es bei großen Medienproduktionen immer üblicher geworden, zumindest einige Gesichter und Körper von Darstellerinnen und Darstellern digital zu verdoppeln. Diese Technologie wurde mit ziemlicher Sicherheit in jedem Film, jeder Fernsehsendung oder jedem Videospiel verwendet, in dem umfangreiche digitale Effekte, aufwändige Actionszenen oder Protagonisten in mehreren Altersstufen eine Rolle spielen. »Das ist inzwischen eine Art Industriestandard«, sagt Chris MacLean, Geschäftsführer der Firma MacLean VFX, die die Spezialeffekte für die TV-Serie »Foundation« gemacht hat.

Die Fotogrammetrie-Kabine ist ein quadratischer oder runder Bereich, der von hunderten Kameras umgeben ist. Diese nehmen Tausende von Bildern des Gesichts einer Person in hoher Auflösung auf. Wenn die Rolle eines Schauspielers das Sprechen oder das Zeigen von Emotionen beinhaltet, braucht man Bilder von vielen verschiedenen Gesichtsbewegungen. Aus diesem Grund sind für Hauptdarsteller wesentlich mehr Scans erforderlich als für Nebendarsteller. Auch ganze Körper können nach dem gleichen Prinzip gescannt werden.

Mit diesen Daten bauen Spezialisten für digitale Effekte das zweidimensionale Modell in ein dreidimensionales Ergebnis um. Dabei ist entscheidend, dass sich die Aufnahmen überlappen. Mit den Koordinaten der Kameras werden die Bilder zueinander in Beziehung gesetzt und gefaltet – wie ein digitales Origami. Das so entstandene digitale 3-D-Double kann dann zu einem virtuellen »Skelett« zusammengesetzt und animiert werden: entweder durch direkte Nachahmung der realen, aufgezeichneten Darbietung eines Schauspielers oder durch eine Reihe computergenerierter Bewegungen. Die animierte Figur kann dann in einer digitalen Landschaft platziert werden und Dialoge führen. Technisch gesehen ist es möglich, die Scans einer Person zu verwenden, um fotorealistisches Videomaterial zu erstellen, in dem sie Dinge tut und sagt, die der Schauspieler nie getan oder gesagt hat.

Umgekehrt lässt sich durch Spezialeffekte auch die Performance eines Schauspielers auf einen virtuellen Avatar anwenden, der völlig anders aussieht als der Mensch. Der oben erwähnte Schauspieler hat dazu in der Kugel verschiedene Gesichtsausdrücke eingespielt und seinen Text in einer Aufnahmekabine eingesprochen. Außerdem spielte er viele Szenen in einem separaten Studio mit seinen Schauspielerkollegen für das »Motion Capture« durch – ein Verfahren, das der Fotogrammetrie ähnelt, aber dazu dient, die Bewegungen eines Körpers aufzuzeichnen. Wenn die Gamer sich mit dem Endprodukt beschäftigen, werden sie nicht den Schauspieler auf ihrem Bildschirm sehen. Sein digitales Double wurde so verändert, dass es wie ein Schurke aussieht. Die endgültige animierte Figur enthält dann das Talent des Schauspielers sowie die Eigenschaften der fiktiven Figur.

Bei Film- und Fernsehproduktionen wird dieses Verfahren seit Jahrzehnten genutzt, obwohl es in der Vergangenheit arbeitsintensiv und teuer war. Trotz dieser Nachteile sind digitale Zwillinge weit verbreitet. Produktionsteams verwenden sie häufig, um kleine Anpassungen an Dialogen und Handlungen vorzunehmen. Die Technik kommt auch bei größeren Bearbeitungen zum Einsatz, etwa wenn eine Gruppe von 100 Statisten in eine Menschenmenge von tausenden Personen verwandelt wird. Und solche Kunststücke sind leichter zu vollbringen, wenn das ursprüngliche Filmmaterial dem gewünschten Endergebnis ähnelt. Ein Statist mit einem viktorianischen Kostüm ließe sich zum Beispiel nur schwer in eine dystopische Zukunft hineinschneiden, in der sein digitales Double einen Raumanzug trägt, sagt MacLean. »Ich glaube nicht, dass die Studios so viel Geduld aufbringen würden«, fügt er hinzu. Doch generative künstliche Intelligenz – die gleiche Art von maschinellem Lernen, die hinter ChatGPT steht – kann die Prozesse hinter digitalen Doubles beschleunigen und vereinfachen.

KI betritt die Bühne

Einige Firmen für Spezialeffekte setzen bereits generative KI ein, um das Aussehen von digitalen Doppelgängern schneller zu verändern, so MacLean. Das macht es beispielsweise einfacher, Schauspieler in Filmen zu verjüngen, wie in »Indiana Jones und das Rad des Schicksals«, in dem eine jüngere Version des heute 81-jährigen Harrison Ford auftaucht. Mit künstlicher Intelligenz kann man auch das Gesicht eines Schauspielers über das eines Stunt-Doubles legen, sagt Vladimir Galat, technischer Direktor von Scan Truck, einem Unternehmen für mobile Fotogrammetrie.

Galat zufolge haben Fortschritte in der KI einige Fotogrammetrie-Scans überflüssig gemacht: Man kann ein generatives Modell mit vorhandenem Bild- und Filmmaterial trainieren – sogar von Menschen, die nicht mehr leben. Laut Digital Domain, einer Produktionsfirma für Spezialeffekte, die an dem Superheldenfilm »Avengers: Endgame« mitgewirkt hat, ist es sogar möglich, digitale Darbietungen von historischen Persönlichkeiten zu fälschen. »Das ist eine neue Technologie und wachsender Teil unseres Geschäfts«, sagt Hanno Basse, technischer Leiter von Digital Domain.

Wenn man das Gesicht eines Menschen einfach mit dem eines anderen austauschen kann, was hindert die Filmemacher dann daran, Tom Cruise in jede Einstellung eines jeden Actionfilms zu setzen?

Bislang waren stets lebende Menschen an der Darbietung von Verstorbenen beteiligt. Ein Darsteller spielt eine Szene, anschließend ersetzen Experten für Spezialeffekte sein Gesicht durch das der historischen Person. »Die Nuancen der schauspielerischen Leistung in Kombination mit unseren KI-Methoden sind entscheidend, um fotorealistische Ergebnisse zu erzielen, die das Publikum fesseln und den ›Gruselgraben‹ überwinden«, sagt Basse und bezieht sich damit auf das unheimliche Gefühl, das durch etwas hervorgerufen wird, was fast – aber nicht ganz – menschlich aussieht.

Ängste vor einem Ersatz durch KI

Man muss zwischen der Anpassung eines digitalen Zwillings und dem vollständigen Ersatz einer Person durch KI unterscheiden, sagt der Computeringenieur Jeong Joon »JJ« Park, der an der Stanford University im Bereich Computer Vision and Graphics forscht und im Herbst eine Stelle an der University of Michigan antreten wird. Der Gruselgraben ist groß, und es gibt noch kein KI-Modell, das eine gesamte fotorealistische bewegte Szene von Grund auf erzeugen kann. Eine solche Technologie ist noch nicht einmal in greifbarer Nähe, sagt Park. Um dorthin zu gelangen, »muss es einen großen Sprung in der Intelligenz geben, die wir entwickeln«, sagt er. KI-generierte Bilder sind vielleicht nur schwer von echten zu unterscheiden, aber Standbilder lassen sich viel einfacher erzeugen als Videos, die sich im dreidimensionalen Raum abspielen.

Dennoch besteht die Gefahr, dass die digitalen Doubles der Schauspieler missbraucht werden. Wenn man das Gesicht eines Menschen einfach mit dem eines anderen austauschen kann, was hindert die Filmemacher dann daran, Tom Cruise in jede Einstellung eines jeden Actionfilms zu setzen? Oder 100 Statisten durch einen einzigen zu ersetzen und mit Hilfe von KI die Illusion von einer Menschenmenge zu erzeugen? In den meisten US-Bundesstaaten haben Personen das Recht an ihrem Bild, sagt Eleanor Lackman, Anwältin für Urheber- und Markenrecht. Sie weist jedoch darauf hin, dass es großzügige Ausnahmen für die künstlerische Nutzung gibt, und das Filmemachen könnte leicht darunterfallen.

Unabhängig von der Rechtslage könnte jemand einen Vertrag unterzeichnen, mit dem er die Rechte an seinem eigenen Bild an eine Produktionsfirma abtritt, erklärt Jonathan Blavin, ein auf Medien und Technik spezialisierter Anwalt. Wenn es um den Schutz des eigenen digitalen Bilds geht, kommt es auf die Einzelheiten des Vertrags an – eine Situation, der sich die SAG-AFTRA durchaus bewusst ist.

Der Schauspieler, der als Vorlage für den Bösewicht eines Videospiels diente, fühlte sich in seiner Rolle wohl. »Die Firma, mit der ich gearbeitet habe, war ziemlich ehrlich«, sagt er. Doch in Zukunft wird er vielleicht nicht mehr so schnell solche Verträge abschließen, denn »die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz bei der Erfassung von Gesichtern und das, was wir bei den Streik-Verhandlungen gesehen haben, sind beängstigend«. Allerdings liebt er Videospiele. Deshalb war er begeistert davon, in einem mitzuspielen, und hofft, das wieder tun zu können. Aber zuerst, sagt er, »würde ich den Papierkram überprüfen, mich bei meiner Agentur melden – und möglicherweise einen Anwalt einschalten«.

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