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News: Familientragödien - Wenn die Emotionen eskalieren

Vergangenen Juli hat sich in der Tiroler Gemeinde Langkampfen bei Kufstein eine unfaßbare Familientragödie ereignet. Nach Angaben der Exekutive tötete ein 32jähriger Fabrikarbeiter seine Ex-Frau und seine vier kleinen Kinder. Danach versuchte sich der Amokläufer - erfolglos - selber zu richten. Von diesem Mittwoch an muß sich der Tiroler in Innsbruck vor Gericht verantworten. Einmal mehr stellt sich die Frage, wie es zu derartigen Taten kommen kann.
Der Wiener Psychiater Primar Dr. Günter Pernhaupt nennt endogene Depressionen, schwere psychische Verstimmungen ohne erkennbaren äußeren Grund, als hauptsächliche Ursache für solche Zwischenfälle. Nicht selten komme es dabei zu einem "erweiterten Selbstmord", bei dem der Täter zunächst die ihm liebsten Anverwandten und dann sich umbringe, um mit diesen "auf ewig vereinigt" zu sein. Auch "fixe Gedanken" im Rahmen einer Schizophrenie können laut dem Experten zu solchen Schreckenstaten führen. Dabei würden oft Stimmen vernommen, welche die Bluttaten anordneten.

Etwa 85 Prozent der Täter, die Familienmitglieder töten, sind Männer. Der Tat geht meist ein emotionaler Eskalationsprozeß voraus. So gab der mutmaßliche Amokläufer von Tirol gegenüber der Gendarmerie als Motiv für die Bluttat an, daß er es nicht verkraften konnte, daß seine Frau das alleinige Sorgerecht für die vier Kinder habe und nach Deutschland wegziehen wollte. Der Soziologe Helmut Tausendteufel von der Freien Universität Berlin spricht in so einem Fall von einem "starken Abhängigkeitsverhältnis zwischen Täter und Opfer".

Bei einer Krise verstärke sich das Gefühl, die Beziehung kontrollieren zu müssen, weiß Tausendteufel aus seinen Untersuchungen. Eskaliert die Situation, könne der Täter sein Handeln immer weniger rational steuern. Nur noch Mord scheint ein Ausweg zu sein. "Dadurch erlangt er ein letztes Mal Kontrolle über die Beziehung und damit über seine Abhängigkeit." Die Tat entschädigt für tatsächliche oder vermeintliche Demütigungen. "Ein angeschlagenes männliches Selbstwertgefühl versucht, sich am Anspruch männlicher Überlegenheit aufzurichten", so der Forscher.

Bluttaten im "Familienmileu" dürfen nach Ansicht des Wiener Psychiaters Dr. Stephan Rudas, Chefarzt der Psychosozialen Dienste, aber nicht als "erweiterte Selbstmorde" gesehen werden. "Selbstmord ist die 'private' Entscheidung des Einzelnen. Bringt jemand vor dem Selbstmord aber einen anderen Menschen um, ist das Mord." Dies beispielsweise als "Familientragödie" oder "Verzweiflungstat" zu bezeichnen, sei unrichtig und führe zu einem falschen Bild, zu einer Art Schuldentlastung für den Täter. "Die Opfer, die vor einem Selbstmord umgebracht wurden, wollten aber immer leben. Es ist ein Rückfall in alte Stammesriten, wenn man meint, man könne Partner oder gar Kinder als Gegenstände betrachten."

De facto ist die Gesellschaft vor Amokläufern nicht zu schützen, glaubt Günter Pernhaupt. Für die Prognose solcher Taten reichen die vorhandenen Mittel nicht aus. Nach einer Tat lassen sich allerdings oft "Vorzeichen" finden. Tiefenpsychologisch sind Amokläufe laut Pernhaupt überhaupt nur im Einzelfall erklärbar.

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