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Kernphysik: Insel der Stabilität in Sichtweite?

Die richtig schweren Brocken im Periodensystem der Elemente führen meist nur ein sehr kurzes Leben. Innerhalb weniger tausendstel Sekunden sprengen die Abstoßungskräfte ihrer vielen Protonen sie auseinander. Nicht so beim neu geschaffenen Hassium-270.
Teilchenbeschleuniger
Oberhalb von Uran ist eigentlich Schluss mit Elementen. Mehr hat die Natur nicht anzubieten, und wer dennoch mehr haben will, muss die Schöpfung selbst in die Hand nehmen. Was nicht so einfach ist, denn um neue Atomkerne zu produzieren, muss man kleinere Exemplare miteinander verschmelzen – was diesen jedoch aufgrund der Abstoßungskräfte zwischen den positiv geladenen Protonen im Kern äußerst missfällt.

Dementsprechend viel Energie ist aufzuwenden, um den nuklearen Widerstand zu brechen und zusammenzubringen, was eigentlich nicht zusammengehört. Gigantische Apparaturen mit dem bescheidenen Namen Teilchenbeschleuniger bringen darum winzige Atomkerne auf ungeheure Geschwindigkeiten und lassen sie auf Ziele aus anderen Kernen prallen. Mit Glück stoßen dabei einige so passend aufeinander, dass sie aller Abneigung zum Trotz doch miteinander fusionieren – und ein Element jenseits der Standard-Natur bilden. Wenigstens vorübergehend, denn schon bald zerfällt das Geschöpf, weil es im Kern irgendwie so gar nicht für die Dauer stimmt.

Genau darum geht es den Forschern, die mit Hingabe Elemente mit reichlich Übergewicht basteln. Sie möchten gerne wissen, warum es in manchen Kernen nicht stimmt und wieso in anderen alles passt. Oder anders ausgedrückt: Es geht um nicht weniger als die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält. In der Theorie haben die Wissenschaftler da schon eine recht gute Vorstellung vom Wechselspiel der Kräfte, die den Kern sprengen möchten (die elektromagnetische Kraft) und die für seine Festigkeit sorgen (die starke Wechselwirkung). Doch liegt es im Wesen der Fortschritts, dass eine Theorie nur dann etwas taugt, wenn sie sich im Experiment bewährt – also Vorhersagen macht, die dann im Labor überprüft und bestätigt werden.

Eine solche Prophezeiung der Theorie zum Aufbau von Atomkernen besagt, dass bestimmte Anzahlen von Protonen und Neutronen einen Satz Kernteilchen vervollständigen und den Kern damit stabiler machen. Wobei es natürlich am besten wäre, wenn sowohl die positiv geladenen Protonen als auch die elektrisch neutralen Neutronen jeweils in ihrer "magischen Anzahl" vorlägen – sozusagen einen "doppelt magischen Kern" bilden. So ein Element wäre zwar nicht wirklich dauerhaft beständig, bliebe aber tausend- oder millionenfach länger bestehen als seine Nachbarn im Periodensystem. Gewissermaßen eine "Insel der Stabilität" in einem Meer des schnellen Verfalls.

Theoretisch haben Forscher diese Insel bereits in den 1960er Jahren gefunden und ihre Koordinaten zu 114 Protonen und 184 Neutronen bestimmt. Ein Ziel, das leider bis zum heutigen Tag außerhalb unserer technischen Möglichkeiten liegt. Dichter als 118 Protonen und 176 Neutronen sind wir der Insel bislang noch nicht gekommen.

Zum Glück haben neuere Berechnungen aber eine kleinere Insel – oder vielleicht eher eine Sandbank – ausfindig gemacht, die mit 108 Protonen und 162 Neutronen für hochgezüchtete Apparaturen und hochmotivierte Forscher erreichbar sein sollte. Und tatsächlich: Ein Team von Physikern um Jan Dvorak von der Technischen Universität München hat nun am Teilchenbeschleuniger der Darmstädter Gesellschaft für Schwerionenforschung die Insel auch experimentell erreicht und mit seinen Versuchen die theoretischen Vorhersagen bestätigt.

Um den schweren Kern des Elements Hassium zu erhalten, beschossen die Forscher ein Ziel aus Curium-248 (die Zahl gibt die Summe von Protonen und Neutronen an) mit Magnesium-26. Sie erhielten einen Haufen nuklearer Trümmer, unter denen ab und zu auch Kerne von Hassium-269 und Hassium-270 waren. Mit einem Strahl heißer Gase gelang es ihnen, diese beiden vom Rest zu trennen, sodass sie anschließend ihren Zerfall beobachten konnten. Aus der Energie des abgestrahlten Alpha-Teilchens, das aus zwei Protonen und zwei Neutronen besteht, konnten sie die Halbwertszeit des Hassium-270 berechnen: 22 Sekunden. Für so schwere Kerne eine halbe Ewigkeit.

Die vorgelagerte kleine Insel der Stabilität existiert also wirklich und macht Mut für die Suche nach der großen Insel. Möglicherweise sind die beiden sogar durch eine Brücke miteinander verbunden. Auf jeden Fall liegen die Theoretiker aber wohl mit ihren Berechnungen ziemlich gut.

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