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Kosmologie : Ärger für das Standardmodell?

Die Dunkle Materie entzieht sich ihrer Entdeckung; was »Dunkle Energie« sein soll, weiß kein Mensch - und nun gibt es neue Hinweise, dass sich auch manche Mini-Galaxien nicht genau an die Regieanweisungen des Standardmodells der Kosmologie halten.
Centaurus A

Es ist ein elegantes Modell unseres Universums – und ein mysteriöses. »Dunkle Materie« und »Dunkle Energie« machen rund 95 Prozent des Energie- und Materiebudgets aus, »normale« Atome und Elementarteilchen fristen nur ein Schattendasein. Während die Dunkle Energie den Kosmos als Ganzes immer schneller auseinandertreibt, sorgt die Dunkle Materie durch ihre Gravitationskraft dafür, dass sich Galaxien, Sterne und Planetensysteme überhaupt bilden konnten. »Lambda-CDM« nennen die Kosmologen dieses Standardmodell. »Lambda« steht für die Dunkle Energie, »CDM« »cold dark matter«. Kalt heißt hier, dass diese Materieform aus schweren Teilchen aufgebaut sein soll, die eher den Atomkernen der normalen Materie ähneln, und nicht aus leichten, schnellen und damit »heißen« Elementarteilchen. Es erklärt, warum sich Galaxien und Galaxienhaufen so bewegen, wie Astronomen es beobachten. Füttert man seine Bestandteile in Supercomputer, um die Entwicklung des Universums in Simulationen nachzuvollziehen, so entsprechen die dabei errechneten »künstlichen« Universen dem echten fast bis aufs Haar.

Doch das so erfolgreiche Standardmodell hat drei Schönheitsfehler. Der erste: Für die Natur der Dunklen Energie gibt es keine auch nur halbwegs passende physikalische Erklärung. Ihre Wirkung, die einer Abstoßung zwischen den Galaxien des Kosmos, einer Art »Anti-Gravitation«, entspricht, ist durch Beobachtungen ferner Supernova-Explosionen seit Ende der 1990er Jahre gut bestätigt. Was »Lambda« aber physikalisch sein soll, kann bislang niemand sagen. Der Buchstabe stammt von Albert Einstein, der ihn als »Anti-Gravitationsterm« in seine Feldgleichungen einführte, um ein statisches Universum zu erhalten – ein Fehler, den er später korrigierte. Durch die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums erlebte seine kosmologische Konstante eine unverhoffte Wiederbelebung.

Schönheitsfehler Nummer zwei: Obwohl die theoretische Physik mittlerweile etliche Wege entwickelt hat, die Dunkle Materie durch neue Elementarteilchen zu erklären, haben die Experimentatoren bis heute trotz größter Anstrengungen keines dieser hypothetischen Partikel gefunden. Weder am Large Hadron Collider des CERN in Genf noch in hochempfindlichen unterirdischen Detektoren auf der ganzen Welt oder in den Teilchen der kosmischen Partikelstrahlung zeigten sich bislang eindeutige Spuren der ominösen Dunkle-Materie-Teilchen.

Und auch die Bewegung der Galaxien, historisch einer der ersten Kronzeugen für die Existenz einer neuen Materieform, scheint bei genauer Sicht nicht 100-prozentig den Vorhersagen des Lambda-CDM-Modells zu gehorchen. Hinweise darauf verdichten sich seit Längerem, eine weitere Untersuchung dieser Art legte am Donnerstag, den 1. Februar 2018, eine Forschergruppe um Oliver Müller von der Universität Basel vor. Ihr in der Fachzeitschrift »Science« veröffentlichter Aufsatz fordere die auf der kalten Dunklen Materie aufbauende Kosmologie heraus, behaupten die Autoren bereits in der Überschrift.

Kreisende Galaxien

Konkret geht es um die Art und Weise, wie die vielen kleinen Satellitengalaxien um große, massereiche Galaxien kreisen. Die Milchstraße beispielsweise besitzt Dutzende solcher Miniaturgalaxien; ebenso die Andromedagalaxie, unsere benachbarte Spiralgalaxie. Auch die Galaxie Centaurus A, eine der größten Galaxien des »lokalen« Universums, besitzt mindestens 16 von ihnen. Ganze 14 davon, so fanden die Forscher um Müller heraus, umkreisen Centaurus A in ein und derselben Ebene und sogar mit der gleichen Umlaufrichtung – etwa so, wie die Planeten des Sonnensystems die Sonne umrunden. Nach dem Standardmodell der Kosmologie sollten sie sich jedoch völlig regellos um das Schwerezentrum bewegen, also eher nach dem Modell Bienenschwarm. Ähnliches hatte man schon zuvor bei Andromeda und der Milchstraße gefunden. Passt das so erfolgreiche Modell demnach am Ende doch nicht? Sind die Kosmologen mit Lambda-CDM auf dem Holzweg?

Das Lambda-CDM-Modell sollte erklären, wie aus dem anfangs im frühen Universum fast gleichförmig verteilten Urgas Galaxienhaufen, Galaxien und letztlich Sternsysteme wie das unsrige entstanden sind. Die beste Methode, um das zu überprüfen, sind Computersimulationen. Eines der detailliertesten dieser Modelluniversen entwickelte ein Team um Mark Vogelsberger vom Massachusetts Institute of Technology und Volker Springel vom Institut für Theoretische Studien in Heidelberg mit den Superrechnern »Curie« in Frankreich und »SuperMUC« in Garching bei München vor einigen Jahren. Es trägt den Namen »Illustris« und enthält rund 40 000 simulierte Galaxien. Gefüttert mit den Grundzutaten des Standardmodells reproduziert Illustris das echte Universum verblüffend gut. Mit Ausnahme der Satellitengalaxien: Gerade einmal 0,5 Prozent der damit simulierten Galaxien zeigten eine Konfiguration ihrer Satellitengalaxien wie bei Centaurus A, erklären die Forscher um Müller. Eine andere Simulationsrechnung schneide mit 0,1 Prozent sogar noch schlechter ab. Ist das der Anfang vom Ende des Standardmodells und der Dunklen Materie?

»Man wird solch eine Seltenheit in sehr viel mehr Systemen finden müssen, um Lambda-CDM in wirklich gravierende Schwierigkeiten zu bringen«, meint Volker Springel auf Nachfrage von »Spektrum.de«. Denn Centaurus A sei eher ungewöhnlich: Vor kosmologisch kurzer Zeit erlebte sie einen so genannten »Merger«, verschluckte also eine zweite Galaxie. Ähnliches wird auch unserer Milchstraße zustoßen, wenn sie sich in etwa fünf Milliarden Jahren mit der Andromedagalaxie zu einem noch größeren Sternensystem vereint. »In einem solchen Fall kann man Reste von Drehbewegungen im Halo und dann auch in den Satellitensystemen durchaus erwarten.« Zudem könne man weder Centaurus A noch die Andromedagalaxie oder die Milchstraße und ihre jeweiligen Satelliten als wirklich isolierte Systeme betrachten, erklärt Michael Boylan-Kolchin von der University of Texas in einem Begleitartikel zur Arbeit von Müller und dessen Kollegen. Selbst Materie in der weiteren Umgebung von 100 Millionen Lichtjahren und mehr wirke sich aus: »Die [Rotations]Ebenen von Andromeda und Centaurus A scheinen eine gemeinsame kosmische Ausrichtung zu haben, was Grund zu der Annahme liefert, dass großräumige Strukturen [zwischen diesen Galaxien] die Ursache für die beobachtete Bewegungsebene der Satelliten sind.« Systemspezifische Effekte wie diese würden von den Simulationen üblicherweise nicht abgebildet: Eventuell zeigt die Beobachtung von Müller und seinem Team also nur, dass Illustris und andere Simulationen ihre Grenzen haben – eine keineswegs überraschende Erkenntnis.

Aus Sicht von Springel haben die Forscher um Müller zwar eine »interessante Eigentümlichkeit« in Centaurus A gefunden. »Ob diese statistisch mit LCDM wirklich unverträglich ist, wird man jedoch noch intensiver studieren müssen.« Boylan-Kolchin sieht das ähnlich: »Die Verteilung der Satelliten um nahe Galaxien erreicht bislang nicht das Niveau einer Krise für Lambda-CDM.« Aber sie ist ein weiteres Puzzlestück, das die Kosmologen in ein vollständiges Bild des Universums einfügen müssen. Und die anderen Baustellen des Standardmodells gibt es weiterhin – für Theoretiker, Experimentalphysiker und Astronomen bleibt genug zu tun. Insgeheim hoffen einige vielleicht darauf, dass doch mehr dran ist am Fund von Müller und seinem Team: Liegen die Theoretiker falsch mit ihrem Standardmodell, dann erklären womöglich alternative Ansätze, wo und was sie denn nun ist, die Dunkle Materie. Und falls nicht, lernen sie vielleicht immerhin die Galaxienentwicklung und ihre Simulationsrechnungen besser verstehen.

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