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News: Kreis im Kreis

Kreise haben den Menschen schon zu allen Zeiten fasziniert - galten sie doch in vielen Kulturen als das perfekte geometrische Gebilde. Unzählige Sätze und Theoreme befassen sich bereits mit ihren Eigenschaften, und doch gibt es ab und an etwas Neues zu entdecken. So fanden Wissenschaftler eine neue, bisher unbekannte Formel, als sie sich mit ineinander geschachtelten Exemplaren beschäftigten. Die mathematische Vorschrift, die etwas mit der Krümmung sich berührender Kreise zu tun hat, führt sogar zu einer eleganten Verallgemeinerung für höher dimensionale Gebilde.
Manchmal beginnen Entdeckungen ganz unscheinbar – als Hausaufgabe. Allan Wilks von den AT&T Labs in Florham Park weilte 1998 in Deutschland auf einer Konferenz. In der Kaffeepause unterhielt er sich mit einem Kollegen, der gerade über der Geometriehausaufgabe seiner Tochter brütete. Die lautete etwa wie folgt: Man stelle sich einen großen Kreis mit dem Radius eins vor, in dessen Innerem zwei weitere, kleinere Kreise so angeordnet sind, dass sie nebeneinander gerade in den großen passen – also jeweils den Radius ein halb haben. Gesucht ist der Radius eines vierten Kreises, der sowohl den großen von innen als auch die beiden kleinen Kreise von außen berührt.

Zurück in den Vereinigten Staaten drehten sich Wilks Gedanken weiter um das Muster aus Kreisen. Kurzerhand zeichnete er die Problemstellung noch einmal auf ein Blatt Papier nach und füllte auch die verbleibenden Lücken in gleicher Manier durch immer weitere Kreise. Der Statistiker fragte sich, ob es eine Formel gäbe, welche die relative Größe Kreise zueinander beschreibt. In einem Geometriebuch wurde er schließlich fündig: Schon 1643 hatte der französische Mathematiker René Descartes einen mathematischen Ausdruck entwickelt, der die Krümmungen von vier sich berührenden Kreisen beschreibt, wobei er die Krümmung als reziproken Radius definierte. Ein Kreis mit dem Radius ein Drittel hat demnach eine Krümmung von drei.

Descartes Gleichung setzt die Krümmungen a, b, c und d nun folgendermaßen in Beziehung zueinander:
(a2 + b2  + c2 + d2) = 1/2 (a + b + c + d)2 Dabei lässt sich die Formel auch auf das Problem von Wilks anwenden: drei sich berührende Kreise, die sich von innen an einen vierten Kreis anschmiegen. Die Berührung von innen bewirkt, dass die Krümmung des äußeren Kreises einfach als negative Zahl angegeben wird. Selbst Linien kann die alte Formulierung von Descartes noch berücksichtigen – berühren die Kreise solche, so wird deren Krümmung schlicht mit Null angegeben. Sind die Ausgangszahlen, die in die Gleichung eingesetzt werden ganze Zahlen, so ist auch das Resultat eine ganze Zahl.

Mit der Descartes Formel gewappnet, gelang es Wilk schnell, die Krümmung jedes neu hinzugefügten Kreises zu berechnen. Da das so gut funktionierte, druckte er gleich ein ganzes Muster mit seinem Computer. "Das lieferte ein sehr schönes Bild – symmetrisch und mit Zahlen, die immer größer werden je kleiner die Kreise werden." Aus Bequemlichkeit legte er dabei den Ursprung der Grafik in den Mittelpunkt des äußeren, großen Kreis, wobei eine Achse des Koordinatensystems – die x-Achse – durch die Mittelpunkte der einbeschriebenen kleinen Kreise verlief.

Wie sich herausstellen sollte, war diese Wahl sehr glücklich, denn Wilk stellte bald fest, dass die Mittelpunktskoordinaten aller weiteren Kreise aus Paaren rationaler Zahlen – Brüchen also – bestanden. Zu seiner Überraschung bemerkte er weiterhin, dass die Multiplikation jeder Koordinate mit der entsprechenden Kreiskrümmung wieder eine ganze Zahl lieferte. Wilk zeigte daraufhin seine Entdeckung Colin Mallows einem Kollegen bei AT&T. Dieser prüfte alles und entwickelte eine Formel, die ähnlich der Gleichung Descartes die Koordinaten der Kreise zu ihren Krümmungen in Beziehung setzte. Laut Ronald Graham von der University of California gab es überhaupt keinen Hinweis, dass eine derartige Formel überhaupt existieren könnte: "Das war gänzlich unerwartet."

In der neuen Gleichung geben komplexe Zahlen die Lage der Kreismittelpunkte an. Eine solche Zahl besteht aus zwei Teilen – dem Real- und Imaginär-Teil; sie ist quasi zweidimensional, sodass sie sich besonders für derartige Koordinatenangaben eignet. Mit Hilfe der Formel druckte Wilks eine ganze Reihe von Kreisgebilden. Eines davon fiel Jeffrey Lagarias auf, der als Mathematiker ebenfalls bei AT&T arbeitete. Er entdeckte in dem Bild eine geometrische Struktur, die ein griechischer Gelehrter – Apollonius von Perge – schon vor über 2000 Jahre problematisiert hatte.

Lagarias, Mallows und Wilks verallgemeinerten nun ihre Gleichung weiter, die sie mittlerweile das Descartes-Kreis-Theorem nannten, sodass sie auch höherdimensionale Gebilde, wie beispielsweise sich berührende Kugeln beschreiben konnten. Beim Anblick einer fraktalartigen, apollonischen Struktur wunderte sich Graham, dass die Zahlen, welche die Gleichung ausspuckte, genau den Quadratzahlen 1, 4, 9, 16 und so weiter entsprachen. Die Mathematiker prüften daraufhin, welche Zahlen überhaupt bei solchen Strukturen auftauchen. Sie stellten dabei fest, dass manche bei unterschiedlichen Strukturen wiederholt auftraten, andere wiederum überhaupt nicht vorkamen – ein rätselhaftes Verhalten, das noch nicht geklärt ist. Es scheint so, als würden die Kreise noch so manche Überraschung parat halten. Lagarias meint dazu lapidar: "Man geht aus von einem Bild, sieht dort ein Muster und versucht zu verstehen, woher es überhaupt kommt."

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