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Marine Hitzewellen: Die Hitze erschafft einen neuen Ozean

Hitzewellen im Meer infolge des Klimawandels wurden offenbar unterschätzt. Sie reichen tiefer als gedacht und bedrohen mehr Lebewesen. Millionen Seevögel sterben schon heute.
Am Strand gesammelte Gelbschopflunde
Hitzewellen im Meer treffen auf die Tiere, die auf und vom Meer leben - wie diese Gelbschopflunde (Fratercula cirrhata), die an einem Strand der Aleuten von Freiwilligen eingesammelt wurden.

Hitzewellen an Land und Rekordtemperaturen auf dem Meer haben diesen Sommer geprägt. Die verheerenden Folgen dieses Wechselspiels hat zuletzt Libyen erlebt, wo der Medicane »Daniel« womöglich bis zu 20 000 Todesopfer gefordert hat. Aber auch Griechenland, die Türkei und Bulgarien erlebten, wie sich durch Rekordtemperaturen auf dem Meer entstandene Unwetter als sintflutartige Regenfälle entluden und dabei verheerende Überschwemmungen an Land erzeugten. »Das aufgeheizte Mittelmeer ist eine beständige Quelle für Unwetterereignisse«, sagt der ZDF-Meteorologe Özdem Terli.

Doch auch im Meer selbst haben die Rekordtemperaturen Folgen, die schwerer wiegen als bisher angenommen. Das jedenfalls legt eine gerade im Fachmagazin »Nature Climate Change« erschienene Untersuchung eines Teams um die Biodiversitätsforscherin Eliza Fragkopoulou von der Universität der Algarve im portugiesischen Faro nahe. Demnach treten Hitzewellen nicht nur an und nahe der Meeresoberfläche auf, sondern reichen bis in tiefe Schichten. Im Bereich zwischen 50 und 200 Meter Tiefe sind sie sogar stärker als an der Oberfläche und dauern wegen des geringeren Wasseraustauschs zwischen oben und unten teilweise doppelt so lange an. Die Forscher stützen ihre Analyse auf die Kombination von Satellitenmessungen und in den Ozeanen selbst gesammelten Daten. Die im Rahmen des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus erhobenen Messwerte decken den Zeitraum zwischen 1993 und 2019 ab.

Den Ergebnissen zufolge belasten Hitzestress und Temperaturschwankungen die oberen 250 Meter des Ozeans am stärksten. Dadurch werde die Artenvielfalt auf fast einem Viertel (22 Prozent) der Ozeanfläche Besorgnis erregend stark bedroht, schreibt das Team um Fragkopoulou. Zu den Hochrisikoregionen zählen weite Teile des Indischen Ozeans und des Nordatlantiks, zu dem auch die Nordsee gehört.

Korallensterben könnte nur das Vorspiel sein

Die Erkenntnisse sind auch deshalb relevant, weil sich das Problem im Zuge des Klimawandels weiter verschärfen dürfte. Seit den 1980er Jahren hat sich die Zahl der Hitzewellen im Meer laut Weltklimarat verdoppelt, bis zum Ende des Jahrhunderts erwarten die Fachleute gar eine Steigerung um das 20- bis 50-Fache gegenüber dem vorindustriellen Zeitraum.

Schon jetzt sind verheerende Folgen sichtbar – in Form von toxischen Algenblüten, dem Massensterben von Bodenorganismen, schrumpfenden Seegraswiesen und großflächigen Korallenbleichen. Doch das könnte nur der Anfang sein. Das gesamte ökologische Gefüge gerät ins Wanken. »Längere Perioden mit hohen Umgebungstemperaturen stellen ein hohes Risiko für die Ökosysteme der Küste dar«, konstatiert auch der Weltklimarat in seinem aktuellen Bericht.

Kenianische Küstenfischer | Gerade in Gegenden mit störungsanfälliger Nahrungsmittelversorgung könnten Hitzewellen im Meer zu Problemen führen.

Besonders dramatisch könnte sich das Durcheinanderwirbeln des Meeresökosystems auf das Nahrungsnetz auswirken. Kanadische Forscher prognostizierten schon vor drei Jahren, dass die wichtigsten Speisefischarten bis 2050 doppelt so stark von marinen Hitzewellen getroffen werden als zuvor angenommen. Gerade was Gegenden mit schlechter Ernährungssicherheit angehe, sei das alarmierend, sagt Sonia Bejarano vom Bremer Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung dem »Science Media Center«. Die Ergebnisse der aktuellen Studie sprächen auch gegen die Annahme, dass Arten einfach tiefer tauchen könnten, um der Hitze zu entfliehen. Eine Ende August 2023 veröffentlichte »Nature«-Studie fand allerdings keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Hitzewellen und schrumpfenden Fischbeständen in der Tiefe. Der Einfluss hoher Temperaturen auf die Populationen sei von natürlicher Schwankung nicht zu unterscheiden, schreiben die Fachleute um Alexa Fredstone von der University of California in Santa Cruz.

Schon jetzt sterben Vögel millionenfach

Die bislang wohl dramatischsten Erkenntnisse über die direkten ökologischen Folgewirkungen mariner Hitzewellen publizierte allerdings vor wenigen Tagen ein Forscherteam unter Leitung der University of Washington. Die im Fachjournal »Marine Ecology Progress Series« veröffentlichte Studie zeigt, dass Hitzewelle im Meer zu Massensterben von Seevögeln führen, manchmal mit einer Verzögerung von bis zu einem halben Jahr. Die Wissenschaftler nutzten dazu Datensätze, für die Freiwillige über die vergangenen drei Jahrzehnte tote Seevögel an der nordamerikanischen Pazifikküste eingesammelt und bestimmt haben. Die Zahlen von mehr als 100 Stränden von Kalifornien bis Alaska setzte das Team um Timothy Jones anschließend in Beziehung zu Messungen der Wassertemperatur im Ozean.

»Ein wärmerer Ozean, und ganz sicher ein plötzlich wärmerer Ozean, wie er während eines El Niño oder einer marinen Hitzewelle auftritt, führt innerhalb von ein bis sechs Monaten nach dem Temperaturanstieg zum Tod von Hunderttausenden bis Millionen von Meeresvögeln«, fasst die Washingtoner Forscherin und Studienmitautorin Julia Parrish das Ergebnis in einer Mitteilung zusammen.

Massive Sterblichkeitsereignisse, bei denen jeweils nach Hochrechnungen mehr als eine viertel Million Vögel starben, traten demnach früher etwa einmal pro Jahrzehnt auf. Im Zeitraum zwischen 2014 und 2019 ereigneten sich aber gleich fünf solcher Massensterben. Die Analyse ergab, dass diese mit den anhaltend wärmeren Bedingungen im Nordostpazifik in den vorangegangenen Monaten zusammenhängen.

»Mit dieser Intensität der Erwärmung stehen wir vor einem neuen Ozean. Einem mit weniger Vögeln«Julia Parrish, Meeresbiologin

»Von 2014 bis 2019 waren die Sterbefälle nicht nur einige der größten, die jemals dokumentiert wurden, sondern sie ereigneten sich auch Jahr für Jahr – das ist beispiellos«, sagt Hauptautor Timothy Jones.

Woran die Trottellummen, Papageitaucher, Alken und Sturmtaucher letztendlich sterben, sei immer unterschiedlich, schreiben die Wissenschaftler. Immer aber stecke die Erwärmung im Wasser dahinter. Sie äußert sich manchmal durch Algenblüten, manchmal begünstigen die hohen Temperaturen Krankheitsausbrüche. Vor allem aber machen Jones und Team die Unterernährung durch den Mangel an Beutetieren als Ursache für das Massensterben aus.

Die US-Forscher sehen durch die Erhitzung der Weltmeere ganze Arten akut bedroht. »Da es sich bei diesen Ereignissen wahrscheinlich um einige der größten jemals dokumentierten Mortalitätsereignisse bei Meeresvögeln handelt und jedes dieser Ereignisse mit Veränderungen der Überlebensraten der Populationen verbunden war, ist es wahrscheinlich, dass die Bestände von Meeresvögeln im Nordpazifik infolgedessen um Millionen von Vögeln reduziert wurden«, schreiben sie. Wenn Massensterben in dieser Dimension weitergingen, stelle sich für ganze Populationen die Frage, ob das Ökosystem noch tragfähig sei.

Studienautorin Parrish zeigt sich für die Zukunft angesichts der erwarteten weiteren Erwärmung und der prognostizierten Zunahme von Hitzewellen im Meer wenig optimistisch. »Mit dieser Intensität der Erwärmung stehen wir vor einem neuen Ozean«, sagt sie. »Einem mit weniger Vögeln.«

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