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News: Schwangerschaftsabbruch: Was die Waagschale senkt

Als individuelle Notlage, aus der es keinen anderen Ausweg gibt, erleben Frauen ihre Situation, wenn sie sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließen. Aus der Sicht der Sozialwissenschaften aber können sich typische Gemeinsamkeiten herauskristallisieren. In ihrer Diplomarbeit am Lehrstuhl für Soziologie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg hat Vera Bauernschmitt Protokolle analysiert, wie sie für jedes Gespräch zur Schwangerenkonfliktberatung anzufertigen sind. Angaben zur aktuellen Lebenssituation, zum sozialen und kulturellen Umfeld und zu den Gründen dieser Entscheidung ließen sich bündeln und ermöglichten es, Zielgruppen zu bestimmen, die für Hilfsangebote und vorbeugende Programme - wie verstärkte Sexualaufklärung - in Frage kommen.
Im Mai 1993 schuf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Grundlagen für die bis heute übliche Praxis in der Anwendung des § 218 StGB. Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, ohne straffällig zu werden, sind demnach verpflichtet, zuvor eine staatlich anerkannte Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen aufzusuchen.

Vom Zeitpunkt dieses Urteils an bis zum Ende des Jahres 1995 wurden an den Beratungsstellen der Stadt Nürnberg 1.720 Gespräche mit Frauen geführt, die eine Abtreibung in Betracht zogen. Die Protokolle dieser Gespräche, die im Gesundheitsamt der Stadt Nürnberg aufbewahrt werden, lieferten der sozialwissenschaftlichen Studie das Material für eine computergestützte Inhaltsanalyse.

Jedes Beratungsgespräch muß nach einem vorgegebenen Schema protokolliert werden. Aufgezeichnet werden das Alter der Frau, Familienstand und Nationalität, die Kinderzahl, die Anzahl bisheriger Schwangerschaften und eventuelle vorhergehende Abbrüche. Anhand dieser Angaben ließen sich Merkmale ausmachen, die in der Untersuchungsgruppe deutlich stärker vertreten sind als in einer Vergleichsgruppe von Frauen, die Kinder zur Welt bringen. Unverheiratete junge Deutsche, Ausländerinnen im Alter von über 25 Jahren und – unabhängig von der Nationalität – Frauen, die das 35. Lebensjahr bereits überschritten haben, möchten demnach einer ungewollten Schwangerschaft besonders häufig ein Ende machen.

Gesundheit, Alter, Geld

Auch für die Motivation dieses Wunsches liefern die Beratungsprotokolle eine Datengrundlage. 19 mögliche Kategorien für die vorgetragenen Begründungen sind vorgegeben. Eine Analyse ist allerdings hier besonders darauf angewiesen, daß auf die Eintragungen der protokollführenden Beraterin Verlaß ist.

Bei der Betrachtung der Motive gewinnen die drei oben genannten Gruppen noch schärfer an Profil. Bis zu 21jährige ledige Deutsche halten sich oft für zu jung, ein Kind großzuziehen. Frauen, die älter als 35 Jahre alt sind, tendieren eher wegen gesundheitlicher Probleme zum Abbruch. Daß finanzieller Druck ihnen keine Wahl lasse, geben am häufigsten die Ausländerinnen an. Vor allem türkische Frauen nennen Geldmangel als Grund dafür, daß sie in ihrer derzeitigen Situation keinen Nachwuchs wollen. Das kulturelle und soziale Umfeld einer Frau spiegelt sich in hohem Maße in den recht verschiedenartigen Gründen wider, die den Entschluß zu einem Schwangerschaftsabbruch auslösen, wie ein Vergleich zwischen mehreren Gruppen zeigte. Probleme in der Partnerbeziehung beispielsweise bestimmen deutsche Frauen weit eher dazu, ein Kind nicht auszutragen. Auffällig ist außerdem, daß junge Ausländerinnen unter 22 Jahren sehr viel stärker unter dem Druck von Partner oder Familie stehen als die deutschen Frauen derselben Altersklasse.

Als sinnvollen Ansatzpunkt für das Ziel, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu verringern, empfiehlt die Studie, unerwünschte Schwangerschaften von vornherein möglichst zu vermeiden. Die Alternative – höhere Hürden vor der Abtreibung – wäre für viele Betroffene unzumutbar und würde wohl auch kaum einen gesellschaftlichen Konsens finden.

Um zu erklären, wie eine Frau schwanger werden kann, ohne es zu wollen – angesichts der Verhütungsmöglichkeiten ein scheinbar irrationales Verhalten – wird die Nutzentheorie auf die Verhütungsproblematik übertragen. Risiken bei der Verhütung einzugehen, stellt sich demnach als komplexes Ergebnis mehrerer Kosten-Nutzen-Abwägungen dar, als subjektiv rationale Entscheidung. Um die Waagschale zugunsten der Verhütung zu senken, müßten deren Kosten vermindert werden – in finanzieller wie in sozialer, biologisch-medizinischer und jeder anderen Hinsicht, die in den Entscheidungsprozeß eingeht. Die Studie trägt dazu bei, daß Aufklärungs- und Beratungsprogramme besser auf spezielle Zielgruppen zugeschnitten werden können.

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