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Altertumswissen: Strahlendes Wiederauferstehen

Zuviel zu wissen, das kann bedauernswerten Mordopfern in Krimis passieren, niemals aber unserem kollektiven kulturellen Gedächtnis - meint eine Gemeinschaft aus Geistes- und Naturwissenschaftlern auf ihrem neuen Weg, verloren geglaubte antike Wissensschätze in die Moderne zu retten.
Der "Pilatus-Stein" , 1961 in Cäsarea Maritima gefunden
Was in Stein gemeißelt ist, muss noch lange nicht für die Ewigkeit sein – bedauerlicherweise. Denn ein Datenspeicherproblem hatte die Menschheit leider schon lange, bevor auf CD-Scheiben eingebrannte Bits und Bytes nach durchschnittlich fünf Jahren Lagerdauer zu verblassen begannen: Ob antiker Papyrus und altes Pergament, an wirklich allen modernen oder einstmals modernen Speichermedien nagte der Zahn der Zeit schon immer allzu bissig. Eben auch am vermeintlich unverwüstbarsten, den steinernen Schreibunterlagen, auf denen gehämmerte Schriftzeichen von vergangenem Ruhm, Tragik oder Alltagskultur künden.

Die Haltbarkeit antiker epigrafischer Aufzeichnungen ist durchaus lang, irgendwann aber auch abgelaufen – und dies zum Leid der Altertumsforscher allzu oft, bevor die wertvollen Informationen in die Wissenspeicher der Nachwelt kopiert werden konnten. Immer, wenn Steininschriften ins unleserliche verwitterten, geht dem kollektiven Wissen der Welt also damaliges für immer verloren.

"Tausende Steininschriften harren ihrer Restauration"
(Kevin Clinton)
Dem aber glaubt Thorne nun abhelfen zu können: Der Physiker propagiert in seltener Allianz mit der geisteswissenschaftlichen Fakultät seiner Cornell-Universität eine Methode zur Rettung von bedrohtem, vor Jahrtausenden in Stein gemeißelten Wissens. Selbst längst unleserliche Epigrafe, da ist sich das Forscherteam sicher, können damit dem Vergessen entrissen werden.

Der Retter der Information ist rund zwölf Meter tief unter einem Parkplatz verbuddelt und hat einen Durchmesser von 768 Metern: der Cornell Electron-positron Storage Ring (CESR), ein Teilchenbeschleuniger zur Produktion hochenergetischer Röntgenstrahlung. Hier werden Elektronen stark in eine Kreisbahn beschleunigt und von seitlich einwirkenden mächtigen Magnetfeldern abgelenkt, sodass sie Synchrotron-Strahlung abgeben – polarisierte elektromagnetische Strahlung mit Wellenlängen bis in den harten Röntgenbereich.

Mit derlei intensivem Licht kann allerlei angefangen werden: Synchrotronstrahlung ist eine der beliebtesten Strahlungsquellen der Naturwissenschaft. Astronomen nutzen sie zur Kalibrierung von Röntgenteleskopen, Umweltchemiker zur Trinkwasseranalyse, Mediziner zur Identifizierung von Malariaparasiten in roten Blutkörperchen. Und Archäologen als Strahlungsquelle bei Röntgenfluoreszenzanalysen (RFA) von allem, was eine intensive Durchleuchtung verdient und dabei aber nicht zerstört werden sollte.

Bei der RFA wird das zu analysierende Objekt – etwa eine antike Skulptur – mit Röntgenstrahlung beschossen, welche die Elektronen des Materials trifft und in höhere Energiezustände versetzt. Fallen dann Elektronen höherer Energie in die vom beförderten Teilchen gerissene Lücke zurück, geben sie die Energiedifferenz zwischen Ausgangs- und Endzustand ihrerseits als Röntgenstrahlung ab – die beschossene Probe fluoresziert. Wie viel Energie dabei abgestrahlt wird, ist abhängig vom analysierten Element: Jedes weist charakteristische Abstände zwischen den Energieniveaus auf, zwischen denen die angeregten und herabfallenden Elektronen wechseln können. So verrät die Art der Fluoreszenz also die chemische Natur des bestrahlten Materials.

Thorne und seine Kollegen waren nun die ersten, die den brillanten, hochenergetischen Synchrotron-Strahl eines Beschleunigers auf antike Steininschriften richtete. Genauer gesagt, auf drei Marmorplatten mit vor 1800 bis 2400 Jahren eingemeißelten griechischen und lateinischen Schriftzeichen, die teilweise bis zur Unlesbarkeit verwittert waren. Die Versuchsobjekte hatten die Forscher aus der renommierten Butler-Bibliotheks-Sammlung der Columbia-Universität ausgeborgt.

Unter dem anregenden Röntgenstrahl begannen die oberflächennahen Atome der Marmorplatten je nach ihrer Art zu fluoreszieren und verrieten dabei ihre Identität. So konnte mit der schnellen und energiereichen Synchrotronquelle rasch ein detailliertes Oberflächenprofil der Elementverteilung auf den Schreibplatten aufgezeichnet werden. Dabei wurde ein deutlicher Unterschied zwischen einstmalig (oder immer noch sichtbar) bemeißelter Marmorfläche und den unbearbeiteten Flächen der Schreibunterlage mehr als deutlich: Stets fanden sich, auch bei stärkster Verwitterung, größere Mengen von Eisen, Zink und Blei an jenen Stellen des Marmors, die einst eingravierte Buchstaben trugen.

Warum, ist leicht einzusehen: Antike Eisenmeißel hinterließen ebenso ihre Spuren, wie die zur Ausmalung der Inschriften verwendeten antike Farbpigmente, die oft bleihaltige Sulfide und Metalloxide enthalten hatten. Weshalb zudem Zink sich in längst unsichtbaren, vor langer Zeit eingravierten Buchstabenumrissen breit macht, ist den Forschern indes noch ein Rätsel. Ansonsten aber feiern sie einen vollen Erfolg: Längst unlesbares kann anhand der angestrahlt verräterischen Elementspuren wiederhergestellt werden.

Damit wartet nun auch genug Arbeit auf zwischen Archäologie und Röntgenphysik pendelnde Forscher: Allein die antike Gemeinde des Mittelmeerraumes überlieferte der Nachwelt eine geschätzte halbe Million Epigrafen, die mittlerweile in unterschiedlichsten Verwitterungsstufen auf ihre Entzifferung warten. "Tausende Steininschriften", meint der Thorne-Kollege Kevin Clinton, "harren ihrer Restauration". Darunter, meint er, womöglich so bedeutende antike Werke wie die steinernen Gesetzestafeln, die den Athener Drako um 621 vor unserer Zeitrechnung zum Namenspatron für die drakonischen Strafen werden ließ. Dieser soll seine Gesetze allerdings, so die Legende, nicht nur in Stein gemeißelt haben, sondern mit Blut statt Tinte geschrieben haben. Was Synchrotron-Fluoreszenzanalysen zu diesem Thema wohl beizutragen hätten?

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