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News: 'Weißer Elefant' als Untier der Moderne

Daß wir heute noch im Mittelmeer baden, statt per Bahn oder mit dem Auto durch Adria und Ägäis zu reisen, verdanken wir dem Scheitern der Pläne von Herman Sörgel. Seit 1927 hegte der visionäre Münchner Baumeister die Idee, die Straße von Gibraltar mit einem Damm zu verschließen und das Mittelmeer teilweise trocken zu legen. Der Koloss von Rhodos und der Leuchtturm von Pharos lägen am Wegesrand als Zeugen vergangener Kulturen...
Sörgels Pläne, die erst 1959 ad acta gelegt wurden, reiht der an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätige Historiker Dr. Dirk van Laak in seine Liste sogenannter "weißer Elefanten" ein. In der Sprache der Entwicklungshilfe versteht man darunter buchstäblich "in den Sand gesetzte" technische Großprojekte.

Der Begriff wird aber ebenso auf Investitionsruinen in unseren Breiten angewandt: Er trifft zu auf den "Schnellen Brüter" von Kalkar, den Rhein-Main-Donau-Kanal und möglicherweise auf den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal.

Was all diese Projekte – ob realisiert oder nicht – auszeichnet, ist ihr Anspruch, auf einen Schlag wirtschaftliche, soziale und politische Probleme zu lösen; daher handelt es sich dabei oftmals um kühne Vorhaben aus dem Verkehrs- oder Energiebereich. Van Laak nennt ein Beispiel aus der Entwicklungshilfe: "In den frühen sechziger Jahren baute die Krupp AG im indischen Rourkela ein hochmodernes Stahlwerk, ohne die technologischen und sozialen Voraussetzungen vor Ort mitzubedenken. Effizient konnte Rourkela daher nie betrieben werden."

Das indische Stahlwerk begreift der Historiker als ein postkolonialistisches Projekt, das noch tief in der "Ära des Erschliessens, des Ausgreifens und Eroberns des Weltenkreises" durch die Industrienationen steht. Ende des vergangenen Jahrhunderts sei bei den Kolonialmächten die Ambition entstanden, die "übrige Welt" dem europäischen Wirtschaftskreislauf anzuschließen, um sich langfristig die knapper werdenden Rohstoff-, Energie- und Nahrungsressourcen zu sichern. Die Bemühungen um einen raschen Ausbau der notwendigen Infrastrukturen scheiterten häufig – wie etwa die britische Idee einer Eisenbahnlinie von Kairo nach Kapstadt –, aber es gibt durchaus auch gelungene Beispiele wie den Suez- und den Panama-Kanal oder die Transsibirische Eisenbahn.

Seit 1995 sammelt, analysiert und systematisiert van Laak diese "weißen Elefanten". Die meisten Großprojekte zielen darauf ab, Zeiten zu verkürzen und Entfernungen zu verringern, aber auch die Natur endgültig zu unterwerfen, ihr die Schrecken zu nehmen. Beschleunigung als Phänomen des Fortschritts? – Van Laak spricht vom "Weltbild der Energie", das unser Jahrhundert maßgeblich mitgeprägt habe. Getragen wurde dieses Weltbild im wesentlichen von Technikern und Ingenieuren. Züge müßten immer schneller fahren, Flugzeuge immer größer und Energieressourcen immer besser genutzt werden. Nationaler Ehrgeiz und internationaler Wettbewerb um technologisches Prestige trieb diese Prozesse zusätzlich voran.

"Wir dürfen aus der Analyse der "weißen Elefanten" aber nicht den Schluß ziehen, daß die Träger von Forschung und Technologie nicht die besten Absichten gehegt hätten", so van Laak. "Bei ihren Versuchen, Rationalität und Effizienz aus der technischen Sphäre auch auf politische und soziale Bereiche zu übertragen, waren sie meist viel zu optimistisch. Hier überwiegen nun mal andere Gesetzmäßigkeiten." Dennoch will der 37jährige Historiker nicht als Technikkritiker verstanden werden: "Viele kleine Projekte haben unsere Umwelt in diesem Jahrhundert stärker und nachhaltiger verändert als die wenigen großen."

Wie selbstverständlich werden heute Städte und ihr Umland durch Rohre, Elektrokabel und Datenleitungen vernetzt, für den Bürger unsichtbar kommen Strom, Trinkwasser und Informationen direkt ins Haus. Das entlastet das Leben in der modernen Zivilisation von vielen Mühen früherer Tage, hat aber auch Erwartungshaltungen hervorgebracht. "Inzwischen sind die 'weißen Elefanten' in Europa etwas seltener geworden", beschreibt van Laak einen möglichen Lernprozeß, "statt dessen ist man heute eher bereit, mit kleinen Schritten in die Zukunft zu gehen." Allenfalls in der Medizin und Gentechnik lasse sich noch ein ungebrochener Fortschrittsoptimismus finden.

Zahlreicher treten die "weißen Elefanten" hingegen auf anderen Kontinenten auf. "Aber wer kann es Schwellenländern in der Dritten Welt verdenken, wenn sie durch ehrgeizige Großprojekte beschleunigt Anschluß an Lebensstandard und Komfort der westlichen Welt suchen?", fragt van Laak.

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