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News: Wie Wespen gucken

Gerade hat sich der Winter verabschiedet, da schweift der Blick schon gen Sommer: Sonne, Wiesen, Picknick - Wespen. Warum um alles in der Welt schwirren die bloß im Zickzack vor unserer Nase herum, bevor sie sich auf den Kuchen setzen oder die Marmelade konfiszieren? Tübinger Wissenschaftler glauben, die Antwort gefunden zu haben.
Stellen Sie sich einen schönen Spätsommertag vor. Sie haben es sich auf einer Wiese bequem gemacht, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, und neben Ihnen steht ein offener Picknickkorb. Was passiert unweigerlich? Nun, Sie entdecken das Insektenleben vor Ort – oder besser gesagt: Es entdeckt Sie. Ein allseits bekannter Anblick dürfte eine grimmige Wespe sein, die in wildem Zickzackkurs vor Ihrem Gesicht hin- und herfliegt. Nach Ansicht von Rüdiger Voss und Jochen Zeil von der Universität Tübingen ist dieses Flugmuster jedoch keine aufgeregte Angriffsstrategie, sondern dient dazu herauszufinden, in welcher Entfernung Sie sich befinden.

Bienen und Wespen benutzen oft streng strukturierte Flugmuster, damit sie ein Objekt aus sämtlichen Perspektiven betrachten können, um es so wiederzuerkennen. "Erkundungs"-Flüge werden bei jeder neuen Nahrungsquelle oder Niststelle ausgeführt. Verläßt das Insekt den Ort, dreht es sich um, schaut zurück und schaukelt dabei von einer Seite zur anderen, um das Nest oder die Futterstelle immer auf einer Seite zu haben und auffällige Orientierungspunkte im Zentrum des Blickfeldes.

Die Insekten scheinen sich eine Reihe von "Schnappschüssen" einer Szene einzuprägen, als ob sie ein Foto machen würden. Wenn sie sich wieder der Stelle nähern, folgen sie einem Flugpfad, der sie zumindest zu einigen der Positionen führt, an denen sie das Bild, an das sie sich erinnern, nochmal anschauen und vergleichen können.

Warum fliegen Wespen jedoch einen derart hektischen Zickzackkurs, wenn sie neuen Objekten begegnen, zum Beispiel einem Picknickkorb oder einem Menschen? Sicherlich dienen diese Flüge nicht dazu, sich Bilder einzuprägen. Im Journal of Comparative Physiology A (182/3, Abstract) argumentieren Voss und Zeil, daß die Wespen ihre eigene Körperbewegung benutzen, um relative Entfernungen abzuschätzen und so eine Vorstellung zu bekommen, wie sich die einst bekannte Szenerie verändert hat.

Die Insekten fällen Urteile über die Distanz, indem sie sich die Bewegungsparallaxe zunutze machen. Stellen Sie sich vor, Sie schauen aus dem Fenster eines fahrenden Zuges. Objekte in der Nähe scheinen sehr schnell vorbeizurasen, während Objekte in der Ferne sich viel langsamer zu bewegen scheinen. Die Wespen scheinen ihre eigenen Bewegungen von einer Seite zu anderen zu benutzen, um relative Entfernungen und die Orte neuer Objekte festzustellen.

Voss und Zeil zeichneten die Position und Blickrichtung der Wespen auf, als diese sich unbekannten Objekten näherten. Sie fanden heraus, daß Wespen um kleine Winkel rotieren, während sie von einer Seite auf die andere schwingen und so das Objekt ihres Interesses genau im Zentrum ihres Blickfeldes halten.

Mit Hilfe von Computersimulationen erzeugten die Forscher einen Blick aus dem "Cockpit" der Zickzack-fliegenden Wespe. Sie entdeckten, daß das Bild des Erdbodens um das Objekt herum zu rotieren scheint und die Kanten des Objekts vor dem Hintergrund einen gewaltigen Bewegungskontrast zeigen, mit dem die Wespe relative Entfernungen abschätzen kann. Weil die Wespe sich dreht, sind es die am weitesten entfernten Objekte, die am schnellsten vorbeizurasen scheinen, während das nahegelegene Objekt, das die Wespe im Zentrum fixiert hält, beinahe stillzustehen scheint.

Wenn also das nächste Mal eine Wespe sich an Ihrem Picknick beteiligen möchte, denken Sie daran, daß ihr hektischer Flugpfad nur dazu dient festzustellen, wo Sie sich in ihrem Territorium befinden. Sie sollten diese kurze Periode der Ablenkung ausnutzen, um Ihre Speisen in Sicherheit zu bringen.

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