Direkt zum Inhalt

Bioinformatik: Zellsteuern per Knopfdruck

Biobaumaterialien sind viel ausgereifter als elektronische - und so sollte ein aus ihnen zusammengebauter Computer in Zukunft auch viel mehr können als sein Siliziumbruder heute. Leider verlangsamen grobschlächtige Technik und fehlendes Knowhow noch den Weg zur Eiweiß- und Nukleinsäure-Rechenmaschine.
Grüner Computer - bald Realität?
Stellen wir uns mal ganz dumm: Eine Biomaschine – was soll die eigentlich? Ist sie sinnvoll? Muss man unbedingt den seit Milliarden Jahren professionell geführten Apparat lebender Zellen nehmen und ihn mit amateurhaft beherrschten biologischen Mitteln in eine Richtung manipulieren, die dann der Menschheit weiterhelfen soll? Ginge das nicht einfacher auch anders? Irgendwie mit "Technik"?

Klar ginge das vielleicht, nur sicher schwerer, sagen viele Nanoforscher. Und eine Gegenfrage hätten sie auch gleich parat: Wenn die Natur uns einen Schatz von ausgefeilten Werkzeugen und hervorragend vorgefertigten Rohbauten zur Verfügung stellt, warum nicht darauf zurückgreifen? Forscher arbeiten weltweit seit Jahrzehnten an "Biotechnik", also daran, Zellen und Moleküle einerseits als autonom funktionsfähige Einheiten zu erhalten, andererseits aber Teile von ihnen so umzubasteln oder neu zu montieren, dass mit ihnen zum Beispiel Zellen von außen durch einfache Befehle fernzusteuern sind.

Damit wäre viel zu erreichen: Ingeniös umgestaltete, im Inneren der Zellen arbeitende und den lokalen molekularen Dialekt als Muttersprache beherrschende biologische Bauteile sollen effektive Lösungen für viele Probleme in Medizin und Umweltschutz, Nahrungsmittelindustrie und Energieproduktion liefern. Soweit zumindest die hoffnungsvoll gepfiffene Zukunftsmelodie. Gegenwärtig allerdings werden noch recht kleine Brötchen gebacken. Etwa an aus mit biologischen Molekülen gebauten einfachen Schaltkreisen, nur einem Knopf für das Ein- und Ausknipsen von signalempfangenden Biosensoren oder Reglern, die die Signale richtig adressieren können.

Maung Nyan Win und Christina Smolke vom California Institute of Technology in Pasadena liefern nun konkrete Baubeispiele solcher bio-"logischen Gatter", wie die basalen Schaltelemente auf gut Technoinformatisch genannt werden. In ihnen wird ein Eingangssignal mit einfachen "Operatoren" umgewandelt: Ein UND-Operator gibt etwa – anders als Gegenstücke wie NICHT- und ODER-Operatoren – ein bestimmtes Ausgangssignal dann weiter, wenn zwei gleich lautende Eingangssignale bei ihm einlaufen. Werden solche Logikgatter sinnvoll verknüpft, so kann dieses Schaltwerk recht komplexen Signalinput auswerten und sinnvoll in die Richtung passender Reaktionszentren kanalisieren.

Technisch ist das ein abgehangener Hut, der längst ausgefeilt in allerlei Dioden, Transistoren und Relais werkelt. Was aber könnte eine Zelle als molekulares Logikgatter akzeptieren? Die Antwort von Win und Smolke: "synthetische Ribonukleinsäure". Aus RNA-Molekülen bauten die Forscher die Grundstufe eines biologisch integrierbaren kleinen Rechenzentrums, das einfache Befehle von außen entgegennimmt und in die molekulare Sprache der Zelle umwandelt – zum Beispiel in Befehle zur Aktivierung bestimmter Gene oder Zellstoffwechselwege.

Win und Smolke griffen dabei auf die bewährtesten und wohl ältesten funktionalen Moleküle der Welt zurück: Ribozyme und RNA-Aptamere. Erstere sind kurze RNA-Einzelstränge, die selbst Aktionen an sich und anderen Biomolekülen durchführen können, also als Enzyme arbeiten. Aptamere dagegen falten ihre Kettenstruktur autonom so speziell, dass sie sich an ein passendes Molekül sehr selektiv binden. Die Forscher kombinierten nun beide Funktionen in einem Molekül, einem Ribozym-Aptamer, und setzten dies in Hefezellen ein.

Der modulare Molekülbausatz besteht dabei aus einer Boten-RNA, welche die Produktion eines Leuchtproteins anstößt, sobald sie freigesetzt wird. An die mRNA haben aber gleichzeitig Ribozym-Aptamere angedockt, deren Enzymabschnitt RNA zerschneidet und damit unwirksam macht. Dies wird nur verhindert, wenn die Aptamerhälften des angedockten Enzyms gleichzeitig bestimmte Signalmoleküle gebunden haben: Eine Änderung der Raumgestalt sorgt dann für eine Blockade des Schneidevorgangs. Von der An- und Abwesenheit der Signale hängt demnach ab, ob die Boten-RNA ihre Botschaft überbringen kann oder zerlegt wird.

Damit bauten Win und Smolke nun zum Beispiel einen UND-Operator: Eine mRNA, deren aufsitzendes Ribozym-Aptamer Bindestellen für zwei unterschiedliche Signalmoleküle hat und nur dann die mRNA nicht zerschneidet, wenn beide Moleküle tatsächlich vorhanden sind. Das zerstörerische Ribozym dieses RNA-Logikgatters sollte stillgelegt werden, sobald die beiden Signale Theophyllin und Tetrazyklin gemeinsam an die Aptamere binden – und tatsächlich begannen damit manipulierte Zellen in Anwesenheit der beiden Wirkstoffe zu leuchten. Fehlte nur eines der Moleküle, so stellte die veränderte Hefe ihr Leuchten wieder ein.

Ganz analog lassen sich auch ODER- und NICHT-Gatter bauen sowie komplexe Systeme, die nur in einem bestimmten Konzentrationsbereich des Signals ansprechen: Im Prinzip kann so jede beliebige mRNA unter Aufsicht der verschiedensten Ribozym-Aptamere eingesetzt werden.

Und in Zukunft? Win und Smolke sind schon mit den evolutiv ältesten und einfachsten biologischen Enzymen, den Ribonukleinsäuren, ein ganzes Stück vorangekommen, kommentieren der Mathematiker Ehud Shapiro und der Biochemiker Binymin Gil vom Weizmann-Institute of Science im israelischen Rehovot. Wie weit könnte die Reise gehen, wenn das ganze molekularbiologische Repertoire des Körpers zur Verfügung stünde, etwa die Möglichkeiten der ungemein vielseitigen Proteine, die heute mit Abstand den Löwenanteil aller Enzyme stellen? Eine Antwort käme derzeit wohl noch unzeitgemäß verfrüht – schließlich sollte auch klar sein, was genau in einer Zelle eigentlich passieren soll, die geschickt ferngesteuert wird. Biologische Befehle müssen schließlich nicht nur kunstvoll in der richtigen Sprache richtig adressiert werden – sondern vor allem sinnvoll sein.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Quellen
Win, M. N., Smolke, C. D.: Higher-Order Cellular Information Processing with Synthetic RNA Devices. In: Science 322, S. 456–460, 2008.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.