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Modellansatz: Reguläre Strömungen

Blick auf die Wasseroberfläche

Strömungen beobachten wir fast jeden Tag. Die Meeresbrandung fasziniert uns und eine gut funktionierende Klimaanlage ist ein wunderbarer Luxus, egal ob sie wärmt oder kühlt. Strömungen zu beherrschen ist aber auch in vielen verfahrenstechnischen Zusammenhängen wichtig. Insofern haben Gleichungen, die Strömungen beschreiben, eine große praktische Relevanz und gleichzeitig eine fast emotionale Anziehungskraft. Das einfachste mathematische Modell, das auch für viele Computersimulationen genutzt wird, sind die inkompressiblen Navier-Stokes Gleichungen (INS). Hier ist die strömende Substanz dem Wasser ähnlich genug, dass nur in der Materialkonstante Viskosität verschiedene Fließfähigkeiten unterschieden werden. Als Lösungen des Systems von partiellen Differentialgleichungen suchen wir das Geschwindigkeitsfeld und den Druck als Funktionen von Raum und Zeit . Im 3d-Fall ist das ein System von vier Gleichungen. Drei davon sind eine Vektorgleichung, die aus der Impulserhaltung abgeleitet wird und die vierte ist die Erhaltung der Masse. Im inkompressiblen Fall vereinfacht sich diese aus die Forderung, dass die Divergenz des Geschwindigkeitsfeldes verschwindet. Die komplexer aussehende Gleichung ist die Vektorgleichung, weil hier die zweiten räumlichen Ableitungen des Geschwindigkeitsfeldes, der Druckgradient, die zeitliche Ableitung der Geschwindigkeit und ein nichtlinearer Term vorkommen. Die Gleichungen müssen im Strömungsgebiet gelten. Die Lösungen müssen sich aus dem Anfangszustand entwickeln (Anfangsbedingung) und am räumlichen Rand vorgeschriebenen Werten, den Randwerten (meist fordert man, dass die Geschwindigkeit Null ist) genügen.

Dieses Modell ist in einem längeren Prozess entwickelt worden. Ein großer Durchbruch bei der mathematischen Analyse gelang dem französischen Mathematiker Leray im Jahr 1934. Er hatte die geniale Idee, sich von dem Wunsch zu verabschieden, für diese komplizierte Gleichung eine punktweise zutreffende Lösung zu konstruieren. Statt dessen verallgemeinerte er den Lösungsbegriff und führte den Begriff der schwachen Lösung ein. Diese erfüllt die Gleichung nur im Sinne eines ausgeklügelten Systems von unendlich vielen Integralgleichungen. Er zeigte mit Hilfe von abstrakten Argumenten, dass die INS immer solche schwachen Lösungen haben.

Heute ist bekannt, dass

  • falls eine punktweise Lösung existiert (sogenannte starke Lösung), diese eindeutig ist (also insbesondere mit der schwachen übereinstimmt),
  • es in 2d immer eine punktweise Lösung gibt, die für alle Zeiten existiert (unter geringfügigen Bedingungen an den Rand), und
  • es unter Kleinheitsbedingungen an die Daten und bei glattem geometrischen Rand des Gebietes auch in 3d punktweise Lösungen gibt.

Wir wissen jedoch in 3d nicht, ob die gefundenen schwache Lösung regulär bzw. stark ist (d.h. eine punktweise Lösung ist.)

In Vorbereitung auf den Jahrtausendwechsel gab es in der Mathematik die Bestrebung, so wie dies 100 Jahre zuvor von Hilbert geschehen war, die wichtigsten mathematischen Problemstellungen in den Fokus zu nehmen. Das Ergebnis waren sieben sogenannte Milleniumsprobleme der Clay Foundation, für deren Lösung jeweils ein Preisgeld von einer Millionen Dollar ausgelobt wurde. Eines dieser für so wichtig angesehenen Probleme ist die offene Frage der Regularität der schwachen Lösungen der INS.

Woran liegt das? Eine Eigenschaft der INS, die sie schwierig macht, ist ihre Nichtlinearität. Sie ist nur quadratisch und hat eine besondere Struktur. Diese Struktur verdanken wir es z.B., dass die schwache Theorie erfolgreich ist. Es besteht Hoffnung, dass wir auch die Lücke zur starken Theorie unter Ausnutzung der Struktur schließen können.

Der Standardweg im linearen Fall (z.B. beim Laplace-Problem) ist es, für die schwachen Lösungen mit einem Münchhausen-Prinzip (Elliptic Bootstrapping) Stück für Stück mehr Regularität zu zeigen. Man kann so zeigen, dass die Lösung immer so gut ist, wie die es Daten erlauben. Man nennt das maximale Regularität.

Leider ist für die INS das Wachstum in der Nichtlinearität zu schnell, um im 3d-Fall mit diesen Standardmethoden zu argumentieren (im 2d Fall geht es aber).

Im 3d-Fall geht es aber unter bestimmten Zusatzbedingungen, z.B. einer höheren Integrierbarkeit des Geschwindigkeitsfeldes als die schwachen Lösungen von vornherein haben. Man fand dies über Skalierungs-Eigenschaften der Gleichung heraus. Grob gesagt, muss man fordern dass die Lösung zu einem Raum gehört, der Skalierungsinvariant ist. Eine weitere zusätzliche Forderung ist die Gültigkeit der Energiegleichung (Erhaltung der kinetischen Energie), denn leider weiß man bisher von schwachen Lösungen nur, dass sie eine Energieungleichung erfüllen.

Eine zweite Schwierigkeit der INS ist der Zusammenhang zwischen Druck und Divergenzgleichung.

Ein Trick der schwachen Theorie ist, dass wir uns von Anfang an auf Funktionen beschränken, die schwach divergenzfrei sind (also die Gleichung  \mathrm{div}\, v=0 in Integralmittel erfüllen. Was in der Theorie sehr gut funktioniert, ist blöd für die Numerik, weil man Divergenzfreiheit immer wieder herstellen muss wegen der Rechenfehler im Prozess.

Unter den Forschern gibt es zwei Richtungen: Entweder man sucht nach Blow-up Lösungen, also schwachen Lösungen, die keine punktweisen Lösungen sein können, oder man versucht die Zusatzforderungen aufzuweichen (um sie am Ende ganz weglassen zu können). Dabei gibt es ständig kleine Fortschritte.

Es gibt auch zwei Wege, für allgemeinere Modelle Theorien zu entwickeln, die dann im Spezialfall auch etwas über INS sagen. Ein durch O.A. Ladyzenskaya vorgeschlagener Zugang geht über den p-Laplace-Operator. Hier findet man starke Lösungen für alle p>2,5, die INS ist jedoch der Fall p=2. Als Materialgesetz interessant für Ingenieure ist aber der noch schwierigere Fall 1<p<2.

Der zweite Weg sind kompressible Modelle zu nutzen, um Inkompressibilität durch eine Folge immer weniger kompressibler Modelle zu approximieren. Das ist aber sehr schwierig, denn die Skalierungszusammenhänge sind nicht klar und die kompressiblen Modelle sind in der Gültigkeit schwer zu verifizieren. Z.B. lassen sie in der Regel eine Dichte von Null zu, was physikalisch nicht sinnvoll ist.

Mark Steinhauer entdeckte die INS in seiner Studienzeit durch eine Vorlesung von Jens Frehse in Bonn. Es gab eine sehr enge Zusammenarbeit mit Schülern von Jindřich Nečas (von der Karlsuni in Prag) z.B. mit Michael Růžička und Josef Málek (und inzwischen deren Schüler). Er promovierte in Bonn und arbeitet heute als Dozent für Mathematik vor allem mit zukünftigen Lehrpersonen an der Uni in Koblenz.

Literatur und weiterführende Informationen

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