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Abschied vom Zyklus der Theorien

Der klassische Homo oeconomicus, der stets nur seinen eigenen Vorteil anstrebt und sonst gar nichts, und der in dem, was er will (seinen "Präferenzen"), einigermaßen beständig in der Zeit ist, dieses rationale Kunstwesen ist in der Wirklichkeit praktisch nicht zu finden. Das haben auch die Wirtschaftswissenschaftler längst begriffen. Gleichwohl halten die meisten von ihnen an dem Konzept fest, weil man sonst eine Theorie weder bestätigen noch widerlegen könnte. Für jeden beobachteten Effekt stünde ja eine Veränderung der Präferenzen der Wirtschaftssubjekte als konkurrierende Erklärung bereit.

Gunter Dueck, Cheftechnologe von IBM, produktiver Buchautor (Spektrum der Wissenschaft 11/2000, S. 101, 9/2002, S. 114, 11/2003, S. 88, 4/2004, S. 101, 3/2005, S. 108, und 10/2005, S. 102) und Wissenschaftsblogger (http://www.wissenslogs.de/ wblogs/blog/wild-dueck-blog/) geht über diese Kritik an der nach wie vor herrschenden Wirtschaftswissenschaft noch mehrere Schritte hinaus. Nicht nur die Präferenzen der Menschen ändern sich, wenn gute Zeiten von schlechten abgelöst werden. Mit der Wirtschaftslage wandeln sich auch die Theorien, die Managementphilosophien und daraufhin, mit einer gewissen Zeitverzögerung, die Bedingungen, denen die Menschen im Arbeitsleben ausgesetzt sind.

Aus vielen Blickwinkeln beleuchtet Dueck den Wechsel von der frühen, expansiven Innovationsphase zu den fetten Zeiten der späten Aufschwungphase, weiter zu den heftigen Bestandswahrungskämpfen des beginnenden Abschwungs und dem Arbeitsleben unter den üblen Bedingungen des "Prekariats" bis zum Zusammenbruch altgewohnter Industriezweige und Geschäftsmodelle. Gemeint ist nicht das übliche Auf und Ab der Konjunktur, sondern die nach mehreren Jahrzehnten zählenden, durch Basisinnovationen getriebenen Zyklen, die nach dem russischen Ökonomen Nikolai Kondratjeff (1892 – 1938) benannt sind.

Die heute grassierenden Schlagwörter wie human supply chain management (für Personalverwaltung) oder shareholder value, die Einteilung der Mitarbeiter in Leistungsträger und low performer, welch Letzterer man sich möglichst bald entledigen sollte, den – weit gehend zum Scheitern verurteilten – Versuch, jede kleine Einzelleistung messbar zu machen, den Dueck schon in seinen Büchern "Wild Duck" und "Supramanie" als "Omnimetrie" angeprangert hat, und weitere Grausamkeiten fasst Dueck nach Douglas McGregor (1906 – 1964), Professor für Management am MIT, unter "Theorie X" zusammen. Das ist die Theorie, die im Abschwung die Oberhand gewinnt, während im Aufschwung Theorie Y blüht: Mitarbeiter sind von sich aus zum Arbeiten motiviert, leisten Großes, weil man ihnen Vertrauen entgegenbringt und Freiräume öffnet, und die Gängelung und Kontrolliererei, die in der Abschwungphase jede Kreativität ersticken, erübrigen sich.

Eigentlich, sollte man denken, kann von beiden Theorien nur eine richtig sein; warum verwirft man nicht die andere oder macht aus beiden zusammen eine bessere? Dueck begründet das mit einem sehr vereinfachten Modell, das gleichwohl die Sache auf den Punkt bringt: dem viel zitierten Gefangenendilemma. Die dort beschriebene Situation bringt beiden Beteiligten einen günstigen Ausgang, wenn sie einander vertrauen und danach handeln ("kooperieren"). Wenn einem von ihnen das Vertrauen fehlt oder er auch nur das Misstrauen des anderen fürchtet, ist die andere Strategie ("Betrügen") optimal – mit katastrophalen Folgen für beide. Aber: Vertrauen ist regelmäßig kein Gegenstand der Theorie.

Die jeweils geltende Theorie beeinflusst den Menschen bis tief ins Bauchgefühl und den Hormonhaushalt hinein. Freundliche Hilfeleistung unter Kollegen stirbt aus, wenn jeder nur noch nach feinteiligen Leistungskennzahlen bewertet wird. Wenn allgemein Geiz als geil gilt und das Schnäppchenjagen, auch auf Kosten anderer, zum Standard wird, erscheint sogar das eigentlich kriminelle Verkaufen undurchschaubarer Zertifikate an Ahnungslose, das der derzeitigen Finanzkrise ihre ungeheure Breitenwirkung beschert hat, als legitim.

Deswegen kann auch Dueck kein Verfahren anbieten, um der Theorie Y, die er selbst von ganzem Herzen vertritt, zu mehr Geltung zu verhelfen. Es bleiben nur indirekte Rezepte: das wilde Auf und Ab der Wirtschaftszyklen dämpfen; sich auf dem Höhepunkt des Aufschwungs das Fett gar nicht erst zulegen, das man in härteren Zeiten so mühsam abbauen muss. Aber das klingt alles sehr idealistisch. Die Maßhalteappelle Ludwig Erhards aus den 1960er Jahren wurden ja auch mehrheitlich als komisch empfunden.

Duecks Ideen zur Abhilfe wirken wie sehr zarte Pflänzchen. Aber manche gedeihen. > Der Autohersteller Toyota praktiziert seit 1950 über alle Schwankungen der Absatzzahlen hinweg überaus erfolgreich eine Philosophie des Maßhaltens, der Orientierung an Qualität und der Achtsamkeit gegenüber den Mitarbeitern ("Kaizen"). Obwohl die Prinzipien in allen Details veröffentlicht sind, will es anderen Unternehmen nicht gelingen, sie anzuwenden.

> Inflation ist Ergebnis eines Wettlaufs, in dem jeder Beteiligte auf Kosten der anderen Schaden von sich zu wenden versucht, und somit ein typisches Beispiel für die üblen Folgen des Zusammenbruchs von Vertrauen. Gleichwohl ist es durch beharrliches internationales Bemühen gelungen, das schon verloren gegangene Vertrauen neu zu etablieren, mit dem Effekt, dass Inflation heute kein ernsthaftes Problem mehr darstellt.

> Ausgerechnet ein schon recht kräftiges Pflänzchen des beginnenden neuen Aufschwungs demonstriert uns, wie mit einem sehr automatisierten Hilfsmittel Vertrauen aufzubauen ist: das Bewertungssystem des Online-Auktionshauses E-Bay.

Mit seinen Vorträgen vor Managern zum Thema erntet Dueck regelmäßig Begeisterung – und hinterher machen seine Zuhörer regelmäßig so weiter wie bisher. So berichtet er selbst, und das leuchtet ein. Immerhin propagiert Dueck ein ziemlich radikales Umdenken. Konkrete Handlungsanweisungen darf man nicht erwarten, wohl aber eine neue Gesamtschau, über die es lange nachzudenken gilt.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 8/2009

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