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Buchkritik zu »Ein Esel lese nie«

Am Anfang war das Palindrom. Mit dem Satz "Madam, I’m Adam" stellte sich Adam im Paradies der Eva vor. Palindrome sind Wörter oder Sätze, die von links nach rechts gelesen genauso lauten wie von rechts nach links. Man trifft sie in allen Sprachen: "Lagerregal", "Reliefpfeiler", "Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie", "Ein Esel lese nie", "Saippuakauppias" (finnisch: Seifenhändler).

Auch unter den Zahlen gibt es Palindrome wie 121, 2002 und 1234321, sogar beliebig viele; aber genau deswegen sind sie nicht besonders reizvoll. Interessant wurden sie erst, als Anfang des letzten Jahrhunderts eine hübsche mathematische Spielerei entdeckt wurde: Man nimmt irgendeine natürliche Zahl und addiert dazu ihre Umkehrzahl, das ist die Zahl, die entsteht, wenn man die Reihenfolge der Ziffern umkehrt. Mit dem Ergebnis der Addition verfährt man dann wieder genauso und wiederholt diesen Prozess so lange, bis man schließlich ein Palindrom erhält. Ein Beispiel: 69+96 =165, 165+561=726, 726+627=1453, 1453+3541=4994. Nach der vierten Addition ist das Palindrom 4994 entstanden, die "palindromische Ordnung" von 69 ist folglich 4. Sie ist bei vielen Zahlen ähnlich klein, andere wiederum, wie zum Beispiel 196, weigern sich hartnäckig, auch nach sehr vielen Schritten ein Palindrom zu bilden.

Anstelle der Summe aus Zahl und Umkehrzahl kann man deren Differenz bilden, oder immer abwechselnd die Summe und die Differenz, oder in irgendeiner anderen Abfolge Summen und Differenzen. Außerdem ist man nicht auf die Dezimaldarstellung der Zahlen beschränkt, sondern kann das Verfahren auf andere Zahlensysteme erweitern.

Mit diesen Verfahren hat sich der Mathematiker und Philosoph Karl Günter Kröber in seinem Buch eingehend befasst. Je nachdem, wie die Zahlen sich beim Palindromisieren verhalten, teilt er sie in Klassen ein, deren Eigenschaften er detailliert untersucht. Wenn man die Ziffern der Zahlen in einer Palindromisierungsfolge durch verschiedene Farben darstellt, entstehen sehr hübsche Muster, die sich durchaus mit den Bildern von Fraktalen messen können; sie sind im Mittelteil des Buchs auf sechzehn farbigen Hochglanzseiten wiedergegeben.

Kröber sieht Anwendungen seiner Verfahren in Molekularbiologie und Kristallografie; so verweist er darauf, dass palindromische Strukturen in der Erbsubstanz DNA vorkommen. Ob seine Analyse für die Anwendungen etwas einbringt, muss sich aber erst noch zeigen.

Wer gerne und lange mit Zahlen spielt, verborgene Zusammenhänge zwischen ihnen entdecken möchte, sie sortiert und katalogisiert, Zahlenspielereien auf dem Computer programmiert und in farbige Grafiken umsetzt, dem kann Kröbers Buch wärmstens empfohlen werden. Wer leicht verdauliche mathematische Unterhaltung sucht, den wird das 350 Seiten starke Buch jedoch schnell ermüden.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 04/2004

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