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Buchkritik zu »Grenzen des Wachstums im Widerstreit der Meinungen«

Kann die Weltwirtschaft immer weiter zunehmen, ohne an ein Limit zu stoßen? Diese Frage wird nicht erst gestellt, seit Chinas Rohstoffhunger ins Unermessliche zu wachsen scheint. Ob der globalen Ökonomie natürliche Grenzen gesetzt sind, darüber machten sich schon vor gut dreißig Jahren der Ökonom Dennis Meadows und seine Mitarbeiter Gedanken. Das Team am Massachusetts Institute of Technology erarbeitete 1972 mit Hilfe eines Computermodells einen Bericht für den Club of Rome, der Furore machte. "Die Grenzen des Wachstums" hieß das schmale Buch.

Dessen These war: Die zur Neige gehenden Ressourcen und eine sich explosionsartig vermehrende Weltbevölkerung müssen Mitte des 21. Jahrhunderts zu einem gigantischen Desaster führen. Ein Dritteljahrhundert danach zieht jetzt ein Autor Zwischenbilanz: Paul Erbrich lehrt Naturphilosophie als Professor der privaten Hochschule für Philosophie in München, die vom Orden der Jesuiten in Deutschland getragen wird. Das Buch des Wissenschaftlers ist zugleich der achte Band einer Reihe, die eine Stiftung an seiner Hochschule herausgibt.

Das Motto der Serie lautet "Globale Solidarität – Schritte zu einer neuen Weltkultur". In diesem Sinn versucht Erbrich, die Argumente von Meadows und seinen Kollegen noch einmal nachzuprüfen, zu erklären, was sich anders entwickelt hat, und darüber zu spekulieren, wie die Zukunft aussehen könnte und welche Optionen der Menschheit offen stehen. Fürwahr ein titanisches Thema, und so nimmt es auch nicht wunder, dass der Autor nach eigenem Bekunden seit den 1970er Jahren über seinem Werk gebrütet hat.

Der Bericht geht von zwei Szenarien jener Zeit aus: Anders als die Computerstudie von Meadows, die ungebremstes Wirtschaftswachstum annahm, setzte das weniger bekannte "Bariloche"-Modell auf eine politische Utopie: Die lateinamerikanischen Forscher, die bereits Mitte der 1970er Jahre mit Mitteln der Fundación Bariloche ein Gegenmodell zu den "Grenzen des Wachstums" aufstellten, hofften, die Kluft zwischen armen und reichen Ländern könnte verringert werden. Indem der Autor an die beiden gegensätzlichen Prognosen anknüpft, spannt er einen Bogen über die entscheidenden Themen Bevölkerungswachstum, Ernährung, Rohstoffe, Energie und Klima. Schließlich wagt er den Versuch, wiederum einen Blick in die Zukunft zu werfen.

Die Frucht von Erbrichs jahrzehntelangen Bemühungen ist ein wohldurchdachtes, ausführliches Buch, dem man die Redlichkeit des Autors jederzeit anmerkt. Die zahlreichen Diagramme sind sehr informativ und gut belegt, wenn auch – da schwarz-weiß – keine Augenweide. Um den Leser nicht gleich mit allzu vielen Details und Zahlen zu überschütten, hat Erbrich durch kleinere Schriftgröße die Beispiele und Einzelheiten markiert, die zum Verständnis des Großen und Ganzen nicht unbedingt notwendig sind.

Für den Autor charakteristisch ist, dass er von sehr grundsätzlichen Fragen zum Konkreten vorstößt. "Wie kam es so weit?", fragt er ganz zu Beginn und erläutert erst einmal die Neolithische Revolution. "Was ist Energie?" heißt die Einleitung eines späteren Kapitels. Dass Erbrich bei Adam und Eva anfängt, leistet allerdings dem Leser oftmals gute Dienste. Denn wer wüsste beispielsweise auf Anhieb zu sagen, wo welche Rohstoffe in der Erdkruste zu finden sind?

Dazu muss man wissen, wie die Erde überhaupt entstanden und aufgebaut ist, scheint sich der Autor gedacht zu haben, also erläutert er es auch. Dass manche Abschnitte überfrachtet wirken, war dabei wohl nicht immer zu vermeiden, und man ertappt sich schon einmal beim Diagonallesen. Doch inhaltsreiche und differenzierte Kapitel wie das über Gentechnik oder über die Entstehung und Ausbeutung von Lagerstätten entschädigen für die Längen mancher Passagen und für – seltene – Fehler, etwa bei den Klimafolgen. Im Allgemeinen überzeugt der Autor auf der naturwissenschaftlichen Seite des Problemkreises mehr als auf der ökonomischen.

Doch warum lässt Erbrich das Thema der globalen Wasserkrise fast vollständig aus? Das ist rätselhaft – könnte doch der Wassermangel nach Ansicht mancher Experten bald sogar Kriege auslösen. Nachdem der Autor alle Tatsachen gegeneinander abgewogen hat, kommt er zu seinem persönlichen Fazit. Demnach sind mineralische Rohstoffe, zum Beispiel Metalle, ein kleineres Problem, als Meadows befürchtet hatte. Es gibt nämlich noch große Ressourcen, und Kupfer etwa lässt sich zur Not recyclen.

Vielmehr ist die Kardinalfrage heute: Wie können wir die "krasse Armut überwinden" den wirtschaftlich schwächsten Ländern gerechterweise eine passable Entwicklung ermöglichen, ohne die Erdölvorräte zu schnell zu plündern, die eigene Wirtschaft abzuwürgen oder das Klima allzu sehr zu schädigen? Auch dieses Buch enthält kein Patentrezept. Doch immerhin: Der Autor hofft, die "globale Bedrängnis" möge gar nicht erst entstehen, wenn wir sie nur – wie vordem Meadows – frühzeitig "antizipieren". Von dieser Vorahnung legt Erbrich ein detailliertes Zeugnis ab, das nicht an der Oberfläche verweilt.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 9/2005

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