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Die Vergangenheit ausgraben

Schutt wegschaffen, Verborgenes enthüllen und rekonstruieren – mit solchen Vokabeln lässt sich nicht nur eine archäologische Ausgrabung beschreiben: Sie könnten ebenso gut einen psychoanalytischen Prozess schildern. Was die Konzepte und Praxis der freudschen Seelenkunde mit der Erforschung der Antike gemeinsam haben und inwiefern sie gar in ihr gründen, schildert dieser Sammelband. Zu den Autoren der 18 Beiträge zählen auch die Herausgeber: Claudia Bentien arbeitet als Germanistin an der Universität Hamburg; Hartmut Böhme und Inge Stephan sind Kulturwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin.

Der Wiener Nervenarzt Sigmund Freud (1856-1939) zog unter anderem mythologische Figuren wie Ödipus und Elektra als Namensgeber für unbewusste seelische Prozesse heran. Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Paola Traverso zeigt, auf welchen Wegen die griechischen Mythen in Freuds Theorie der Traumdeutung Eingang fanden. Ihr Marburger Kollege Thomas Anz untersucht, wie sich antike Emotionstheorien in psychoanalytischen Konzepten niederschlugen.

Fazit des Buchs: Freud war fasziniert von den Relikten der Vergangenheit - egal, ob es sich dabei um antike Fundstücke oder um unbewusste Prozesse der menschlichen Psyche handelte. Doch es war nicht nur sein Faible für historische Forschung, Kleinkunst und Kulturstätten, die den Begründer der Psychoanalyse und das Altertum verbanden. Er selbst schrieb im Jahr 1907: "Es gibt wirklich keine bessere Analogie für die Verdrängung, die etwas Seelisches zugleich unzugänglich macht und konserviert, als die Verschüttung, wie sie Pompeji zum Schicksal geworden ist und aus der die Stadt durch die Arbeit des Spatens wieder entstehen konnte."

Die Lektüre des Bands vermittelt eine amüsante Erkenntnis: Die wohl bekannteste Schule der Psychotherapie gäbe es heute wohl nicht, hätte Sigmund Freud keine Schwäche für das Graben in der Vergangenheit gehabt.

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  • Quellen
Gehirn&Geist 7/2011

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