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Wissen statt Ideologie

"Intelligenz ist erblich, laut manchen Studien zu 80 Prozent." Aussagen wie diese sorgen in der Öffentlichkeit regelmäßig für Entrüstung. Wie gut Eltern und Pädagogen den Nachwuchs auch förderten, letztlich mache diesen doch bloß das genetische Erbe schlau – oder eben nicht. Dass dieses Argument nicht zieht, stellen die Psychologen Elsbeth Stern und Aljoscha Neubauer in ihrem Buch klar. Ein starker erblicher Einfluss beschränkt nicht die Rolle der Erziehung, vielmehr gelte für den IQ (wie in anderen Bereichen der Persönlichkeit auch) das Prinzip "nature via nurture": Jeder genetische Bauplan muss auf passende Entwicklungsangebote stoßen, damit sich das entsprechende Potenzial entfaltet (siehe auch GuG 4/2013, S. 32).

Die beiden Autoren gehen sogar noch einen Schritt weiter. "Je höher der genetische Anteil, desto größer ist die Chancengleichheit im Bildungssystem." Denn wenn Kinder in vergleichbarem Maß gefördert würden, bekäme die jeweilige Begabung automatisch mehr Gewicht verglichen mit Umweltfaktoren. Neben der Erblichkeit von Intelligenz beschäftigt Stern und Neubauer vor allem die Frage, welche Folgen individuelle Unterschiede haben. Hier präsentieren sie den Lesern ein ganzes Arsenal von Studien, die belegen: Mehr Intelligenz geht im Mittel mit besseren Schulleistungen, mit größerem Studien- und Berufserfolg, besserer Gesundheit und höherer Lebenserwartung und -zufriedenheit einher. Im abschließenden Kapitel geben die Intelligenzforscher ausgehend vom wissenschaftlichen Erkenntnisstand Empfehlungen für das Bildungssystem. So sei die "professionalisierte und obligatorische Frühförderung(…)uneingeschränkt zu begrüßen". Dass inzwischen jeder zweite Fünftklässler in Deutschland aufs Gymnasium geht, sei aus Sicht der Intelligenzforschung dagegen kaum zu rechtfertigen.

Solche deutlichen Worte machen die Lektüre lohnenswert. Die Forschung kann Antworten auf Bildungsfragen liefern, so die hoffnungsvolle Botschaft. Die Autoren erklären Fachbegriffe gut verständlich und mit geradezu spielerischer Leichtigkeit, angefangen bei der Korrelation bis hin zum "Binomial Effect Size Display" (ein statistisches Maß für den Erfolg eines Experiments). Nebenbei lernt der Leser wichtige Begriffe wie Begabung, Talent und Intelligenz auseinanderzuhalten, die in der medialen Diskussion oft durcheinandergehen. Laien, die bereit sind, für fundiertes Wissen ein wenig Zeit und Hirnschmalz zu investieren, sei dieses Buch wärmstens empfohlen. Und den vielen (vermeintlichen) Bildungsexperten sowieso.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 9/2013

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