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Bunt und erschreckend zugleich

Unter "Papua" sind die Einwohner von Neuguinea, der Insel im Norden Australiens, zu verstehen. Dieses Gebiet zusammen mit den östlich davon gelegenen Inseln bis nach Fidschi und Neukaledonien wird auch unter dem weniger klaren Namen Melanesien geführt. Das Buch schwankt zwischen lebhaften Erlebnisberichten und Darstellungen der älteren wissenschaftlichen Ergebnisse anderer Reisender. Es hat die Lebendigkeit eines Abenteuerbuchs und den wissenschaftlichen Anspruch einer Einführung in die Ethnologie Melanesiens.

Wer spannende, exotische Geschichten sucht, wird begeistert sein, wer echte Wissenschaft erwartet, weniger. Das einleitende Kapitel führt in Vorgeschichte, Besiedlungs- und Kolonialgeschichte ein. Für den heute zu Indonesien gehörenden, westlichen Teil der Insel Neuguinea (Papua, früher Irian-Jaya) dauert die Kolonialzeit bis heute fort, während die im darauf folgenden Abschnitt beschriebene deutsche Okkupation Nordostneuguineas mit dem Ersten Weltkrieg ein Ende fand.

Angesichts von 750 Papuasprachen, weiteren 250 austronesischen Sprachen und einer entsprechenden Anzahl von Kulturen müssen selbst wissenschaftliche Darstellungen eine strenge Auswahl treffen. Die hier getroffene ist gut: Wir finden Ethnien des Berglandes, solche der Tief- und Sumpfländer und schließlich die der Küsten und der kleineren Inseln im Osten des Gebietes. Die Auswahl verrät auch das Interesse, das der studierte Zahnmediziner und Forschungsreisende Roland Garve seit den 1980er Jahren verfolgen konnte, nämlich möglichst ursprüngliche, wenig kontaktierte Völker aufzuspüren und den Chimären Kopfjagd und Kannibalismus nachzujagen. Bei den Baumhausmenschen, den Korowai und Kombai in Westneuguinea, ist ihm das zum Teil gelungen – allerdings zugleich mit einer Heerschar von Filmteams, Presseleuten, Missionaren, Touristen, ambitionierten Philosophinnen und wenigstens einem professionellen Völkerkundler.

Und wie der Untertitel des Buches verrät, führte den Autor auch das Interesse für grandiose Kunst in die Wildnisse Melanesiens. Der Familienname der Koautorin, der "Partnerin" und "neuen Frau" im Leben Roland Garves, ist nur zufällig identisch mit dem des Erstautors; sie nahm an Reisen seit 2001 teil und hat etliche Fotos beigesteuert. Das Vorwort weist ihr keine besonderen Anteile am Text zu.

Vier Kapitel sind wortwörtlich nebst Bildmaterial aus Roland Garves Buch "Irian Jaya" von 1991 übernommen, darunter auch etliche Fehler. So sind die "Ringgürtelleute" von Kosarek keine Yali (östliche Dani), sondern gehören zur Kultur der Mek, und "Eipo-mek" ist nicht Name einer Ethnie, sondern Ortsname. Nach mehr als 20 Jahren ist Vieles, was Garve wiederholt, schon Geschichte und der Aktualität enthoben.

Eher zu Sachberichten umgeschrieben wurden die Erlebniserzählungen über die Baumhausmenschen, die Din ("Waldpapuas") und die Asmat, allesamt Ethnien im Süden Westneuguineas; Bild und Wort folgen Garves "Irian Jaya" und "Laleo – Die geraubte Steinzeit" von 2009. Die anderen Kapitel setzen sich zusammen aus Schilderungen von Erlebnissen während kurzer Besuche und der Verwertung alter Quellen einschließlich vieler interessanter Fotos aus Archiven und frühen Expeditionsberichten, so beispielsweise die Abschnitte über das Sepikgebiet im Nordwesten Papua-Neuguineas mit seinen auffälligen Skulpturen, Schnitzwerken und Giebelmalereien und über die Masken Neubritanniens oder die Steinskulpturen Neuirlands.

Hier wie auch sonst folgen die Autoren dem Bekannten und Spektakulären: Bei den Trobriandern im Nordosten Neuguineas beschreiben sie das "Matriarchat" – die korrekte Bezeichnung ist "matrilineares Verwandtschaftssystem" –, das Liebesleben und die Tauschzyklen. Und bei den Marind-Anim an der Südküste Westneuguineas stehen wieder einmal Kopfjagd und Kannibalismus im Vordergrund allerdings richtig in ihren Verhältnis zur Religion betrachtet. In keinem Bericht wird auf neuere Literatur verwiesen.

Die Turmspringer von Pentecost in Vanuatu praktizieren traditionell eine Art rituellen Bungee-Springens. Auch der Laie erführe gern, dass der Literaturnobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clézio in "Raga – Besuch auf einem unsichtbaren Kontinent" (Wunderhorn-Verlag 2008) eben darüber berichtete und dass Thorolf Lipp die wissenschaftliche Monografie "Gol – das Turmspringen auf der Insel Pentecost in Vanuatu" (LIT 2008) zum Thema vorlegte (und zeitgleich mit dem Erscheinen dieses Buches eine Ausstellung im Münchener Völkerkundemuseum betreute).

Das letzte eigenständige Kapitel will zum ethischen Verständnis von Kopfjagd, Menschenopfer und Kannibalismus beitragen, aber es ist nur ein sachlicher Bericht über die Arten dieser "Jagdriten" und "Speisesitten", ebenso sachlich wie die abschließenden Kapitel über Geologie, Fauna und Flora des Lebensraumes Melanesien. Weniger als in dem Buch "Laleo" von 2009, aber noch ausreichend spürbar ist das humane Engagement der Autoren für die letzten Naturvölker allgemein und für deren Überleben besonders in Westneuguinea, das von Indonesien okkupiert wurde und wo die Papuas unterdrückt und kolonialisiert werden. Die unprätentiöse Gelassenheit, mit der Roland Garve mit den Besuchten Umgang pflegt und die man in seinen Filmen sehen kann, und die humane Bereitwilligkeit, mit der er medizinische Hilfe vor Ort leistet, gefallen auch in diesem Buch.

Manfred Kayser, Molekularbiologe aus Rotterdam, gibt zum Schluss eine verständliche, wissenschaftliche Besiedlungsgeschichte Ozeaniens aufgrund genetischer Befunde. Ein kleiner Wunsch am Rande: Der Autor lässt sich mit Pygmäen abbilden, um deren Kleinwüchsigkeit zu zeigen. Er sollte einmal seine Maße angeben; es könnte ja sein, dass er zu groß ist.

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