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Kosmologie: Ein Wirbel für die halbe Ewigkeit

Eine riesige Welle rollt durch den Perseus-Galaxienhaufen. Astronomen haben mittlerweile eine mögliche Erklärung dafür gefunden.
X-ray 'Tsunami' Found in Perseus Galaxy Cluster

Veröffentlicht am: 02.05.2017

Laufzeit: 0:02:13

Sprache: ohne gesprochene Sprache

Das Goddard Space Flight Center ist ein Entwicklungslabor der NASA.

Aufnahmen des Röntgen-Satelliten Chandra der NASA haben eine seltsame Wirbelstruktur im 240 Millionen Lichtjahren entfernten Perseus-Galaxienhaufen aufgespürt. Deren Ursprung hat Astronomen zunächst vor Rätsel gestellt. Ihre Struktur entspricht einer so genannten Kelvin-Helmholtz-Welle, wie sie auch von der Erde bekannt ist – etwa aus Wolkenwirbeln (siehe hierzu diesen Beitrag auf den Scilogs) oder von Strömungen in den Ozeanen. Die typische Kelvin-Helmholtz-Wellenform kommt zu Stande, wenn in einem Gas oder einer Flüssigkeit unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten vorherrschen und sich dann wellenartige Instabilitäten ausbilden. Wenn etwa Wind über Wasser weht, gerät die oberste Wasserschicht in Bewegung, während das tiefere Wasser langsamer strömt oder ruht.

Doch was verursachte die Wirbelstruktur im elf Millionen Lichtjahre messenden Perseus-Galaxienhaufen? Forscher des NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt um Stephen Walker haben in Supercomputer-Simulationen, die in diesem Video der NASA zu sehen sind, die Geschehnisse nachgezeichnet. Offenbar hatte eine vor Jahrmilliarden vorbeiziehende Galaxiengruppe eine Wellenbewegung der intergalaktischen Gasmassen im Perseus-Galaxienhaufen angestoßen, was schließlich zur turbulenten Kelvin-Helmholtz-Welle, einem universellen Wellentyp, geführt hat. Das Ungewöhnliche ist weniger die Form dieser Welle, sondern mehr die schieren räumlichen und zeitlichen Dimensionen. Die Wellenbewegung erstreckt sich über eine größere Distanz – 200 000 Lichtjahre – als die Ausdehnung unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Und sie scheint bereits vor Jahrmilliarden angeregt worden zu sein.

Es gibt zwei Gründe, warum eine solche Welle nicht nur so riesige räumliche Dimensionen erreicht, sondern auch über Zeiträume von Jahrmilliarden wirken kann. Zum einen liegt es an der geringen Dichte der intergalaktischen Gasmassen, zum anderen an den gewaltigen Energiemengen, die durch die passierenden Galaxien auf das Gas übertragen worden sind. In einer planetaren Atmosphäre ereignen sich solche Wellenbewegungen sozusagen in einer Miniaturversion. Auf der Erde üben die unterschiedlichen Schichten der beteiligten Gas- oder Wassermassen auf Grund der sehr viel höheren Dichte eine starke Reibung aufeinander aus. Dadurch löst sich das Phänomen wieder auf, kurz nachdem die antreibende Kraft nachgelassen hat. Im dünnen intergalaktischen Gas hingegen ist die Reibung sehr viel schwächer, so dass Galaxien umspannende Wirbel zu Stande kommen können. Der Nachweis dieser vermutlich größten je beobachteten Kelvin-Helmholtz-Welle ist ein schlagender Beweis für die Allgemeingültigkeit und Skalenunabhängigkeit der zu Grunde liegenden thermodynamischen Gesetzmäßigkeiten.

Mit einem normalen Teleskop lassen sich übrigens diese Strukturen in den Dutzende Millionen Grad Celsius heißen Gaswolken nicht nachweisen: Bei solchen Temperaturen strahlt das dünne Gas zum allergrößten Teil im Röntgenbereich. Deshalb konnten die Astronomen sie nur mit Hilfe des Röntgenteleskops Chandra aufspüren, auch wenn die Abbildungsleistung dieser Teleskope naturgemäß sehr viel geringer ist als die gewöhnlicher Teleskope. Lange Beobachtungszeiten und komplizierte Filterverfahren zur Bildbearbeitung waren deshalb nötig.

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  • Quellen
Walker, S.A. et al.: Is there a giant Kelvin–Helmholtz instability in the sloshing cold front of the Perseus cluster? In: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Volume 468, Issue 2, 21 June 2017, Pages 2506–2516

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