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Schlichting!: Blau wie das Meer

Warum wechselt Wasser in verschiedenen Situationen seine Farbe? Verantwortlich ist längst nicht nur die Farbe des Himmels.
Meer

Ob man ein Glas mit Wasser aus der Leitung füllt oder ob man am Strand aus dem Ozean schöpft – meist sieht die Flüssigkeit einfach transparent aus. Wie kommen also Meere, Seen und andere große Gewässer zu ihrer charakteristischen blauen Farbe? Da sie bei einem Sonnenuntergang außerdem gelb und rot schimmern, könnte man leicht denken, sie reflektierten lediglich das Himmelslicht und würden so »eingefärbt«.

Für diese These scheint zu sprechen: Selbst eine flache Pfütze nimmt, aus einiger Entfernung betrachtet, die Farbe des jeweils gespiegelten Gegenstands an, seien es der blaue Himmel, die weißen Wolken oder die grünen Bäume. Die Reflexion verliert erst an Wirkung, wenn man sich nähert und von oben hineinblickt. Dann ist das Wasser wieder klar, und man sieht auf den Boden.

Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

Allerdings wird diese Auffassung beispielsweise bei einem Besuch am Meer fraglich. Dort erlebt man selbst unter dem Grau eines bedeckten Himmels Blau-, Türkis- und Grüntöne. Letztere dominieren meist im flachen, strandnahen Bereich – offenbar durch Mischung mit dem Gelb des Sandbodens. Wo es tiefer wird, schwindet der Einfluss des Untergrunds, und das Blau wird satter und dunkler.

Brandung

Anscheinend bestimmen mehrere Effekte gemeinsam die wahrgenommene Farbe. Schiffsreisende sehen etwas anderes als Flugzeugpassagiere aus zehn Kilometer Höhe, Küstenbereiche unterscheiden sich von der Tiefsee, und der Eindruck kann je nach Jahreszeit und manchmal sogar von Tag zu Tag wechseln.

Mit tausend Augen blickte der Fluß ihn an, mit grünen, mit weißen, mit kristallnen, mit himmelblauenHermann Hesse, 1877–1962

Um die verschiedenen Einflüsse voneinander zu trennen, ist es sinnvoll, zunächst von reinem Wasser auszugehen. Es soll von weißem Sonnenlicht bestrahlt werden und tief genug sein, damit der Grund mit seiner Eigenfarbe keine Rolle spielt, weil das Licht ihn nicht erreicht. Die Wassermoleküle absorbieren vor allem rote Anteile des Spektrums. Der Effekt ist so gering, dass man davon im alltäglichen Umgang nichts merkt. Bei Trinkgläsern und Badewannen haben wir es lediglich mit einigen zehn Zentimeter dicken Wasserkörpern zu tun; man müsste schon durch mehrere Meter hindurchblicken, um von dem übrig gebliebenen Blau etwas zu sehen. Für die Natur ist das geringe Absorptionsvermögen enorm wichtig – andernfalls wäre das Leben von Tieren und Pflanzen, die auf Licht angewiesen sind, nur in einer kleinen Zone unter der Oberfläche möglich.

Sonnenuntergang

Wenn man reines Wasser in ein transparentes Rohr von einigen Metern Länge füllt, erscheint es beim Blick in Längsrichtung deutlich blau, während es von der Seite betrachtet weiterhin farblos ist. In hell gefliesten Schwimmbecken erkennt man manchmal an den Treppenstufen, wie die Blauanteile schrittweise zunehmen.

Die Absorption durch Wassermoleküle erklärt die Färbung beim Blick aus dem Wasser heraus in Richtung Lichtquelle, allerdings reicht sie allein nicht aus, um den Eindruck beim Herabschauen in die Tiefe zu verstehen. Denn die nicht absorbierten, kurzwelligen Komponenten müssen ja irgendwie von dort zurückkommen und in unsere Augen gelangen. Dafür sorgt diffuse Reflexion (Streuung) des verbleibenden Anteils des weißen Lichts. Erst sie lässt tiefes Wasser blau erscheinen.

Wasser ist in der Realität niemals ganz rein. Es enthält Schwebeteilchen, die das Licht streuen – und zwar wesentlich ausgeprägter als die Wassermoleküle selbst. So kommt das typische Blau des Meeres zur Geltung. Reines, tiefes Wasser hätte eine sehr dunkle, vermutlich fast als schwarz wahrgenommene Färbung. Nur durch die intensive Streuung an herumschwimmenden Partikeln fällt das hindurchlaufende Licht effektiv zurück in Richtung Oberfläche.

In küstennahen Regionen ist die Konzentration etwa von trübendem Sand, Kalk, Ton oder Plankton besonders groß. Das macht das Meeresblau dort nicht nur deutlich heller, sondern verschiebt es zudem in den grünen Spektralbereich. Dazu trägt die gelbliche oder bräunliche Eigenfarbe der Teilchen wesentlich bei. Oft sind die Wege zwischen den Streuereignissen so gering, dass das Licht wieder aus dem Wasser herausläuft, bevor die Absorption ihre Wirkung entfaltet. So ist an den schlickreichen Wattstränden der Nordsee vom intrinsischen Meeresblau kaum noch etwas zu erkennen.

Eigenfarbe oder Reflexion? | Je nachdem, ob man senkrecht ins Wasser schaut oder flach darüber hinweg, kommt eher seine Eigenfarbe oder die Reflexion des Himmels zur Geltung. Bei einer steilen Welle kann man beides gleichzeitig sehen. Aufgewirbelte Teilchen verschieben das Blau des Wassers leicht in den grünen Spektralbereich. Im Licht der untergehenden Sonne erscheint der Fluss wie der Himmel in Rottönen. Bei Stufen in einem Pool wird mit zunehmender Tiefe der Blauschimmer intensiver (er mischt sich mit dem Gelbanteil des Untergrunds zu Grün). Wenn man durch ein mehrere Meter langes, mit reinem Wasser gefülltes Rohr sieht, wirkt die Flüssigkeit infolge der Absorption roter Lichtanteile deutlich blau (Aufnahme im Science Center »Universum Bremen«; oben).

Der Einfluss der Tiefe auf die Farbe lässt sich schön verfolgen, wenn man mit einem Boot oder Flugzeug vom blauen Meer der Küste näher kommt. Man kann die Änderungen aber auch schon beim Schwimmen mit Hilfe einer Taucherbrille sehen.

Nicht nur feste Objekte streuen Licht; winzige Gasbläschen wirken sich ebenfalls auf die Farbe aus. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das an der weißen Gischt brechender Wellen.

Die gleiche Absorption längerer Wellenlängen gibt es bei Wasser in seiner festen Form. An sich ist es ebenfalls blau, was sich bei Löchern in dicken Schneeschichten sowie an Eisbergen oder Gletschern erkennen lässt. Aber nur, wenn nicht eingeschlossene Luft das Licht vorzeitig wieder herausstreut – und das Eis dadurch glänzend weiß strahlt.

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