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Tagebuch: Zeilingers Haken

© Reinhard Breuer
Die ehrwürdige Akademie der Wissenschaften | Ab 1857 war das Gebäude im Besitz der von Kaiser Ferdinand I. gegründeten Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, die seit 1947 offiziell als ÖAW firmiert.
Neulich in Wien. Über einen Freund gelingt es uns, in der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW) eine kleine Privatführung zu bekommen, eine akademische Delikatesse! Schon das Gebäude entzückt uns – gebaut um 1753 und ursprünglich für die Wiener Universität bestimmt.

Im Jahre 1857 wurde das Haus der zehn Jahre zuvor von Kaiser Ferdinand I. gegründeten Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften übergeben. Und seit 1947 firmiert sie offiziell als Österreichische Akademie der Wissenschaften. Von außen betrachtet könnte man auch einen kaiserlichen Sitz in dem Barockschloss erwarten.

Der Atem der Geschichte weht einen also an, als wir in einer Vorhalle an einem Monumentalgemälde vorbeigehen, auf dem – neben erlauchten Akademiemitgliedern der Vergangenheit – auch der Physiker Ernst Mach mit Stock auf einem Stuhl sitzend zu sehen ist und ziemlich aussieht wie der alte Sigmund Freud.

"Er sieht aus wie der alte Freud" | Der Physiker und Philosoph Ernst Mach (mit Stock), den die Akademie im Jahr 1880 aufgenommen hatte und der dort 1897 Sekretär der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse wurde
Dann die feudal-flachen Treppen hochsteigen und in den Festsaal schreiten, genauer: den Sitzungssaal der Akademie. Über den Reihen ziemlich ausladender Plüschsessel wölbt sich ein irres Deckenpanorama, mit Stuck und Kohorten mythologischer und allegorischer Figuren.

Festsaal der Akademie | Das prächtige Deckenfresko, ursprünglich Mitte des 18. Jahrhunderts ausgemalt, ist noch den traditionellen "vier Fakultäten" gewidmet: Philosophie, Theologie, Jurisprudenz und Medizin.
"Die Kunst, die Gesundheit zu erhalten und wiederherzustellen" | Auch der Medizin ist das Wirken der Akademie gewidmet.
Ganz oben im Dämmer entdecke ich lateinische Inschriften mit den Motti der Akademie: "Ars Tuendae Reparandae Valetudinis" (Heilkunst, damals offenbar als Reparaturunternehmen verstanden), sowie "Causarum Investigatio" (mit der "Erforschung der Ursachen" ist die Juristerei gemeint).

In einem Nebenraum sehen wir eine Art schlichter Garderobe – festgeschraubt an schlichten Holzwänden befinden sich in Reih und Glied Dutzende von Kleiderhaken (mit einer verborgenen Toilettentür dahinter); und unter jedem Kleiderhaken steht ein Name.

Die akademischen Nachrücker ... | ... müssen erst einmal mit einem Haken nahe der Tür vorlieb nehmen.
Unter dem zweiten Haken von rechts sehe ich "Zeilinger"! Anton Zeilinger kennen Spektrum-Leser bestens (im Porträt in SdW 3/08, als Autor in der 11/08). Ich bin beinahe erschüttert, denn jeder "Akademiker" verfügt offenbar für alle Lebenszeiten über seinen ganz persönlichen, exklusiven Haken. Wenn das keine Ehre ist!

Als ich dem Quantenphysiker und Professor der Universität Wien in seinem Institut in der Boltzmanngasse 5 von diesem Besuch berichte, wird das ÖAW-Mitglied sehr vergnügt. In Vorträgen zitiere er gelegentlich die "Investigatio causarum", sagt Zeilinger. Wie könnten Juristen glauben, die Ursachen seien wirklich erforschbar? Wo selbst die Physik, die doch viel präzisere Wissenschaft, zumal die Quantenphysik, schon die Ursache nicht mehr herausfinden kann.

"Wenn man in der Reihe ganz vorne hängt ... | ..., weiß man: Jetzt dauert's nicht mehr lang." Anton Zeilinger, Jahrgang 1945, ist seit 1994 korrespondierendes Mitglied der Akademie, 1998 wurde er wirkliches Mitglied.
Dann komme ich auf die Sache mit dem Haken. Wie stehe es nun mit seinem ganz persönlichen Akademie-Kleiderhaken? Ja, das sei, so Zeilinger, eine komplizierte Angelegenheit. Die Haken sind in ihrer Zahl begrenzt (der Raum sei ja von überschaubarer Länge). Sie seien aber auch von der Tür zum Fenster hin nach dem Lebensalter der Mitglieder geordnet. "Ich musste fünf Jahre warten, bis ich meinen eigenen Haken bekam.“

Einmal habe er in einer Akademiesitzung den Vorschlag eingebracht, diese Eigentumshakenregelung doch aufzugeben, sei aber auf vehementen Widerstand gestoßen. "So etwas kann man wohl nur abschaffen, wenn man Präsident der Akademie ist und nicht mehr wiedergewählt werden will", sagt Zeilinger, im übrigen ein "wirkliches Mitglied der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse".

Noch steht Zeiliger erst auf Platz zwei in der Nachrückerecke, nahe der Tür. "Wenn man aber einmal in der Reihe ganz vorne hängt", sagt der Quantenphysiker verschmitzt, "dann wisse man: Jetzt dauert’s nicht mehr lang."

Beschwingt verlassen wir den Akademiepalast. Es ist doch so: Wo findet man noch solche Inseln der Tradition, in der sich das Erhabene mit dem Skurrilen auf so vergnügliche Weise mischt.

Reinhard Breuer
Chefredakteur Spektrum der Wissenschaft

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