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Warum verspätet sich die Bahn durch Laub?

Der Herbst ist da, die Bahn nicht. Was kann Laub dafür, dass sich Züge verspäten?
Schienen im Herbst

Feuchte Laubblätter wirken auf Bahnschienen wie Schmierseife. Die Gleise verlieren an Griffigkeit, und das erschwert den Zügen das Beschleunigen, aber auch das Tempohalten und verlängert genauso gehörig deren Bremsweg. Kommen die Bahnen trotz fehlendem Grip auf die übliche Geschwindigkeit, müssen sie diese aus Sicherheitsgründen auf bestimmten Streckenabschnitten drosseln – etwa vor Signalstellen oder Haltepunkten. Unterm Strich rollt der Schienenverkehr langsamer und verspätet sich deshalb.

Der Herbst ist da, und die Bahn lässt auf sich warten, weil das Laub auf den Gleisen den Schienenverkehr an der Pünktlichkeit hindert. Was anmutet wie eine fadenscheinige Ausrede, stimmt. Ob U-Bahn oder Schnellzug: Das Blattwerk auf den Schienen macht die Fahrt zur Rutschpartie, weil es die Reibung zwischen Gleis und Rädern verringert. Wissenschaftler begründen das Phänomen mit Hilfe unterschiedlicher Ansätze – vermutlich sind sie alle richtig und tragen je zu einem gewissen Teil dazu bei. Des Pudels Kern liegt also wahrscheinlich in einer Mischung.

© Brit Lab, BBC
Herbstlaub auf Schienen: Nicht witzig!
Mit Herbstlaub auf Schienen ist nicht zu spaßen! Die »BBC« simuliert (ab Minute 2:15) mit einer Art Seifenlauge den Bremsweg auf herbstlichen Gleisen. Die Moderatorin warnt nachdrücklich.

Die Schicht aus Blättern verhindert die direkte Verbindung zwischen Rädern und Gleisen, lautet die erste, vielleicht naheliegendste Erklärung. Kommt zusätzlich Feuchtigkeit ins Spiel, wird es noch rutschiger. Die Räder gleiten dabei weniger auf dem Laub als vielmehr damit gemeinsam auf einem Schmierfilm. Das gleiche Prinzip wirkt übrigens – bei unverhofften Rutschpartien während des Herbstspaziergangs – unter unseren Sohlen.

Nur selten findet man auf Schienen intakte Blätter, die mit bloßem Auge auch als solche zu erkennen sind, geschweige denn ganze Schichten davon. Viel häufiger handelt es sich um mikroskopisch kleine Bruchstücke, über die schon der ein oder andere Zug gerollt ist. Hier setzt ein weiterer Erklärungsversuch an, der darauf abhebt, dass Inhaltsstoffe der Blätter und Schienen chemisch miteinander reagieren. Aus dieser Reaktion gehen Eisenoxide hervor, die die Reibung zwischen Schiene und Eisenbahnrad verringern und so für die Schlitterpartie sorgen.

Von einer chemischen Reaktion zwischen Laub und Gleisen geht auch die letzte der hier aufgeführten Theorien aus: Pektin, ein in den Blättern enthaltenes Zuckerkettenmolekül, reagiert mit den Eisenionen der Schienen zu einem Gel. Das Gel wiederum bildet mit den Zellulosefasern der Blätter eine Art Schmierpaste, die wie eine Teflonschicht auf dem Gleis liegt und den Reibungswiderstand extrem mindert. Die Konsequenz sind hie wie da längere Beschleunigungszeiten und Bremswege. Die Deutsche Bahn kontert den Schmierfilm mit besonderen Reinigungsfahrzeuge: Deren Schienenpflegesystem spritzt als »kombinierte Sprüh- und Absauganlage mit hohem Druck Wasser auf die Schienen und nimmt den mit Schmierfilm angereicherten Wassernebel wieder auf«, erklärt eine Bahn-Sprecherin auf Nachfrage.

© TOY Crew, Berlin
Laubkunst im Schienenverkehr
Unter dem Titel »Leaf the train« befüllte die Graffiti Crew TOY 2016 einen Waggon der Berliner U-Bahn mit Herbstlaub. Die BVG nahm es gelassen – schließlich kam die Bahn pünktlich. Ein Jahr später warb sie sogar mit einem Schnappschuss der Guerilla-Installation für die Internationale Gartenausstellung.

Aber das glitschige Herbstlaub kann den Fahrplan auch noch auf eine andere Art durcheinanderbringen: Legt sich eine ganze Schicht von Blättern auf die Gleise, kann das Signalanlagen behindern, die via Kontakt von Schiene und Rad Züge erkennen. Ein nicht erkannter Zug, ein fehlendes Signal, und schon steht die Bahn auf freier Strecke anstatt pünktlich an der nächsten Station.

Vorsicht, überschmierende Glätte!

In Sachen Laub hielt sich die Deutsche Bahn bislang an die Maxime »Sicherheit vor Pünktlichkeit«; man setzt auf verringerte Höchstgeschwindigkeiten und lässt Lokführer das Fahren auf Laub im Simulator trainieren. Vor Herbstbeginn schneidet man Bäume und Sträucher an den Bahnstrecken großzügig zurück, um großem Laubfall vorzubeugen. Allerdings saugt der Luftstrom vorbeifahrender Züge das feuchte Herbstlaub regelrecht auf die Schienen, wodurch sich nicht vermeiden lässt, dass in der Laubsaison vermehrt Reinigungszüge im Einsatz sind. Man reinigt die gefährdeten Strecken außerhalb der Stoßzeiten – vornehmlich nachts, womit das Problem zwar nicht beseitigt (Blätter fallen bekanntlich zu jeder Tageszeit), aber immerhin etwas eingeschränkt ist.

http://www.youtube.com/watch?v=Kh6U4QJmutA
© Coherent-Rofin UK
Laub – einfach weglasern?
Im Labor top, auf der Schiene ein Flop. Nur zu Beginn erschien die Lasermethode Erfolg versprechend: In den 1990er Jahren vernichtete LaserThor mit 5000 Grad Celsius binnen einer Sekunde 25 000 Blätter. Die Technologie funktionierte nur im Labor, doch auf den Schienen konnte der Laser das Ruckeln der Bahn einfach nicht stabilisieren.

In den Niederlanden bedient man sich übrigens eines noch etwas spektakuläreren Reinigungsverfahrens: Hier beseitigen Sonderzüge mit darauf montierten Lasern den Blatt-Schmierfilm. Im Vereinigten Königreich wendet man die so genannte Wasserstrahl- und »Sandite«-Methode an: Mit Hochdruckwasserstrahl werden die Blattrückstände entfernt, anschließend verbessert man die Griffigkeit der Gleise mit einer Mischung aus Sand, Aluminiumpulver und einer speziellen Klebemasse.

Kurzum: Eisenbahngesellschaften bemühen sich darum, die Verspätungen auf Grund von Laub auf den Schienen soweit irgend möglich zu verringern. Die Gesetze der Physik können sie dabei jedoch nicht außer Kraft setzen.

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