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Lobes Digitalfabrik: Der Roboter als Regierungschef

Laut einer Umfrage vertraut ein Viertel der Europäer künstlicher Intelligenz mehr als Politikern. Sind Computer die besseren Entscheider?
Politik aus der Maschine

Um das Ansehen von Politikern stand es einmal besser. Die Hinterzimmerpolitik in Brüssel, das Postengeschacher in den Hauptstädten und die Kungelei an der Basis haben das Zerrbild von Politikern gezeichnet, die, so das Vorurteil, machtbesessen, egoistisch und impulsiv sind, die Partikularinteressen über das Allgemeinwohl stellen. Wäre es nicht klüger, Roboter auf die Listenplätze zu setzen und politische Probleme von Algorithmen bearbeiten zu lassen?

Die Gesellschaft ist ja bereits hinreichend roboterisiert: Es gibt Roboterkellner, Roboteranwälte, Roboterjournalisten. Da wäre es doch nur konsequent, wenn wir irgendwann auch mal einen Roboterpolitiker oder Roboterpräsidenten aus der Mitte des Volks wählen.

Das sind nicht bloß hypothetische Gedankenspiele. In Japan kandidierte im vergangenen Jahr eine KI für den Posten als Bürgermeister von Tama, einer Stadt in der Präfektur Tokio. Der Lokalpolitiker Michita Matsuda hatte den Roboter zur Wahl angemeldet. Auf Bekanntmachungstafeln hing neben den Wahlplakaten der Politiker auch ein Plakat des Roboters. Der Slogan lautete: »Künstliche Intelligenz wird Tama City verändern.«

Matsuda, dessen Wahlkampf vom Technologiekonzern Softbank (er produziert den Roboter Pepper) und dem Exchef des japanischen Googleablegers finanziert wurde, sagte, dass die KI schnellere und effizientere Entscheidungen als Menschen treffen könne und ein Mittel gegen Politikverdrossenheit sei. Das KI-System könnte Petitionen analysieren und in einer Technikfolgenabschätzung statistisch die Folgen kalkulieren. Der Roboterkandidat war zwar noch nicht mehrheitsfähig – er erhielt 4013 Stimmen und landete auf Platz drei. Doch bleibt es ein interessantes Gedankenexperiment: Sind Computer die besseren Politiker?

Was, wenn der Bot von seinem Skript abweicht?

Laut einer aktuellen Erhebung des Center for the Governance of Change, einem privaten Forschungsinstitut in Madrid, vertraut ein Viertel der Europäer künstlicher Intelligenz mehr als Politikern. In Deutschland befürworteten 31 Prozent der Befragten voll oder teilweise, dass KI »wichtige Entscheidungen in der Regierung ihres Landes trifft«. Für die Niederlande lag der Zustimmungswert mit 43 Prozent in den befragten Ländern am höchsten. Das Versprechen einer Politikmaschine ist, dass sie wertneutral operiert und Menschen nur nach Ansehung der Daten beurteilt. Maschinen haben keine Launen, Emotionen oder Vorurteile. Der Computer würde in emotionalen Situationen einen »kühlen Kopf« bewahren und rationale Entscheidungen treffen. Der Rechner lässt sich denn auch nicht korrumpieren: Er führt mechanisch aus, wozu er programmiert wurde.

Die Initiative Watson for President wollte 2016 IBMs Supercomputer Watson als US-Präsidentschaftskandidaten nominieren – nach dem Motto: lieber eine berechenbare Maschine als ein unberechenbarer Mensch im Weißen Haus. Watson, dessen Einsatz in der Krebstherapie bereits erforscht wird, könnte mit riesigen Datenmengen gefüttert werden und pareto-optimale Entscheidungen für das Gemeinwesen treffen – Entscheidungen, die das beste Resultat unter den gegebenen Rahmenbedingungen herausholen. Mit dem Computer ließen sich in Politikfeldern wie der Außenpolitik komplexe Szenerioanalysen durchführen – zum Beispiel, wie riskant eine Militärintervention in Nordkorea wäre.

Auf die Frage, ob Trump oder ein Roboter einen besseren Präsidenten abgäben, antworteten in einer nicht repräsentativen Umfrage des britischen Boulevardblatts »Daily Mirror« 81 Prozent: der Roboter. Vermutlich würde es dem Bürger gar nicht auffallen, ob Trump oder ein Chatbot twittert. Einige Volksvertreter spulen ohnehin immer dieselben repetitiven Sätze aus ihrem Standardrepertoire ab, als wären sie Algorithmen. Und die ein oder andere Phrase eines Politikers würde in ihrer Simplizität wohl nicht mal den Turing-Test bestehen. Auch beim Brexit hätte sich so mancher Bürger einen echten Roboter statt den ständig dieselben Sätze wiederholenden »Maybot« (so wurde Premierministerin Theresa May genannt) gewünscht.

Der Journalist Joshua Davis schreibt in einem Beitrag für das Technikmagazin »Wired«: »Menschen sind anfällig dafür, Entscheidungen auf Grund ihres Egos, ihrer Wut und dem Bedürfnis von Selbsterhöhung und nicht der gemeinsamen Sache zu treffen. Ein künstlich intelligenter Präsident könnte so trainiert werden, das Glück der meisten Menschen zu maximieren, ohne die Grundfreiheiten zu beschneiden. Und er könnte lernen, dass es eine gute Idee ist, weniger zu twittern – oder gar nicht.« Mit der Maschine ließe sich einfach durchregieren; institutionelle Blockaden würden algorithmisch wegreguliert. Der Computer müsste keine zähen Koalitionsverhandlungen führen – er könnte gleich »hochfahren«. Die Wähler, so Davis, könnten zwischen einer demokratischen oder republikanischen KI entscheiden oder über eine Liste abstimmen, auf deren Basis dann eine repräsentative KI programmiert würde.

Die Frage ist nur, wer eine solche Politmaschine programmierte. Würde mit Watson als US-Präsident am Ende IBM die Gesetze schreiben? Wäre ein Robo-Präsident lediglich das Vehikel für eine technokratische Herrschaft der Konzerne? Oder wäre die KI Open Source, an der jeder mitschreiben könnte? Was, wenn der Bot von seinem Skript abweicht? Gehorcht er dann nur noch seinen eigenen und nicht mehr demokratischen Spielregeln?

Was man bei aller Euphorie über die Unbestechlichkeit automatisierter Prozesse nicht vergessen sollte: Auch Computer verfolgen Interessen, nämlich die ihrer Entwickler. Politiker mögen Klientelnetzwerke spannen und die Interessen ihrer Partei über das Allgemeinwohl stellen. Doch ist dieser Prozess noch immer demokratischer als jede Programmiervorschrift.

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