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Freistetters Formelwelt: Unerwartete Zahlen-Explosion

Die Farey-Folge entsteht, wenn man einen Anfängerfehler konsequent zu Ende denkt. Mit ihr kann man hübsche Spiele treiben - oder eine der größten Fragen der Mathematik klären.
Eine Bruchrechen-Aufgabe an einer Tafel.

Es kann schon ein wenig verwirrend sein, wenn man das erste Mal auf Zahlen trifft, die nicht allein dastehen, sondern auf den beiden Seiten eines Bruchstrichs angeordnet sind. Vor allem wenn es darum geht, die üblichen Rechenoperationen damit durchzuführen. Werfen wir dazu einen Blick auf diese Formel:

In der Mitte dieser Ungleichung steht ein mathematischer Ausdruck, der in den Heften vieler Schulkinder vermutlich schon einmal rot durchgestrichen wurde. Will man die Bruchzahlen a / b und c / d addieren, dann ist es verlockend, das Resultat einfach mit (a + c) / (b + d) anzugeben. Es ist allerdings falsch – dennoch hat dieser Ausdruck in der Mathematik eine gewisse Bedeutung. Er wird »Mediante« der beiden ursprünglichen Brüche genannt, da sein Wert immer zwischen den beiden Ausgangszahlen liegt.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Wenn man zum Beispiel den ersten Bruch als 4 / 5 angibt und den zweiten als 6 / 7, dann liegt die Mediante 10 / 12 (= 5 / 6) dazwischen. Nicht zwingend genau in der Mitte – die Ungleichung gilt aber dennoch auf jeden Fall, sofern b und d größer als null sind und a / b kleiner als c / d ist.

Die Entdeckung dieser so genannten »Regel der Mittelzahlen» soll dem französischen Mathematiker Nicolas Chuquet schon im 15. Jahrhundert gelungen sein. Und auch wenn sie ein wenig trivial klingt, steckt in ihr mehr, als man auf den ersten Blick sehen kann. Beginnt man etwa mit den beiden Brüchen 0 / 1 und 1 / 1, dann erhält man als Mediante logischerweise 1 / 2. Nun kann man die beiden Medianten berechnen, die zwischen diesen drei Brüchen stecken, und erhält die Folge: 0 / 1 … 1 / 3 … 1 / 2 … 2 / 3 … 1 / 1. Setzt man das Schema fort, ergibt sich 0 / 1 … 1 / 4 … 1 / 3 … 1 / 2 … 2 / 3 … 3 / 4 … 1 / 1.

Eine Folge mit kuriosen Eigenschaften

Wer sich ein wenig intensiver mit der Zahlentheorie beschäftigt hat, wird in diesen Bruchzahlen die so genannte »Farey-Folge« erkennen. Eine Farey-Folge n-ter Ordnung erhält man, wenn man die maximal gekürzten Brüche zwischen 0 und 1, deren Nenner n nicht übersteigt, geordnet aufschreibt. Die obigen Beispielrechnungen haben als Resultat also die Farey-Folgen der Ordnungen 1, 2 und 3 geliefert. Ihren Namen haben sie vom britischen Geologen John Farey, dem beim Betrachten einer Tabelle mit gekürzten Brüchen der Zusammenhang mit den Medianten auffiel.

1816 schrieb er einen Brief an das »Philosophical Magazine« (»On a curious property of vulgar fractions«) und fragte, ob diese Eigenschaft schon bekannt oder bewiesen sei. Überraschenderweise fehlte so ein Beweis noch, wurde aber schnell vom berühmten Mathematiker Augustin-Louis Cauchy geliefert, nachdem er Fareys Notiz las. Auf die Verbindung zwischen Mediante und gekürzten Brüchen war zuvor zwar schon der Mathematiker Charles Haros gestoßen, doch das wussten weder Farey noch Cauchy.

Mit den Farey-Folgen kann man interessante Sachen anstellen. Erstellt man ein Diagramm, in dem auf der x-Achse die jeweiligen Nenner eines Bruchs der Folge und auf der y-Achse die Zähler markiert sind, und verbindet die so entstehende Punkte mit einer Linie, erhält man ein recht markantes Zickzack-Muster. Spiegelt man es an den Hauptachsen und der Diagonale, ergibt sich eine Kurve, die an die Darstellung einer Explosion in einem Comic erinnert.

Neben diesem rein visuellen Aspekt kann man in der Farey-Folge vielleicht aber auch den Beweis der riemannschen Vermutung finden. Sie gehört zu den bedeutendsten ungelösten mathematischen Problemen und macht Aussagen über die Verteilung von Primzahlen. Seit 1859 ist sie weder bewiesen noch widerlegt. Doch 1924 konnte gezeigt werden, dass sie äquivalent zu einer Aussage über Abstände von Termen in Farey-Folgen ist. Auch diese Aussage ist noch unbewiesen. Aber vielleicht sind es ja gerade die Bruchzahlen, die am Ende zum Erfolg führen.

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