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Alkoholfreies Bier aus dem Bioreaktor

Statt chargenweise wie bisher läßt sich alkoholfreiese Bier in einem Wirbelschichtfermenter auch kontinuierlich produzieren. Dazu immobilisiert man Hefezellen an großporigen Sinterglasperlen und führt die Gärung bei Temperaturen nahe null Grad Celsius durch.


Seit mehreren Jahren nimmt der Konsum von alkoholfreiem Bier, das maximal 0,5 Volumenprozent Alkohol enthalten darf, beständig zu. Verkauften Deutschlands Bierbrauer im Jahre 1978 noch bescheidene 80|||000 Hektoliter dieser entschärften Variante des Nationalgetränks, so setzten sie 1990 schon mehr als zwei Millionen Hektoliter um; und noch immer werben Brauereien mit neuen alkoholfreien Biersorten um die zunehmend gesundheits- und verkehrsbewußten Verbraucher.

Herkömmliche Herstellungsmethoden


Grundsätzlich läßt sich der Alkoholgehalt des Bieres mit physikalischen oder biologischen Verfahren herabsetzen. Bei der einfachsten physikalischen Methode wird aus einem konventionell gebrauten Vollbier einfach der Alkohol abdestilliert. Dabei muß man allerdings in Kauf nehmen, daß andere leichtflüchtige Bestandteile mit entweichen und wesentliche Geschmacksstoffe verlorengehen.

Eleganter und umweltfreundlicher sind da schon Filtrationstechniken, bei denen durch Umkehrosmose über künstliche, feinporige Membranen Wasser und Alkohol aus dem Bier herausgepreßt werden, während die für den Geschmack wichtigen Inhaltsstoffe zurückbleiben. Die abfiltrierte Flüssigkeit ersetzt man kontinuierlich durch reines Wasser, bis der gesetzlich vorgeschriebene Grenzwert von 0,5 Volumenprozent Alkohol unterschritten ist.

Die meisten Brauereien bevorzugen jedoch biologische Verfahren. Dabei wird der Gärprozeß so abgewandelt, daß von vornherein kaum Alkohol entsteht. Die gängigste Methode, das sogenannte Hefe-Kälte-Kontaktverfahren, läßt sich am besten als gedrosselte Gärung beschreiben

Ausgangsmaterial ist wie gewöhnlich ein Gerstensud mit einer Stammwürze von etwa 8 Prozent (so bezeichnet man den Malzzuckeranteil, der beim sogenannten Maischen in der Brauerei aus Getreidestärke entsteht). Allerdings läßt man die Brauhefe dann lediglich bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt einwirken – und auch das nur so lange, bis sich ein Alkoholgehalt von maximal 0,5 Prozent eingestellt hat. Dies dauert in der Kälte etwa einen Tag. Trotz der gebremsten Gärung produziert die Hefe in dieser Zeit genügend von den bis zu 700 biertypischen Geschmackskomponenten.

Mit dem seit alters überlieferten Herstellungsprozeß teilt dieses Verfahren freilich den Nachteil, daß das Bier chargenweise gebraut werden muß. Besser steuerbar und damit produktionstechnisch günstiger wäre ein kontinuierliches Verfahren. Mit Hilfe eines sogenannten Micro-carrier-Systems, das wir am Institut für Biotechnologie des Forschungszentrums Jülich für verschiedene mikrobielle Entsorgungs- und Produktionsprozesse entwickelt haben, konnten wir nun im Technikums-Maßstab einen solchen Fermentationsprozeß realisieren. Dabei arbeiten wir eng mit in- und ausländischen Brauereien zusammen, die bislang mit erheblichem technischem und personellem Aufwand alkoholfreies Bier nach dem Hefe-Kälte-Kontaktverfahren chargenweise herstellen.

Das Trägermaterial für die Hefezellen


Unser Micro-carrier-System besteht aus großporigen Glasträgern, die von Mikroben besiedelt werden können. Die Mikroorganismen binden sich dabei fest an den Träger; so immobilisiert, lassen sie sich leicht handhaben.

Wichtig ist, daß die angehefteten Zellen ihre volle Aktivität bewahren und sich auch bei turbulenter Strömung nicht wieder ablösen. Bloße Adsorption an Träger mit wenig strukturierter Oberfläche reicht dazu nicht aus; andererseits ist die Anheftung über chemische Bindungen aufwendig und kann die Aktivität der Hefe beeinträchtigen. Dagegen vermag das von uns verwendete offenporige Sinterglas, das die Firma Schott in Mainz unter dem Markennamen Siran vertreibt, in seiner ausgedehnten Labyrinthstruktur eine große Zahl von Mikroben pro Volumeneinheit auch ohne chemische Bindung dauerhaft festzuhalten.

Im Prinzip wären Materialien wie Polystyrol, durch Einbau von Diethylaminoethyl-Resten quellbar gemachte Cellulose oder Titandioxid, die in Finnland und in den Niederlanden zur lmmobilisierung der Hefe bei der Bierfermentation verwendet werden, ebenfalls geeignet. Im Unterschied zu diesen Stoffen wird Glas jedoch unter den Gärbedingungen chemisch nicht im geringsten angegriffen und erlaubt so die Einhaltung des deutschen Reinheitsgebots. Außerdem lassen sich die Micro-carrier sterilisieren und leicht reinigen und sind damit wiederverwertbar. Wichtige Parameter wie die Porengröße können auf einfache Weise bei der Glasproduktion den jeweiligen Erfordernissen angepaßt werden. So läßt sich sicherstellen, daß auch die Hefezellen im Inneren der Glasträger ausreichend mit Nährstoffen versorgt werden.

Fermentation im Wirbelschichtreaktor


Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung dieser Methode war auch die Wahl eines geeigneten Bioreaktors. Als ideal erwies sich der sogenannte Wirbelschichtreaktor (Bild 1), in dem das Umwälzen der Flüssigkeit die Micro-carrier in der Schwebe hält, so daß stets ein guter Kontakt mit der Gärlösung besteht und ein Verstopfen verhindert wird. Dabei toleriert dieser Gerätetyp hohe Konzentrationen suspendierter Feststoffe. Außerdem läßt sich überschüssige Biomasse, die durch Vermehrung der Hefezellen bei der Gärung entsteht, kontinuierlich ausschleusen. Nach ersten Experimenten, die wir im Labormaßstab am Institut für Biotechnologie durchgeführt hatten, unternahm die Brauerei Beck & Co. in Bremen auf ihrem Gelände einen Pilotversuch mit einem Wirbelschichtreaktor von 60 Litern Gesamtvolumen.

Bei Inbetriebnahme des Reaktors muß zunächst der Träger mit Brauhefe besiedelt werden. Dazu impft man das gereinigte Trägermaterial mit einer hochkonzentrierten Brauhefe-Suspension an. Wegen der unzureichenden Sterilität der malzhaltigen Würze ist es äußerst wichtig, der Hefe einen deutlichen Selektionsvorteil gegenüber Fremdkeimen zu verschaffen; diese dürfen keine Chance haben, sich zu vermehren und auf dem Träger festzusetzen. Um dies zu gewährleisten, schafft man zunächst bei einer Temperatur von 25 bis 30 Grad Celsius optimale Wachstumsbedingungen für die Hefepilze und stellt die Durchflußgeschwindigkeit der Würze so ein, daß ihre mittlere Verweilzeit im Reaktor unterhalb der minimalen Generationszeit von potentiell kontaminierenden Mikroorganismen liegt. Diesen bleibt daher weder genügend Platz zum Anheften auf dem bereits besiedelten Träger noch Zeit zur Vermehrung, bevor sie den Fermenter wieder verlassen.

Unter diesen Wachstumsbedingungen sind die Hefezellen drei Tage nach Inbetriebnahme des Bioreaktors bereits bis zu einer Tiefe von 100 Mikrometern in die ein bis zwei Millimeter großen Glaskugeln vorgedrungen; nach zwei Wochen füllen sie die innere Porenstruktur des Trägermaterials schließlich fast völlig aus (Bild 2).

Nach dieser Vorkolonisierungsphase kann die Produktion von alkoholfreiem Bier beginnen. Dazu wird der Reaktor mittels Kältebad auf nahezu 0 Grad Celsius abgekühlt. Trotz der tiefen Temperatur haben die Hefepilze schon nach vier bis sechs Stunden etwa sieben Prozent der Kohlenhydrate umgesetzt und den Alkoholgehalt auf den Sollwert von 0,2 bis 0,3 Gewichtsprozent gebracht. Die Gärung verläuft also wesentlich schneller als beim konventionellen Kälte-Kontakt-Verfahren. Zwar macht der verbliebene Malzzucker das Gärprodukt noch recht süß, doch läßt sich das durch Zugabe von mehr Hopfen meist kompensieren.

Insgesamt erwies sich die Pilotanlage, die einen Durchsatz von bis zu 800 Litern pro Tag erreichte, als sehr stabil. Während des Experimentierzeitraums von einem Jahr konnten bei mikrobiologischen Untersuchungen keine nennenswerten Mengen von Fremdkeimen (etwa von Wildhefen) nachgewiesen werden; selbst als eine Würzecharge bewußt geringfügig mit Wildhefe verunreinigt wurde, reicherten sich die unerwünschten Mikroorganismen nicht im Reaktor oder dessen Ablauf an.

Analytisch und geschmacklich konnte sich das Bioreaktor-Bier ohne weiteres mit dem nach dem Kälte-Kontakt-Verfahren hergestellten messen. Die chemische Untersuchung ergab keine wesentlichen Unterschiede in der Zusammensetzung, und bei der Geschmacksprobe hielten sich die Voten der Tester die Waage. Dies zeigt deutlich, daß die kontinuierliche Produktion von alkoholfreiem Bier im Wirbelschichtfermenter ohne Qualitätskompromisse möglich ist.

Die Gärung läßt sich mit einem Prozeßrechner auch automatisch steuern, wenn der Alkoholgehalt des Fermentationsmediums kontinuierlich gaschromatographisch überwacht und das Ergebnis an den Rechner weitergeleitet wird.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1994, Seite 18
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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