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Medizin: Arteriosklerose als Entzündung

In den westlichen Industrienationen fordert die Arterienverkalkung mehr Todesopfer als Krebs, vor allem als Urheber von Herzinfarkt und Schlaganfall. Das neue Entstehungsmodell der Arteriosklerose erklärt, warum auch viele scheinbar Gesunde plötzlich Infarkte erleiden.


Noch vor fünf Jahren hätten die meisten Ärzte ihren Patienten Arteriosklerose beschrieben, als handele es sich um die Verkalkung einer Wasserleitung: Mit Fett beladenes Material baue sich nach und nach innen an der Arterienwand auf, verkalke und enge den Blutstrom allmählich ein. Schließlich gehe Gewebe zu Grunde, weil es von seiner Blutzufuhr abgeschnitten wird. Passiert das in Teilen des Herzmuskels oder des Gehirns, spreche man von einem Herzinfarkt beziehungsweise von einem Schlaganfall.

Inzwischen halten die meisten Forscher dieses simple Erklärungsmuster für überholt. Mehr als zwanzig Jahre Forschung haben gezeigt, dass Arterienwände nur wenig mit starren, passiven Röhren gemein haben. Sie enthalten schließ-lich lebende interaktive Zellen, die entscheidend beim Entstehen und Wachsen der arteriosklerotischen Ablagerungen mitwirken. Außerdem bilden sich die Ablagerungen, die Plaques, nicht auf, sondern in der Wandung. Nur relativ selten werden sie dabei so dick, dass allein ihre schiere Größe den Blutstrom auf ein Rinnsal schrumpfen lässt. Die meisten Herzattacken, ebenso viele Schlaganfälle, gehen vielmehr auf das Konto von weniger einengenden Plaques, die plötzlich aufplatzen und dadurch die Bildung eines Blutpfropfs auslösen. Erst dieser so genannte Thrombus verschließt innerhalb von Minuten die Ader.

Eine Schlüsselrolle spielen nach heutigem Kenntnisstand von Anfang an Entzündungsvorgänge. Solche Prozesse helfen normalerweise, eingedrungene Krankheitserreger oder Fremdkörper zu eliminieren. Hat sich beispielsweise ein Schnitt in den Finger entzündet, wird das Gewebe rot und heiß, schwillt an und schmerzt. Entzündliche Prozesse stecken hinter allen Phasen der Arteriosklerose, von der ersten Entstehung einer Plaque über ihr Wachstum bis hin zum Aufplatzen.

Aus dem gewandelten Konzept ergeben sich auch neue Ideen für eine Früherkennung und Therapie der Krankheit. Zugleich erklärt es einiges – vor allem, warum viele Herzattacken vom Infarkt bis zum plötzlichen Herztod scheinbar ohne Vorwarnung auftauchen und warum gewisse therapeutische Eingriffe, die Attacken verhindern sollen, letztlich oft versagen. Fortschritte in dieser Hinsicht sind bitter nötig. Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen in den westlichen Industrieländern vor Krebs auf Platz eins der Todesstatistik. In Deutschland stirbt fast jeder Zweite an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Mit zunehmendem Lebensstandard fordert diese Kategorie auch in Entwicklungsländern von Jahr zu Jahr mehr Tribut.

Was schon antike Ärzte als äußer-lich sichtbare Anzeichen einer Entzündung beschrieben, spiegelt nur die Auswirkungen einer regelrechten Schlacht wider, die in einer mikroskopischen Kampfarena tobt. Ein realer Feind, aber auch ein vermeintlicher, lässt bestimmte Arten von weißen Blutkörperchen in dem bedrohten Gewebe zusammenströmen. Dort setzen sie ein ganzes Arsenal an Stoffen frei, um die Infektion einzudämmen. Dazu zählen Oxidanzien, die Erreger direkt schädigen, sowie Signalmoleküle, die zahlreiche weitere Aktivitäten von Abwehrzellen koordinieren.

Welche Rolle spielen nun Entzündungsreaktionen beim Beginn einer Arteriosklerose? Den genauesten Einblick hat bislang die Untersuchung von "schlechtem" Cholesterin verschafft. Das sind Partikel aus Lipoproteinen geringer Dichte, abgekürzt LDL, nach englisch low density lipoprotein. Wie ihr Name besagt, bestehen sie aus "fettigen" Lipidmolekülen kombiniert mit wasserlöslichen Eiweißmolekülen (siehe Abbildung rechte Seite). Die Partikel transportieren Cholesterin vom Ort seiner Gewinnung in Leber und Darm zu anderen Organen und Geweben. Seit langem ist klar, dass zu große Mengen an prinzipiell lebenswichtigem LDL und Cholesterin einer Arteriosklerose Vorschub leisten. Eine Erklärung, wie dadurch die Bildung von Plaques gefördert wird, fehlte bis vor kurzem hingegen.

Untersuchungen an Zellkulturen sowie – meist genetisch veränderten – Tieren geben jedoch inzwischen zu erkennen, wie das Unheil seinen Lauf nimmt. Zunächst reichern sich LDL-Partikel in der innersten Schicht der Arterienwand an, die in intimem Kontakt mit dem Blutstrom steht. Diese Innenschicht oder Intima besteht hauptsächlich aus einer Tapete von Endothelzellen, die alle Adern innen auskleiden. Als Untertapete dient eine Matrix aus Bindegewebe, produziert von "glatten" Muskelzellen. Bei normalen LDL-Konzentrationen im Blut wandern die Partikel frei in die Innenschicht ein und wieder heraus. Bei einem Überschuss bleiben sie allerdings dort leicht stecken. Gleichzeitig unterliegen ihre Lipid- und Eiweißkomponenten einem Oxidationsprozess – ähnlich wie er beim Ranzigwerden von Butter abläuft. Die Proteine bekommen obendrein Zuckergruppen angehängt. Diese Veränderungen werten Zellen in der Gefäßwand offenbar als Anzeichen drohender Gefahr, und sie rufen das Immunsystem auf den Plan.

Besonders aktive Alarmgeber sind dabei die Endothelzellen, die jetzt auf ihrer Blutseite Haftmoleküle ausfahren. Wie an Häkchen eines Klettverschlusses bleiben daran Monocyten locker haften. Das sind Vertreter der weißen Blutkörperchen, die auf dem Klettband abgebremst werden und nun darauf abrollen. Gleichzeitig senden Endothelzellen und glatte Muskelzellen chemische Hilferufe aus. Davon angelockt quetschen sich die Monocyten nun wie Spürhunde auf der Fährte zwischen den Endothelzellen hindurch in die Innenschicht.

Am Ende zum Platzen voll mit Fetttröpfchen

Hier sorgen diese und andere Substanzen dafür, dass sich die Einwanderer teilen und zu reifen Makrophagen – wörtlich: großen Fressern – weiterentwickeln. Voll ausgerüstet machen sich die Saubermänner sogleich an die Arbeit. Veranlasst durch Signalproteine der aktivierten Endothelzellen und glatten Muskelzellen in der Intima haben die Makrophagen molekulare Werkzeuge auf ihrer Oberfläche ausgebildet, mit denen sie Müll – darunter die stark veränderten LDL-Partikel – rasch ergreifen und aufnehmen können. Am Ende sind die großen Fresser bis zum Platzen voll mit Fetttröpfchen. Pathologen bezeichnen sie wegen ihres schaumigen Aussehens unter dem Mikroskop dann als Schaumzellen.

Weitere Vertreter der weißen Blutkörperchen, die T-Lymphocyten, folgen dem vermeintlichen Alarmruf in die Arterienwand. Dort geben sie immunregulatorische Stoffe ab, die eine Entzündungskaskade verstärken. Zusammen mit den Schaumzellen bilden diese spezialisierten Abwehrzellen Lipidstreifen in der Wandung (fachlich Lipidläsionen genannt). Schon in den Herzkranzgefäßen von Teenagern finden sich solche Veränderungen – Vorläufer der komplexer zusammengesetzten Plaques, die später Arterien entstellen werden.

Bei einer Schnittwunde etwa geben Makrophagen nach erfolgreicher Arbeit heilungsfördernde Substanzen ab. Solch ein Heilungsprozess begleitet auch die eher schleichende leichte Entzündung bei der Arteriosklerose. Anstatt aller-dings den ursprünglichen Zustand wie-der herzustellen, baut er jedoch die Aderwand völlig um. Das Ergebnis ist schließlich eine größere, komplexer gestaltete Plaque.

Alle Zellen in der entzündeten Innenschicht produzieren nämlich chemische Faktoren, die glatte Muskelzellen in der Mittelschicht, der Media, zu problematischem Tun verleiten: Sie unterwandern die Tapete, vermehren sich dort und produzieren Bausteine der Matrix, darunter das Faserprotein Kollagen. Auf dem Fettstreifen bildet sich so eine fibröse Deckschicht. Nach und nach kommt es darunter, innerhalb der Plaque, zu charakteristischen Veränderungen. Insbe-sondere geht ein Teil der Schaumzellen zu Grunde und setzt dabei seine Lipide frei. Die Region unter der Faserkappe heißt daher auch Lipidkern.

Trotz dieser Veränderungen strömt das Blut oft für Jahrzehnte relativ ungehindert daran vorbei. Denn überraschenderweise expandieren arteriosklerotische Plaques lange relativ wenig in das Gefäß hinein, weil es sich kompensatorisch erweitert. Tun sie es schließlich doch, kommt es zur Verengung des Blutkanals, fachsprachlich Stenose genannt. Erste Anzeichen spüren Betroffene meist bei körperlicher Anstrengung. Beim Sport oder auch bei Stress wird eine verengte Herzarterie sich unter Umständen nicht mehr genügend erweitern – wie sie es sonst täte, um das zu versorgende Gewebe besser zu durchbluten. Es kommt zur Brustenge (Angina pectoris) – meist erkennbar an einem Druck und Engegefühl hinter dem Brustbein, wobei der Schmerz oft weiter ausstrahlt. Stenosen in anderen Arterien können bei Anstrengung oder selbst beim einfachen Gehen beispielsweise schmerzhafte Krämpfe in den Waden auslösen.

Doch gehen nur etwa 15 Prozent aller Herzattacken auf das Konto einer Plaque, die tatsächlich so groß ist, dass sie allein schon die Blutzufuhr fast völ-lig abschneidet. (Ähnliches gilt für Schlaganfälle.) Inzwischen wissen wir: Ein Infarkt beispielsweise droht vor allem, wenn die faserige Kappe aufbricht; binnen kürzester Zeit entsteht über der Aufbruchstelle ein Blutgerinnsel. Die Gefahr solch einer Ruptur wächst, je dünner die Faserkappe einer Plaque ist und je mehr Lipidmasse und Makrophagen sich angesammelt haben. Zur Instabilität trägt wiederum eine Entzündungsreaktion bei.

Normalerweise sorgen Kollagenfasern, die von den glatten Muskelzellen hergestellt werden, für eine erhebliche Festigkeit der faserigen Deckschicht. Flackert aber in einer noch stabilen Plaque eine Entzündung auf, setzen beteiligte Stoffe der Kappe gleich doppelt zu. So wies meine Arbeitsgruppe nach, dass Entzündungsstoffe die Makrophagen zur Abgabe von Enzymen veranlassen können, die Kollagen abbauen. Fatalerweise vermögen sie gleichzeitig die glatten Muskelzellen daran zu hindern, neues frisches Kollagen abzugeben, wie es für die Reparatur der Fibrinkappe und den ständigen Nachschub erforderlich wäre.

Sickert aber erst einmal Blut durch feine Risse der Kappe in den Lipidkern, ist die Gerinnung programmiert. Blut enthält Vorstufen der Proteine für die so genannte Gerinnungskaskade, und in der Plaque verleiten T-Zellen die Schaumzellen dazu, reichlich Gewebsfaktor (englisch tissue factor, TF) zu bilden – einen sehr potenten Auslöser der Gerinnungskaskade. Zwar produziert der Körper auch Substanzen, die eine Gerinnung rechtzeitig stoppen oder einen Blutpfropf wieder auflösen können. Doch setzen entzündete Plaques gerade Stoffe frei, die diese Gegenmaßnahmen wieder unterlaufen.

Wird ein Gerinnsel trotzdem noch rechtzeitig natürlicherweise oder mit Hilfe von Medikamenten beseitigt, kann der Heilungsprozess wieder einsetzen. Der stellt zwar die Kappe wieder her, vergrößert dabei allerdings die Plaque durch die Bildung von Narbengewebe noch weiter. Einige Indizien sprechen dafür, dass Plaques in Schüben wachsen, bei denen jeweils Gerinnsel entstehen, sich wieder auflösen, dabei aber Narben zurücklassen.

Warum Herzinfarkte wie aus heiterem Himmel auftreten

Das neue wissenschaftliche Bild der Arteriosklerose, das sich aus all dem ergibt, erklärt auch, warum beispielsweise so viele Herzinfarkte wie aus heiterem Himmel auftreten: Denn die aufbrechenden Plaques sind nicht zwangsläufig jene, die weit in die Blutbahn ragen und bei bildgebenden Verfahren besonders gut in Erscheinung treten. Daraus wird auch klar, warum Verfahren von der Aufweitung verengter Arterien bis hin zum operativen Bypass zwar die Symptome einer Angina pectoris oft lindern, aber einen späteren Herzinfarkt trotzdem häufig nicht verhindern. Denn die eigentliche Gefahr steckt womöglich an ganz anderer Stelle – dort, wo eine Plaque den Innendurchmesser einer Arterie kaum einengt, dafür aber ein hohes Risiko hat, aufzureißen.

Selbst wenn die ursprüngliche Engstelle das eigentliche Problem war, ist die Aufweitung leider oft nur von kurzer Dauer – teilweise wohl, weil die Behandlung eine ausgeprägte Entzündungsreaktion auslösen kann.

Auch die Rolle der vergleichsweise intensiv untersuchten LDL-Partikel wurde bei der Arteriosklerose wahrscheinlich eher noch unterschätzt. Rund die Hälfte aller Patienten mit Herzattacken wie Angina pectoris oder Herzinfarkt weist keine überdurchschnittlichen LDL-Werte auf. Das heißt jedoch nicht, dass LDL hier nichts mit der Arteriosklerose zu tun hat, die diesen Erkrankungen zu Grunde liegt. Denn in den westlichen Industrieländern liegen die durchschnittlichen LDL-Werte weit über denen, die der Körper eigentlich benötigt, und zweifelsohne können auch diese Durchschnittswerte bereits eine Arteriosklerose fördern. Auf Grund neuer Daten zum Zusammenhang zwischen Herzgesundheit und Lipoprotein-Spiegel haben Experten die Definition gesunder LDL-Werte nochmals enger gefasst. So hat ein Expertenkomitee in Kooperation mit den US-amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstituten in Bethesda (Maryland) erst im vergangenen Jahr neue Richtlinien dazu aufgelegt.

Die Rolle anderer Risikofaktoren bei den Entzündungsreaktionen harrt derzeit noch einer ähnlich intensiven Erforschung wie beim LDL. Allerdings gibt es bereits viel sagende Hinweise. Diabetes erhöht die Menge an Traubenzucker im Blut, was wiederum die "Verzuckerung" von Proteinen und damit die entzündlichen Eigenschaften von LDL in die Höhe treiben kann. Übergewicht steigert generell das Risiko für Diabetes. Rauchen fördert die Bildung reaktionsstarker Oxidanzien und dürfte dadurch die Oxidation von LDL-Bestandteilen fördern. Bluthochdruck hat wohl keinen unmittelbaren Einfluss auf Entzündungsprozesse. Doch scheint das Hormon Angiotensin II, das für viele Fälle von Bluthochdruck mitverantwortlich ist, parallel auch Entzündungsprozesse zu fördern.

Hingegen scheint gutes Cholesterin einen generell positiven Einfluss auszuüben. Dabei handelt es sich um Lipoproteine hoher Dichte (HDL, nach englisch high density lipoprotein). Sinkt ihre Konzentration, wächst das Risiko für einen Herzinfarkt. Ein Teil der positiven Wirkungen von HDL mag auf einen entzündungshemmenden Effekt zurückgehen. Neben Cholesterin transportieren diese Partikel nämlich auch Enzyme, die oxidierte Lipide abbauen. Für eine individuelle Risikoabschätzung bestimmen Ärzte deshalb neben LDL auch HDL beziehungsweise damit zusammenhängende Kenngrößen.

Entzündungsprozesse im Körper dienen normalerweise der Bekämpfung von Infektionserregern. Es war daher nur logisch, auch danach zu fahnden, ob womöglich irgendwelche Infektionen zur Entzündung der Arterien beitragen. Neuere Arbeiten deuten aber darauf hin, dass sich eine Arteriosklerose ganz ohne Infektion entwickeln kann. Dennoch gibt es Indizien, dass manche Mikroorganismen wie das Herpesvirus oder das Bakterium Chlamydia pneumoniae (ein häufiger Erreger von Atemwegsinfekten) eine Arteriosklerose gelegentlich induzieren oder verschlimmern könnten. Das Bakterium kommt in etlichen arteriosklerotischen Plaques vor, und seine Bestandteile können Makrophagen, Endothel- und glatte Muskelzellen zu Entzündungsreaktionen veranlassen.

Das Echo von Scharmützeln

Denkbar ist auch eine gewisse Fernwirkung – ich nenne es einen Echoeffekt. Signalstoffe, die der Körper bei der lokalen Bekämpfung von Infektionserregern einsetzt, könnten in die Blutbahn entkommen. Theoretisch könnten diese so genannten Entzündungsmediatoren auch weiße Blutkörperchen in arteriosklerotischen Plaques stimulieren und so deren Wachsen oder Aufbrechen fördern. Diese Hypothese ist Grundlage für mehrere laufende klinische Studien, bei denen Risikopatienten vorübergehend vorsorglich Antibiotika erhalten. In einer vor kurzem abgeschlossenen Studie vermochte diese Maßnahme jedoch neuerlichen Herzattacken nicht vorzubeugen.

Wenn Entzündungsprozesse bei der Arteriosklerose so bedeutsam sind, dann müssten entzündungshemmende Medikamente den Verlauf der Erkrankung vermutlich bremsen. Einige Wirkstoffe – darunter die von Aspirin bekannte Acetylsalicylsäure – werden bereits eingesetzt oder getestet. Die Substanz gehört in die Gruppe der nicht-steroidalen Entzündungshemmer, die noch andere bekannte schmerzlindernde Verbindungen wie Ibuprofen und Naproxen umfasst. (Ein steroidaler Entzündungshemmer wäre beispielsweise Cortison.) Die Stoffe blockieren die Synthese bestimmter Entzündungsmediatoren – darunter die der Prostaglandine, die Schmerzen und Fieber verursachen.

Es gibt überzeugende Daten dafür, dass Acetylsalicylsäure vor Herzinfarkten sowie manche Patienten auch gegen Mini-Schlaganfälle, vorübergehen-de Durchblutungsstörungen im Gehirn, schützen kann. Allerdings sprechen die geringen Dosierungen, die dabei zum Einsatz kommen, eher dafür, dass der Schutz auf den gerinnungshemmenden und nicht auf den anti-entzündlichen Eigenschaften des Mittels beruht.

Für andere derartige Entzündungshemmer bei Arteriosklerose liegen bis-lang nur wenige klinische Daten vor. So genannte Superaspirine – selektive Inhibitoren des Enzyms, das die Synthese von Prostaglandin katalysiert – dürften nach ersten Hinweisen bei einigen Patienten die Bildung von Gerinnseln womöglich sogar fördern. Für Cortison und ähnliche Steroide ist bislang kein Nutzen belegt, was das Auftreten arteriosklerotischer Komplikationen anbelangt. Für eine langfristige Anwendung dürften ihre schädlichen Nebenwirkungen wohl auch zu hoch sein.

Sollten sich entzündungshemmende Medikamente als wirksam erweisen, müssten die Patienten sie vermutlich lebenslang einnehmen – eine beunruhigende Vorstellung. Denn ein permanenter Eingriff in das Entzündungsgeschehen im Körper hätte wahrscheinlich einen zu hohen Preis: ein erhöhtes Infektionsrisiko. Ich setze deshalb erst einmal auf eine naheliegendere Strategie: Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Faktoren an der Wurzel der arteriellen Entzündungsreaktion auszuschalten.

Einige probate Mittel sind zum Glück bereits verfügbar: Eine gesunde Ernährung, regelmäßige körperliche Bewegung und gegebenenfalls eine Gewichtsreduktion können das Risiko für Herzattacken senken und gleichzeitig Alters-Diabetes vorbeugen oder mindern. Außerdem haben seit 1994 mehrere sorgfältige klinische Studien zweifelsfrei belegt, dass Statine – heute breit verordnete Medikamente zur Lipidsenkung – die Wahrscheinlichkeit arteriosklerotischer Komplikationen reduzieren und damit offenbar das Leben vieler Menschen verlängern können. Und das tun sie quer durch alle untersuchten Gruppen von Patienten mit breit gestreuten, unterschiedlichen Risikowerten. Der Wirkstoff Cerivastatin, bekannt unter dem Handelsnamen Lipobay, wurde letztes Jahr vom Markt genommen, weil er in Kombination mit einem weiteren Cholesterinsenker häufiger als andere Statine zu problematischen Nebenwirkungen führte.

Anti-oxidative Vitamine enttäuschten

Verengungen in den Arterien werden von diesen Arzneistoffen anscheinend nur geringfügig reduziert. Stattdessen deuten Untersuchungen an Zellen, Tieren und Menschen darauf hin, dass die Senkung der Lipidwerte – erwartungsgemäß – gleichzeitig helfen dürfte, Entzündungen einzudämmen, welche den Abbau und das Aufplatzen von Plaques fördern. Obendrein scheinen die Mittel noch auf anderem Wege eine anti-entzündliche Wirkung zu entfalten – zumindest in Zellkulturen und im Tierexperiment: Statine sorgen nicht nur für einen beschleunigten Abbau von LDL, sondern begrenzen auch die Verfügbarkeit anderer Stoffe, die Zellen für Entzündungsmediatoren ansprechbar machen.

Noch im Experimentierstadium befinden sich Wirkstoffe, die andere Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall anvisieren. Gedacht ist an Substanzen, die den HDL-Spiegel – das gute Cholesterin – erhöhen oder die Wirkung des blutdrucksteigernden Hormons Angiotensin II verringern. Auch sie wirken dann womöglich entzündungshemmend. Die Einnahme anti-oxidativer Vitamine erwies sich hingegen als enttäuschend.

Für die Zukunft benötigen Ärzte darüber hinaus auch bessere Methoden, um eine gefährliche Arteriosklerose selbst in der großen Gruppe von Menschen ausfindig zu machen, deren Lipidwerte zu gut sind, als dass sie eine Behandlung rechtfertigen würden. Hier mag unter Umständen eine Kombinationsmessung von Lipidwerten plus dem Wert des so genannten C-reaktiven Proteins hilfreich sein. Darauf deuten neuere Befunde hin.

Taucht dieses Eiweißmolekül im Blut auf, ist das ein Anzeichen dafür, dass irgendwo im Körper ein Entzündungsprozess abläuft. Stark erhöhte Werte zeigen gleichzeitig ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall an – und zwar auch dann, wenn die LDL-Werte noch keine Behandlung rechtfertigen (siehe Kasten auf der linken Seite). Zumindest in einer Studie sank die Rate der Herzattacken, wenn Personen mit unterdurchschnittlichen LDL-Werten, aber hohen Werten für das C-reaktive Protein Statine erhielten. Das Ergebnis muss allerdings erst in einer wesentlich größeren Studie bestätigt werden, bevor Ärzte entsprechende Patienten auf fundierter Basis damit behandeln können. Was einige Mediziner in den USA jedoch nicht daran hindert, schon heute diagnostische Tests auf C-reaktives Protein in ihrer Praxis einzusetzen (siehe dazu das Interview auf Seite 54).

In wem tickt unerkannt die Zeitbombe?

Gefragt sind zudem schonende Methoden, mit denen sich speziell bruchempfindliche Plaques aufspüren lassen. Sie könnten jene Menschen herauspicken helfen, die keine ausgeprägten Risikofaktoren aufweisen, in denen aber dennoch die Zeitbombe tickt. Die Ideen hierzu reichen von der Messung erhöhter Temperaturen in entzündeten, arteriosklerotischen Blutgefäßen bis zu abgewandelten bildgebenden Verfahren auf der Basis der Magnetresonanz-Tomografie oder der Computertomografie. Unterdessen fahnden Genetiker nach Genvarianten, die ihre Träger anfällig für chronische Entzündungen, Arteriosklerose und damit auch deren Folgen machen.

Die meiste Zeit in der Geschichte der Menschheit hat die Fähigkeit unseres Körpers, mittels Entzündungsreaktionen Infektionen abzuwehren, eindeutig einige Nachteile dieser Schutzmaßnahme aufgewogen. Heute, wo wir länger leben, uns weniger bewegen, zu viel essen und oft auch noch rauchen, leiden viele von uns an den Schattenseiten dieser Reaktion. Je mehr wir jetzt von den dabei ablaufenden Vorgängen verstehen, desto eher können wir auch neue Therapien gegen Arteriosklerose entwickeln – eine Krankheit, deren Bedrohung weltweit wächst, die viele Menschen mit Invalidität schlägt und viel zu viele vorzeitig das Leben kostet.

Literaturhinweise


Inflammation and Atherosclerosis. Von Peter Libby, Paul M. Ridker und Attilio Maseri in: Circulation, Bd.105, No. 9, S.1135; 5. März 2002.

Current Concepts of the Pathogenesis of the Acute Coronary Syndrome. Von Peter Libby in: Circulation, Bd. 104, No. 3, S. 365; 17. Juli 2001.

Sonderdrucke zum Thema Herz-Kreislauf-Krankheiten bietet gegen Gebühr (jeweils 1,53 Euro in Briefmarken) die Deutsche Herzstiftung, Vogtstraße 50, 60322 Frankfurt.


In Kürze


- Nach neuer Erkenntnis stecken Entzündungsprozesse als treibende Kraft hinter einer Arteriosklerose: dem Anreichern fettbeladener Ablagerungen in den Arterienwänden. Die ältere Theorie, nach der sich diese Plaques auf einer lediglich passiven Wand ablagern, ist überholt.

- Entzündungsprozesse können auch dazu führen, dass eine Plaque plötzlich aufreißt. Dann ist die Gefahr besonders hoch, dass sich Blutgerinnsel bilden und die Arterien blockieren. Es kommt zu den gefürchteten Folgen einer Arteriosklerose wie Herzinfarkt und Schlaganfall.

- Ein Zuviel an schlechtem Cholesterin (LDL-Blutfetten) ist einer der Auslöser der Entzündungsreaktion in Arterien. Lipidsenker – seit längerem ein Eckpfeiler der Therapie – können anscheinend auch dieser Reaktion gegensteuern. Andere Möglichkeiten, in den entzündlichen Prozess einzugreifen, werden derzeit untersucht.

- Zusätzlich zum etablierten Bluttest auf Cholesterin könnte sich in naher Zukunft auch eine Messung von Entzündungsmarkern als hilfreich erweisen, um Risikopatienten zu identifizieren.


Neue Rollen für bekannte Akteure


Gesundheitsaufklärer sprechen zu Recht von bösem und gutem Choles terin. Sie meinen damit Lipoproteine geringer Dichte (englisches Kürzel: LDL) beziehungsweise hoher Dichte (HDL). Die partikelförmigen Komplexe – hier angeschnitten dargestellt – agieren mehr als einst angenommen als die Schlechten und die Guten auf der Bühne der Arteriosklerose.

Lipoproteine dienen zum einen dem Transport von Cholesterin in der Blutbahn. LDL-Partikel befördern es vorrangig von der Leber in die Zielgewebe, die es etwa für die Reparatur von Zellmembranen oder die Produktion von Steroidhormonen benötigen. HDL-Partikel verfrachten hingegen Cholesterin in die Leber zurück, wo es recycelt oder abgebaut werden kann. Ursprünglich dachte man, ein Zuviel an LDL fördere eine Arteriosklerose, indem sich die Partikel auf der Gefäßwand ablagern. Diese Sicht ist überholt. LDL-Partikel reichern sich vielmehr in der Wandung an, wo einige ihrer Komponenten Oxidationsprozessen und weiteren chemischen Veränderungen unterliegen. Das macht sie entzündungsfördernd. Schritt für Schritt werden die Arterien an solchen Herden in gefährlicher Weise verändert.

Auch die Rolle der HDL-Partikel erscheint in neuem Licht. Ihr protektiver Effekt basiert nicht nur auf dem Abtransport von Cholesterin aus der Blutbahn – sie können offenbar auch gezielt der schädlichen Oxidation von LDL-Partikeln gegensteuern.


Neue Grenzwerte für schlechtes Cholesterin


Als optimal gelten jetzt in den USA Werte von unter 100 Milligramm je Deziliter Blutserum (mg/dl) für schlechtes Cholesterin. Fachleute sprechen von Lipoproteinen geringer Dichte, nach dem englischen Begriff abgekürzt LDL. Die Schwelle, ab der für manche Personen mit mehreren Risikofaktoren die medikamentöse Therapie beginnen sollte, liegt nach den neuen US-Empfehlungen bei 130 und nicht mehr bei 160 mg/dl.

Erwachsenen mit einem relativ geringen Risiko für eine koronare Herz-krankheit wird – wie vorher schon – ab Werten von mehr als 160 zunächst einmal eine Änderung ihres Lebensstils empfohlen. Dazu zählen etwa eine gesündere Ernährung und mehr körperliche Bewegung. Erst ab 190 mg/dl ist auch hier eine medikamentöse Therapie zu erwägen. Diese neuen Empfehlungen decken sich im Wesentlichen mit den Richtlinien einer internationalen Fachgesellschaft.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2002, Seite 48
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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