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Das Buch vom Buch. 5000 Jahre Buchgeschichte

Schlütersche, Hannover 1995.
496 Seiten, DM 158,-.

Die meisten Menschen gehen mit Büchern um, aber nur die wenigsten unter ihnen haben mehr als rudimentäre Kenntnisse ihrer Geschichte, obgleich sie ein wesentlicher Teil der Kulturgeschichte ist. Eine so monumentale Buchgeschichte wie die vorliegende ist denn auch ein verlegerisches Ereignis. Die freie Autorin Marion Janzin und der Wissenschaftsjournalist Joachim Güntner, beide aus Hannover, haben Großartiges geleistet; das gilt auch im Vergleich zu den besten ihrer Vorgänger.

Die Epochenbezeichnung des Untertitels muß allerdings etwas präzisiert werden. Um die ersten 3000 Jahre – also um die Schrift- und Buchentwicklung bei den Sumerern, Ägyptern, Griechen und Römern – geht es hier nur als Auftakt und im kurzen Überblick. Das ostasiatische Schrift- und Buchwesen bleibt gänzlich beiseite. Im Vordergrund steht das nach dem Verfahren des Johann Gutenberg (vor 1400 bis 1468) und seiner Nachfolger gedruckte Buch, überwiegend in Deutschland und um so ausschließlicher, je mehr wir uns der Gegenwart nähern. Eine ausführliche Universalgeschichte des Buches gibt es noch nicht; sie ist wohl auch nur als internationale Gemeinschaftsarbeit vorstellbar – wenn überhaupt.

Selbst bei dieser Beschränkung ist immenses Ausgangsmaterial zu sichten und zu formen gewesen. Bei der Darstellung des Ertrags haben sich Marion Janzin und Joachim Güntner "an die Chronologie gehalten", also den Stoff nicht nach Sachgebieten, sondern nach Epochen unterteilt – wie die meisten ihrer Vorgänger, etwa Hermann Barge (1940) und Fritz Funke (1958, 5. Auflage 1992); auch ich halte dieses Verfahren für das zweckmäßigste.

Es ist bei diesem opulenten Werk nicht möglich, auf das Profil, noch viel weniger auf Einzelheiten einzugehen; aber es sollen doch wenigstens die Kapitelüberschriften angeführt werden: "Vom Bild im Buch", "Altertum", "Das Buch im antiken Christentum: Die Bibel", "Vom frühmittelalterlichen Klosterwesen zur karolingischen Reform", "Karolinger, Ottonen und die Buchkunst der Romanik", "Wege im Spätmittelalter", "Das Jahrhundert Gutenbergs", "Das 16. Jahrhundert", "Das 17. Jahrhundert", "Das Zeitalter der Aufklärung", "Industrieproduktion und Massenpublikum im 19. Jahrhundert", "Das 20. Jahrhundert".

Das Werk ist in seiner Zielsetzung und in seiner Methode wohldurchdacht. Laut Vorwort wünschen die Autoren sich Leser, die vor allem "neugierige Grenzgänger" sind und bei wechselnden Sichten dem einen oder anderen Fragenkreis nachgehen, Zusammenhänge erfahren und sich einen Überblick verschaffen möchten. Freilich muß man bei dieser Art von Nutzern voraussetzen dürfen, daß sie dem Buche über seinen bloßen Informationsgehalt hinaus einen kulturellen Wert beimessen – in der Vergangenheit wie auch (noch immer) in der Gegenwart. Das Inhaltsverzeichnis ist überaus reich gegliedert; ein sehr ausführliches vierspaltiges Register von 18 Seiten erleichtert dem vielseitig Interessierten wie dem zielstrebig Nachhakenden den Zugriff.

Was diese Buchgeschichte im Vergleich zu früheren besonders auszeichnet, ist die geradezu üppige Illustrierung: In Verbindung mit dem Text veranschaulicht eine Folge von Bildern – sofern nicht ganzseitig, dann in die untere Seitenhälfte gerückt – das Thema von den Anfängen bis heute. Dabei haben die Autoren nicht nur die technischen Grundlagen des Büchermachens sowie seinen Beitrag zur Kunst, sondern auch gesellschaftliche Erscheinungen im Umkreis von Buch und Buchhandel, Lektüre und Literatur wie Buchmessen, Zensur (Bild) und expressionistische Typographie mit einbezogen. Ausführliche Legenden erläutern jede Abbildung, von denen ein erheblicher Teil farbig ist. Parallel zu diesem Bilderspiegel stellt der Textteil die ganze Vielschichtigkeit der Buchgeschichte in ihrer Verbindung von Buchgestalt, Buchinhalt und Buchwirkung im Rahmen des Möglichen dar – und dieser Rahmen ist selbst bei einem Umfang von 500 Druckseiten noch knapp.

Die Entscheidung über die Art der Literaturnachweise bei einem solchen Werk ist schwierig. Mit Blick auf die unterschiedlichen Interessen ihrer Leser haben die Autoren einen Mittelweg zwischen Belegnachweisen an Ort und Stelle in Form von Fußnoten und völligem Verzicht darauf gewählt. Wo sie sich allerdings bestimmten Meinungen und Auffassungen anschließen, zitieren sie entsprechende Passagen und führen die Urheber an.

Die Bibliophilie hätte etwas mehr Beachtung verdient; dafür hätte etwa bei den Pressedrucken etwas weniger genügt. Manche älteren der besonders anspruchsvollen kleinen Unternehmen wie die Bremer Presse sind einerseits an den Folgen der Weltwirtschaftskrise, andererseits an dem Gleichmaß ihrer Gestaltung und der edlen Materialien zugrunde gegangen – was manche der beängstigend vielen heutigen Pressedruck-Unternehmer nicht zu wissen scheinen.

Angesichts der Stoffmenge und der Notwendigkeit, daraus auszuwählen, scheinen mir solche kritischen Wünsche jedoch nebensächlich. Insgesamt bleibt, die Autoren für die gründliche, umsichtige und konsequent durchgeführte Arbeit wie auch die Schlütersche Verlagsanstalt für ihren Wagemut und die angenehme Aufmachung des Bandes zu loben.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1996, Seite 132
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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