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Technik: Der Golem der Technologie.

Aus dem Englischen von Gabriel Hochfels. Berlin Verlag, Berlin 2000. 228 Seiten, DM 39,80


Dieses Buch sieht dem von denselben Autoren verfassten "Golem der Forschung" (vergleiche Spektrum der Wissenschaft 5/2000, S. 106) nicht nur zum Verwechseln ähnlich. Harry Collins, Wissenschaftssoziologe aus Cardiff, und Trevor Pinch, Wissenschaftshistoriker an der Cornell-Universität in Ithaca (New York), haben das Werk ausdrücklich als zweites in einer (nach oben offenen) Serie von "Golem-Büchern" konzipiert.

"Golem" meint eine Figur aus der jüdischen Mythologie. Er ist von einem Menschen durch Zauber erschaffen, stark, gutmütig und dienstbar, aber von beschränkter Geisteskraft. Und da er die Grenzen seiner eigenen Kräfte nicht kennt, kann er auch sehr gefährlich werden. So ist in den Augen der Autoren die Wissenschaft.

Folgerichtig ist der erste Golem-Band ein Plädoyer gegen die Überschätzung der Wissenschaft und der Wissenschaftler, belegt mit vielen Beispielen aus der Grundlagenforschung. Diesmal geht es um angewandte Wissenschaft, und die Beispiele sind wirklich sehr praxisnah: die Rolle der "Patriot"-Abwehrraketen im Golfkrieg, die Explosion der Raumfähre "Challenger", die radioaktive Belastung britischer Schafweiden infolge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die Diskrepanz zwischen Expertenprognosen über die Entwicklung der britischen Wirtschaft und der Realität, die Auseinandersetzung über die Zulassung experimenteller Therapien gegen Aids und einige mehr.

Wieder beeindrucken Collins und Pinch durch gründliches Zusammentragen der Fakten, intensives Quellenstudium und überaus sorgfältige Analysen. Das über die Medien vermittelte Schwarzweißbild von Helden und Schurken – zum Beispiel die gewissenlosen Manager der Nasa, die ihrem Terminplan und ihrem Bild in der Öffentlichkeit zuliebe unakzeptable Risiken eingingen, und Richard Feynman als schonungsloser Aufklärer – bekommt reichlich Grautöne. Eine brauchbare Antwort auf die Frage, wie wirksam die "Patriot"-Rakete im Golfkrieg war, scheitert unter anderem an verschiedenen – und jeweils legitimen – Definitionen von Wirksamkeit. Die Schafzüchter von Cumbria (Nordengland) konnten kein Vertrauen zu den staatlichen Experten für radioaktive Strahlung fassen, nicht weil diese von irgendwelchen finsteren Mächten gekauft gewesen wären, sondern weil sie vorgaben, mehr zu wissen, als sie wussten, und damit das Renommee der Wissenschaft verspielten, statt es zu nutzen. Irgendwie kommt dem deutschen Leser diese Geschichte merkwürdig bekannt vor, ebenso die über die Irrtümer der Wirtschaftsexperten.

Insgesamt geben die Autoren sieben schlaglichtartige, jeder für sich sehr eindrucksvolle Einblicke in sehr verschiedene Teilgebiete der angewandten Wissenschaft. Sie zeigen sämtlich, dass die jeweilige Sache bei näherem Hinsehen weit komplizierter und weniger eindeutig ist, als sich dem Zeitungsleser und Fernsehzuschauer erschließt.

Das Resümee am Schluss des Buches wirkt merkwürdig aufgesetzt, so als wollten die Autoren ein einheitliches Bild der Technologie herstellen, das es ihrer eigenen sorgfältigen Detailarbeit zufolge nicht gibt. Aber das kann die Leistung der Autoren nicht sonderlich schmälern.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2000, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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