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Deuterium und der frühe Kosmos

In riesigen Gaswolken am Rande des sichtbaren Universums hat sich erstmals dieses schwere Wasserstoff-Isotop direkt nachweisen lassen. Aus seiner Häufigkeit ergeben sich wichtige Folgerungen für die Gültigkeit des Urknall-Modells, die frühe Entwicklung des Kosmos und die Natur der dunklen Materie.

Das Urknall-Modell des frühen Universums ist bemerkenswert einfach: Es ist auf Skalen, die größer sind als der Durchmesser einzelner Elementarteilchen, völlig homogen. Es scheint die überaus energiegewaltigen und vehement ablaufenden Prozesse im uranfänglichen Feuerball der expandierenden Raumzeit nahezu perfekt zu beschreiben, wenngleich es sich nur auf die allgemeine Relativitätstheorie, das sogenannte Standardmodell der Elementarteilchenphysik sowie auf grundlegende Prinzipien der Thermodynamik stützt. Die Vorhersagen, die sich aus ihm ergeben, wie etwa die Geschwindigkeit der Expansion, die Energieverteilung der kosmischen Hintergrundstrahlung und das Mengenverhältnis der beiden einfachsten Elemente Wasserstoff und Helium, stimmen hervorragend mit den Beobachtungen der Astrophysiker überein.

Solch ein homogenes Modell vermag freilich nicht zu erklären, wie die Strukturen im Universum, zu denen sich Galaxien und Galaxienhaufen ordnen, entstanden sind. Des weiteren ist es bisher unvollständig bezüglich der genauen kosmischen Materiezusammensetzung; denn außer der direkt nachweisbaren Materie, die sich heute in Sternen und im interstellarem Gas befindet, muß es noch eine unsichtbare Masse geben, die sich nur durch ihre Schwerkraft bemerkbar macht. Die Kosmologen rätseln nach wie vor, ob und zu welchen Anteilen diese sogenannte dunkle Materie aus Atomen, Neutrinos oder irgendwelchen exotischen Elementarteilchen besteht.

Wichtige Hinweise zur Lösung dieser beiden kosmologischen Fragen können die Atomkerne liefern, die sich in den ersten Sekunden und Minuten nach dem Urknall bildeten. Am Ende dieser kurzen Elemententstehungsphase enthielt das Universum im wesentlichen nur Wasserstoff und Helium. Deuterium, ein schweres Isotop des Wasserstoffs, konnte nur zu deren Anfang entstanden sein. Das Häufigkeitsverhältnis von Deuterium zu gewöhnlichem Wasserstoff im Kosmos spiegelt deshalb den frühen Urknall wider; insbesondere ist es ein empfindlicher Indikator für erste Dichtefluktuationen und für den gesamten Massengehalt des Weltalls.

In den letzten Jahren haben Astronomen erstmals erfolgreich begonnen, den Deuteriumgehalt primordialer Gaswolken genau zu messen. Ihre Befunde könnten sich als präziser Test des Urknall-Modells erweisen.


Entstehung der leichten Elemente

Als das Universum, dessen Expansion vor ungefähr 15 Milliarden Jahren einsetzte, eine Sekunde alt war, hatte es eine Temperatur von mehr als zehn Milliarden Grad – tausendmal höher als das Zentrum der Sonne. Bei dieser Hitze und der überaus hohen Dichte waren die verschiedenen Formen von Materie und Energie nicht so eindeutig unterschieden wie unter heutigen Bedingungen: Elementarteilchen wie Protonen und Neutronen wandelten sich fortwährend ineinander um, indem sie mit Elektronen und Positronen sowie mit energiereichen Photonen und Neutrinos komplexe Wechselwirkungen vollführten. Je weiter der Kosmos jedoch abkühlte, desto stärker verschob sich das Reaktionsgleichgewicht zugunsten der etwas energieärmeren – das heißt leichteren – Protonen, die zum Beispiel durch Zerfall der Neutronen in zusätzlich jeweils ein Elektron und ein Neutrino entstehen.

Als die Temperatur schließlich auf weniger als zehn Milliarden Kelvin gesunken war, stoppten die Umwandlungen zwischen Protonen und Neutronen bei einem Zahlenverhältnis von sieben zu eins. Und nach wenigen Minuten, bei einer Temperatur von etwa einer Milliarde Kelvin, konnten sich diese Teilchen schließlich zusammenlagern: Aus jeweils einem Neutron und einem Proton (dem Kern eines Wasserstoffatoms) entstand ein sogenanntes Deuteron, der Kern des schweren Wasserstoff-Isotops Deuterium, und nahezu alle Deuteronen vereinten sich zu Heliumkernen, die je zwei Neutronen und Protonen enthalten (Bild 5). Dichte und Temperatur des Universums waren zu dieser Zeit schon zu gering, um noch schwerere Kerne durch Fusion aufbauen zu können; deshalb lagen fast alle Neutronen in Heliumkernen gebunden vor.

Ohne Neutronen, welche die elektrostatische Abstoßung zwischen den Protonen etwas dämpfen, können sich letztere nicht zu Atomkernen zusammenschließen. Darum ließ der anfängliche Neutronenmangel nur eine begrenzte Heliumbildung zu. Sechs von sieben Protonen blieben als einzelne Wasserstoff-Atomkerne erhalten. Demnach folgt aus dem einfachen Urknall-Modell, daß etwa ein Viertel der Masse gewöhnlicher Materie im Universum als Helium und drei Viertel als Wasserstoff vorlagen – was durch astronomische Beobachtungen hervorragend bestätigt wird.

Während der anfänglichen Heliumbildung blieb nur ungefähr jeder zehntausendste Deuteriumkern unverändert erhalten, und nur ein noch geringerer Anteil konnte in Elemente schwerer als Helium, wie zum Beispiel Lithium, verschmelzen. (Es mußte sich die kosmische Materie viel später erst zu Sternen mit geeignet hohen zentralen Temperaturen und Drücken verdichten, damit schwerere Elemente wie Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff entstehen konnten.)

Die genauen Häufigkeitsverhältnisse von Deuterium, Helium und Lithium hängen innerhalb des homogenen Modells allein von einem anderen Parameter ab: von der anfänglichen Häufigkeit von Protonen und Neutronen – also massetragenden Teilchen, den sogenannten Baryonen – in bezug auf die masselosen Photonen.

Dieses im allgemeinen mit h (dem griechischen Buchstaben Eta) bezeichnete Verhältnis ist während der Entwicklung des Weltalls im wesentlichen konstant. Die derzeitige Häufigkeit der Photonen hat einen durch Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung sehr genau bekannten Wert. Wäre nun h gegeben, so ließe sich die Baryonendichte entsprechend exakt berechnen. Das Ergebnis könnte dann mit der beobachteten Dichte der leuchtenden Materie verglichen werden, um herauszufinden, wie groß der baryonische Anteil der dunklen Materie ist.

Damit das im frühen Universum beobachtete Mischungsverhältnis der leichten Elemente im Modell reproduziert werden kann, muß h sehr klein sein: Auf ein Baryon kommen mehr als eine Milliarde Photonen. Die kosmische Hintergrundstrahlung füllt jeden Kubikzentimeter des heutigen Kosmos mit recht genau 411 Photonen. Folglich erwarten wir im Mittel 0,4 Baryonen pro Kubikmeter. Doch variieren die Schätzungen von h bislang um einen Faktor zehn. Aber h hängt empfindlich von den Häufigkeiten der leichten Spurenelemente ab: Wäre zum Beispiel die anfängliche kosmische Häufigkeit des Deuteriums heute um einen Faktor zwei besser bekannt, so verringerte sich der Spielraum für h auf ein Fünftel und wäre klein genug für signifikante Aussagen über den baryonischen Anteil der dunklen Materie.

Die in unserer direkten kosmischen Umgebung gemessene Häufigkeit des Deuteriums ergibt immerhin eine obere Grenze von h. Denn durch Kernfusionen in ihrem Inneren haben Sterne das aus dem Urknall stammende Deuterium teilweise zu Helium verschmolzen, ohne neues nachzuliefern. So haben Generationen von sich bildenden und auflösenden Sternen auch das interstellare Deuterium abgebaut. Alle heute vorgefundenen Deuteriumatome – jedes zehntausendste Wassermolekül der Ozeane enthält zum Beispiel eines – sind deshalb so alt wie das Weltall, etwa fünfzehn Milliarden Jahre.


Primordiale Gaswolken vor Quasaren

Am aufschlußreichsten wäre eine direkte Messung des Deuteriumgehalts im frühen, noch nicht von Sternen beeinflußten Universum. Dies scheint möglich, weil sich der Kosmos nicht überall gleichförmig chemisch entwickelt hat. Fünf Milliarden Jahre nach dem Urknall – was einer Entfernung von etwa zehn Milliarden Lichtjahren von der Erde entspricht – gab es an vielen Stellen noch ursprüngliche, nicht leuchtende Gaswolken; andernorts funkelten schon riesige Sternsysteme. Aber wie läßt sich die stoffliche Zusammensetzung der Wolken über eine solch gewaltige Entfernung analysieren?

Manch eine der schon sehr früh entstandenen Galaxien durchlief eine besonders leuchtkräftige Phase, als das Weltall erst etwa ein Sechstel seiner heutigen Größe und ein Zehntel seines heutigen Alters erreicht hatte. Gas strudelte in ein Schwarzes Loch im Zentrum des fernen Sternsystems, erhitzte sich und ließ im Kerngebiet einen sogenannten Quasar erstrahlen. Keine anderen Himmelskörper emittieren so viel Strahlung wie diese, die sich darum sozusagen als Sonden eignen, um die davorliegenden, sonst unsichtbaren Wolken zu durchleuchten (Bild 4).

Im spektral zerlegten Quasarlicht spiegelt sich die stoffliche Zusammensetzung einer Vordergrundwolke in Form eines charakteristischen Musters von Absorptionslinien wider. Jede Linie ist ein schmaler Wellenlängenbereich, in dem ein Teil des Quasarlichtes fehlt, weil es die Elektronen einer Atomsorte in der Wolke auf ein diskretes höheres Energieniveau befördert hat und dadurch absorbiert wurde (Bild 3).

Beispielsweise entsteht die sogenannte Lyman-alpha-Linie, indem die Elektronen in Wasserstoffatomen von der ersten in die zweite Schale gehoben werden. Dafür sind Photonen einer Wellenlänge von 121,5 Nanometern erforderlich. Ein Anheben auf höhere Schalen erfordert Quanten größerer Energie, also entsprechend niedrigerer Wellenlänge. Wenn eine Wolke genug atomaren Wasserstoff enthält, raubt sie dem ultravioletten Quasarlicht bei allen Wellenlängen der sogenannten Lyman-Serie einen unterschiedlich starken Anteil.

Die Lyman-alpha-Absorption des Wasserstoffs ist bei fast allen Gaswolken am stärksten. Aufgrund der allgemeinen Expansion des Weltalls bewegen sich die weit entfernten, ursprünglichen Gaswolken mit mehr als 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit von uns fort. Je nach der individuellen Entfernung ist die Fluchtgeschwindigkeit der Wolken aber unterschiedlich groß, so daß für einen irdischen Beobachter jede Linie einer anderen Rotverschiebung unterworfen ist. Und weil nun das Licht des Quasars Hunderte von intergalaktischen Wolken auf dem Weg zur Erde durchqueren muß, weist sein Spektrum gleichsam einen ganzen Wald von Lyman-alpha-Linien auf – jede mit einer anderen Rotverschiebung, also bei einer anderen beobachteten Wellenlänge.

Die Untersuchung weit entfernter Gaswolken hat den zusätzlichen praktischen Vorteil, daß die hohe Rotverschiebung die Linien der Lyman-Serie vom ultravioletten in den sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums befördert. Für Strahlung mit den unverschobenen Wellenlängen der Lyman-Serie ist die Erdatmosphäre nämlich nicht durchlässig; aber rotverschoben können die Absorptionslinien eben doch mit großen Teleskopen auf dem Erdboden analysiert werden.

Ähnlich einem Tiefenbohrkern des Grönland-Eises, der die Klimageschichte der Erde wiedergibt, ist solch ein Quasarspektrum gewissermaßen ein linearer Schnitt durch die kosmische Geschichte: Es zeigt die allmähliche Umwandlung von sternlosen Gaswolken in leuchtende Galaxien, wie wir sie heute rings um uns sehen. Die Auswertung der Spektren von Quasaren an verschiedenen Himmelspositionen ermöglicht es zu überprüfen, ob die Gaswolken in allen Richtungen des Kosmos die gleiche relativ ursprüngliche Zusammensetzung haben, wie die gängigen Weltmodelle es fordern.

Für besonders gasreiche Wolken, die in einem Quasarspektrum eine kräftige Lyman-Absorptionsserie erzeugen, können die Astronomen nun direkt die Häufigkeit des Deuteriums im Verhältnis zum gewöhnlichen Wasserstoff bestimmen. Deuterium ruft ebenfalls eine Lyman-Serie von Absorptionslinien hervor, nur daß die Wellenlängen infolge der schwereren Kernmasse und der dadurch veränderten Energieniveaus der Elektronen um ein Viertausendstel kleiner sind. Die von Deuterium hervorgerufene Serie begleitet jene des normalen Wasserstoffs sozusagen wie ein schwaches Echo auf der kurzwelligen Seite.

Die Form jeder einzelnen Lyman-Linie ist indes noch weiteren Effekten unterworfen. In ihr spiegeln sich turbulente und thermische Bewegungen der Gasatome; denn infolge des Doppler-Effekts sind der kosmischen Rotverschiebung kleine zusätzliche Rot- oder Blauverschiebungen überlagert, je nachdem, ob sich das absorbierende Atom in Richtung der Sichtlinie gerade auf den Beobachter zu oder von ihm fort bewegt.

So könnte ein kleines Gasvolumen innerhalb der Wolke, das sich aufgrund turbulenter Bewegung relativ zu ihr mit 82 Kilometern pro Sekunde auf die Erde zu bewegt, denselben Effekt hervorrufen wie das Deuterium der Wolke. Weil aber solche turbulenten Bewegungen in den ursprünglichen Wolken nicht so stark sind wie in Galaxien, ergibt sich kein grundsätzliches Problem.

Die Wasserstoffatome bewegen sich aufgrund ihrer Temperatur mit typischerweise zehn Kilometern pro Sekunde, so daß sich jede Lyman-Linie entsprechend verbreitert. Weil Deuteriumatome doppelte Masse haben, ist ihre typische Geschwindigkeit bei gleicher Temperatur mit sieben Kilometern pro Sekunde kleiner – die Deuteriumlinien sind darum schmaler. Moderne Spektroskope können die unterschiedlichen Linienbreiten feststellen und das Deuterium damit eindeutig identifizieren, vorausgesetzt der Quasar ist hell und das Teleskop leistungsfähig genug.


Jedes Photon zählt

Um schwache Linien einer Geschwindigkeitsbreite von etwa zehn Kilometern pro Sekunde, also dem 30000sten Teil der Lichtgeschwindigkeit, nachweisen und deren Form gerade eben noch erkennen zu können, ist ein Gerät mit einer spektralen Auflösung von 30000 erforderlich. Das bedeutet, es muß das sichtbare Quasarspektrum bei Wellenlängen zwischen 350 und 850 Nanometern in 30000 Intervalle unterteilen und die Photonen für jedes Intervall getrennt registrieren. Solch ein Spektroskop erstellt vom Quasar sozusagen eine (nur eindimensional abbildende) Aufnahme mit 30000 verschiedenen Farbkanälen.

Seit 20 Jahren versuchen Forscher aus aller Welt, mich eingeschlossen, an den größten Teleskopen solche hochaufgelösten Quasarspektren zu gewinnen und die Häufigkeit des primordialen Deuteriums zu bestimmen. Viele lange Nächte schauten wir zu, wie sich die Kanäle der Spektroskope Photon um Photon mit Information füllten – nur um hinterher festzustellen, daß die Wetterbedingungen, technische Probleme oder letztlich immer der Mangel an Zeit alles zunichte machte. Nun endlich gibt es ausreichend empfindliche Detektoren, gibt es das 10-Meter-Keck-Teleskop auf Hawaii mit optimierter Winkelauflösung und gibt es Spektroskope wie HIRES, die eine hohe Lichtausbeute haben (Bilder 1 und 6). Damit steht einer tatsächlichen praktischen Umsetzung nichts mehr im Wege.

Nach vielen mißglückten Versuchen an kleineren Teleskopen erhielten meine Kollegen Antoinette Songaila und Lennox L. Cowie von der Universität Hawaii im November 1993 die Gelegenheit, die erste wissenschaftliche Beobachtungsnacht ihrer Hochschule am Keck-Teleskop für das Quasar-Projekt zu nutzen. Sie richteten das riesige Instrument auf das Objekt Q0014+813, das viele Jahre lang dasjenige mit der größten bekannten Leuchtkraft überhaupt war (Bild 2). Aus früheren Untersuchungen von Ray J. Weymann von den Observatorien der Carnegie-Institution von Washington sowie von Frederic Chaffee, Craig B. Foltz und Jill Bechtold von der Universität von Arizona wußten wir, daß eine nahezu sternlose und gasreiche Wolke vor dem Quasar liegt.

Dieses erste Keck-Spektrum, das in nur wenigen Stunden gewonnen wurde, hatte bereits ausreichende Qualität, um glaubhafte Anzeichen für Deuterium zu zeigen. Man erkannte im Spektrum eine Wasserstoff-Absorptionsstruktur mit mehreren Geschwindigkeitskomponenten und ein fast perfektes Echo der Lyman-alpha-Linie mit der erwarteten Blauverschiebung. Die Stärke der Echo-Absorption wies auf ein Zahlenverhältnis der Deuterium- zu den Wasserstoffatomen von zwei zu zehntausend hin.

Dieses Ergebnis haben Robert F. Carswell von der Universität Cambridge (England) und seine Mitarbeiter inzwischen unabhängig bestätigt. Sie verwendeten Beobachtungen am 4-Meter-Mayall-Teleskop der Kitt-Peak-Sternwarte in Arizona und zeigten auch, daß die Deuterium-Absorptionslinie tatsächlich viel schmaler ist.

Freilich kann nicht prinzipiell ausgeschlossen werden, daß der Deuteriumlinie eine andere Linie gewöhnlichen Wasserstoffs zufällig überlagert ist. Die abgeschätzte Deuteriumhäufigkeit stellt darum zunächst nur eine obere Grenze dar. Aber durch die Spektren weiterer Quasare werden schnell genug Daten für eine statistische Analyse vorliegen. Tatsächlich haben unsere Gruppe und andere Forscher inzwischen Meßwerte oder Grenzen für acht verschiedene Wolken veröffentlicht.

Eines der interessantesten Ergebnisse stammt von David Tytler und Scott Burles von der Universität von Kalifornien in San Diego sowie von Xiao-Ming Fan von der Columbia-Universität in New York. Sie fanden eine zehnfach geringere Deuteriumhäufigkeit als wir. Die Diskrepanz läßt sich noch nicht erklären. Hat etwa lokal ein besonders intensives Deuteriumbrennen in frühen Sternen die Häufigkeit so stark reduziert, oder gibt es womöglich gar keine gleichförmige primordiale Deuteriumhäufigkeit?

Bedeutung für die dunkle Materie

Sollte unser höherer Wert korrekt sein, dann wäre er in guter theoretischer Übereinstimmung mit einem Verhältnis h zwischen Baryonen und Photonen von zwei zu zehn Milliarden. Es gäbe ebenfalls keinen Widerspruch zu der in den ältesten Sternen gemessenen Lithium-häufigkeit und der Abschätzung des anfänglichen kosmischen Heliumanteils anhand naher metallarmer Galaxien. Das wäre insgesamt eine überaus erfreuliche Nachricht, würde sie doch bestätigen, daß das einfache Urknall-Modell ab der zweiten Sekunde die Expansion des Weltalls richtig beschreibt und daß es keine Unterschiede in der kosmischen Geschichte zwischen fernen und nahen Bereichen des Alls gibt.

Der genannte Wert von h stimmt gut mit der direkt nachweisbaren kosmischen Materiedichte der Baryonen in Sternen und Gaswolken überein, die bei etwa einem Teilchen pro zehn Kubikmetern liegt. Mindestens zehnmal so hoch muß allerdings die kosmische Dichte der dunklen Materie sein, die sich nur indirekt durch ihre Gravitationswirkung bemerkbar macht. Bestätigt sich unser hoher Wert der anfänglichen Deuteriumhäufigkeit, kann die dunkle Materie nicht zu einem erheblichen Anteil aus normalen Atomen bestehen.

Die Kosmologen haben viele Arten nichtbaryonischer dunkler Materie vorgeschlagen. Zum Beispiel sagt das Urknall-Modell im Universum etwa ebenso viele Neutrinos wie Photonen voraus. Selbst wenn jedes Neutrino eine Ruhemasse von nur wenigen Milliardstel der Protonenmasse tragen würde, was einem Energieäquivalent von wenigen Elektronenvolt entspräche, hätten die winzigen Geisterteilchen insgesamt so viel Masse wie die Baryonen. Es ist auch möglich, daß in äußerst frühen Phasen des Urknalls exotische Teilchen produziert wurden, die in den Labors der Teilchenphysiker noch nicht zu erzeugen sind. Jedenfalls kann das durch Beobachtungen gestützte Urknall-Modell die astrophysikalischen Konsequenzen solch neuer physikalischer Ideen vorhersagen.

Literaturhinweise

- Die ersten drei Minuten. Der Ursprung des Universums. Von Steven Weinberg. 7. Auflage. Piper, 1992.

– Deuterium Abundance and Background Radiation Temperature in High-Redshift Primordial Clouds. Von A. Songaila, L. L. Cowie, C. J. Hogan und M. Rugers in: Nature, Band 368, Seiten 599 bis 604, 14. April 1994.

– Die Geschichte des Kosmos. Vom Urknall bis zum Universum der Zukunft. Von Joseph Silk. Spektrum Akademischer Verlag, 1996.

– Confirmation of High Deuterium Abundance in Quasar Absorbers. Von M. Rugers und C. J. Hogan in: Astrophysical Journal, Letters, Band 459, Heft 1, Teil 2, Seiten L1 bis L4, 1. März 1996.

– High Deuterium Abundance in a New Quasar Absorber. Von M. Rugers und C. J. Hogan in: Astronomical Journal, Band 111, Heft 6, Seiten 2135 bis 2140, Juni 1996.

– The History of the Galaxies. Von M. Fukugita, C. J. Hogan und P. J. E. Peebles in: Nature, Band 381, Seiten 489 bis 495, 6. Juni 1996.

– Primordiales Deuterium. Von Christoph A. Gummersbach in: Sterne und Weltraum, Band 35, Heft 12, Seiten 898 bis 899, Dezember 1996.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1997, Seite 38
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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