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Die Teilchenjäger

Aus dem Englischen
von Bernhardt Simon.
Springer, Berlin 1995.
336 Seiten, DM 68,-.

Dieses Buch ist erstmals 1983 auf hebräisch erschienen. Einer ersten, stark überarbeiteten Übersetzung ins Englische (1986) folgten eine zweite (1987) und dritte Auflage (1989), die in wiederum überarbeiteter und höchst aktualisierter Form der vorliegenden Übersetzung ins Deutsche zugrunde liegt. Yuval Ne'eman, ein theoretischer Physiker von Weltrang, und Yoram Kirsh, Physiker und Träger des Aharon-Katzir-Preises für populärwissenschaftliches Publizieren, erzählen die faszinierende Geschichte von der Suche nach den Grundbausteinen der Materie und den Kräften, die unsere Welt im Innersten zusammenhalten.

Zur Erforschung der subatomaren Struktur haben sich zwei wesentliche Gebiete der modernen Physik entwickelt: Die Kernphysik befaßt sich mit dem Atomkern als Ganzem, während die Elementarteilchenphysik die Struktur der verschiedenen Teilchen und ihre Wechselwirkungen untersucht. Erstere hatte bereits weitreichende Auswirkungen auf unser aller Leben: Kernenergie, -waffen und die Anwendung radioaktiver Isotope in der Medizin, um nur einige zu nennen.

Das gilt noch nicht in demselben Maße für die Elementarteilchenphysik. Allenfalls gibt es Schlagzeilen in der Weltpresse für die Entdeckung eines neuen Partikels oder für einen wesentlichen theoretischen Fortschritt, wie jüngst aus Anlaß der Verleihung des Nobelpreises an Martin L. Perl und Frederick Reines (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1995, Seite 21). Aber selbst den wissenschaftlich Interessierten unter den Laien bleibt die wahre Bedeutung solcher Errungenschaften oft weitgehend verborgen, teils hoher Verständnishürden wegen, teils wohl auch aus Mangel an sowohl aktueller wie umfassender populärer Literatur. Das vorliegende Werk trägt in hohem Maße dazu bei, dem entgegenzuwirken.

Das Buch ist wohlorganisiert und mit vielen Abbildungen versehen; es ist ebenso für Laien wie für vollausgebildete Fachleute geeignet. Den ersteren ist allerdings wegen der häufigen Rückverweise anzuraten, nicht stichprobenartig zu blättern, sondern am Stück zu lesen. Der Text ist gespickt mit der kenntnisreichen Beschreibung von Episoden aus dem Wissenschaftsalltag, die das Jagdfieber, die Faszination und den internationalen Kooperationsgeist überzeugend lebendig werden lassen.

Die Autoren führen den Leser auf einem weiten Weg von der Entdeckung des Elektrons 1897 durch Joseph J. Thomson (1856 bis 1940) und die Streuversuche Ernest Rutherfords (1871 bis 1937; Nobelpreis 1908) zur Radioaktivität über die Untersuchung der kosmischen Strahlung bis zur Ära der Teilchenbeschleuniger. Deren Beginn in den dreißiger und vierziger Jahren markiert den Übergang vom Physiker als Teilchenjäger zum Teilchenzüchter. Damit ergab sich eine Fülle an neuen experimentellen Daten über den Teilchenzoo, was wiederum die Physiker zu einer fieberhaften Suche nach einem minimalen Satz grundlegender Prinzipien veranlaßte, welche die beobachteten Phänomene konsistent und möglichst einfach beschreiben. Am Ende dieses gekonnt gespannten Bogens steht die Entdeckung des top-Quarks, des bei weitem schwersten der uns bekannten Elementarteilchen, im Jahre 1995 am Fermi-Laboratorium in Batavia (Illinois) bei Chicago (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1995, Seite 16).

Das Buch zeigt auf, wie weit die Physiker auf ihrem schwierigen Wege schon gekommen sind: In den letzten wenigen Jahrzehnten hat sich das sogenannte Standard-Modell durchgesetzt. Alle bisher experimentell beobachteten Phänomene der Elementarteilchenphysik stehen mit dieser Theorie im Einklang.

Neue Erkenntnisse auf dem Wege zu einer endgültigen Theorie der Materie und ihrer Wechselwirkungen, die auf dem Standard-Modell aufbauen muß, erwartet man von geplanten oder im Bau befindlichen Experimenten der Hochenergiephysik wie dem Großen Hadronenbeschleuniger (Large Hadron Collider, LHC), einem internationalen Großprojekt am europäischen Großforschungszentrum CERN in Genf. Es bleibt zu hoffen, daß die finanzielle, politische und moralische Unterstützung, die diese Suche nach fundamentaler Erkenntnis über Jahrzehnte international erfahren hat, auch in Zukunft erhalten bleibt. Dieses sehr empfehlenswerte Buch leistet einen wichtigen Beitrag dazu.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1996, Seite 120
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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