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Editorial: Zweifelhafte Verkündigung der dritten Art



Selten wurde ein bedeutendes wissenschaftliches Resultat öfter herausposaunt als die Analyse des menschlichen Genoms: Einmal am 26. Juni 2000, zum zweiten Mal im Januar 2001, und nun soll der Text des menschlichen Erbguts zum dritten Mal im kommenden Jahr publiziert werden.

Bill Clinton, damals noch im Weißen Haus, beschwor schon beim ersten Mal "die Vollendung der ersten Erfassung". Craig Venter, bis vor kurzem Chef von Celera Genomics, sah gar den "Wendepunkt in den 100000 Jahren verbürgter menschlicher Geschichte" gekommen. Dabei war Fachleuten klar, dass sowohl bei der ersten als auch der zweiten Verkündigung lediglich unvollständige, grob entzifferte "Arbeitsentwürfe" des Genoms vorlagen. Ende letzten Jahres ertönte schließlich die dritte Ankündigung der vollständigen Erbgut-Entzifferung: "Bis zum Frühjahr 2003", versprachen die Forscher der Human Genome Research Group im Wissenschaftsblatt Nature (Bd. 414, S. 854, 2001), wolle man das "Buch der Menschengene" endgültig aufgeschrieben haben.

Das Publikum staunt und fragt sich, ob nun eine Ankündigungswissenschaft um sich greift, ähnlich dem Ankündigungsjournalismus, mit dem Presse- und Marketingabteilungen längst die Medien verstopfen. Leider ist das wohl so – zum Schaden der Forschungsreputation. Denn zwei Gefahren belasten solches Treiben: "zu früh" und "falsch". Zu frühes Krähen und Trommeln schafft zwar Schlagzeilen, verspielt aber jede Glaubwürdigkeit, wenn die Substanz fehlt.

Gut war, dass Craig Venter durch stürmisches Vorpreschen mit seiner eigenen "Schrotschuss"-Entzifferungsmethode das Genomprojekt um mindestens fünf Jahre abkürzte. Schlecht war, dass dadurch ein hektischer, wie im Profisport von Kommerzinteressen getriebener Wettlauf um Rekorde angestachelt wurde, der in verfrühten Ankündigungen resultierte.

Krachende Flops schaden dem Forschungsimage und beschädigen die wissenschaftlichen Informationskanäle. In unguter Erinnerung sind Stichworte wie "Kalte Fusion", "Polywasser" oder "Leben auf dem Mars". In all diesen Fällen bestimmte Publizitätsgier Art und Zeitpunkt der Veröffentlichung – der Nachweis des Irrtums kam dann stets viel kleinlauter, Jahre danach, versteckt in Randspalten der Fachpresse. Mehr Zurückhaltung und gelasseneres Warten auf Begutachtung durch Fachkollegen würde dem Image der Forschung gut tun.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2002, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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